Der Rebell aus dem Ghetto

Ludwig Börne in einer Biografie und einer Sammlung von Aufsätzen

Selbst mancher Buchhändler kommt ins Schleudern. Ehe er den Namen in den Computer tippt, fragt er noch rasch, ob sich dieser Börne mit »oe« oder Umlaut schreibt. Frank Stern hat in einigen Großstädten die Probe gemacht. Das Ergebnis ist traurig genug. Jüngeren ist Börne kaum noch ein Begriff, und was der Bildschirm schließlich an Titeln hergibt, reißt jeden Hoffenden in die Depression. Hier und dort kann man noch, in der schönen Insel-Edition, die vergriffenen »Briefe aus Paris« auftreiben, aber das ist schon alles. Es gibt zur Zeit weder eine bescheidene noch eine größere Sammlung von Börnes Werken. Die fünf dunkelblauen, handlichen Dünndruckbände mit den »Sämtlichen Schriften« (und Briefen), in den 60er Jahren von Inge und Peter Rippmann besorgt, sind seit Ewigkeiten nicht mehr zu haben, und auch die zweibändige Auswahl des Aufbau-Verlages, die Helmut Bock und Walter Dietze einst für die Bibliothek deutscher Klassiker zusammenstellten (und die damals mehrere Auflagen erlebte), ist längst auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Im Ramsch landete vor ein paar Jahren Willi Jaspers einbändiger Querschnitt »Über das Schmollen der Weiber« (mit den Berliner Briefen an Jeanette Wohl und anderen Schriften), und auf dieselbe schmähliche Weise wäre uns beinah auch seine verdienstvolle Börne-Biografie abhanden gekommen. Zum Glück nahm sich ihrer der Aufbau-Verlag an und legte sie jetzt in aktualisierter Fassung noch einmal als Taschenbuch vor. Aufbau druckte überdies einen von Frank Stern und Maria Gierlinger herausgegebenen Band mit Arbeiten internationaler Börne-Kenner, eine Sammlung, die im Wesentlichen Wortmeldungen einer wissenschaftlichen Konferenz in Jerusalem zusammenfasst. So müssen uns, weil es von Ludwig Börne nichts oder fast nichts zu lesen gibt (von einer im Campus-Verlag erschienenen Dokumentation und Analyse des Briefwechsels mit Jeanette Wohl abgesehen), die Auskünfte über ihn genügen. Wenigstens kommt er uns dadurch nicht ganz abhanden. Er gehört ja nun einmal zu den brillanten Figuren des 19. Jahrhunderts, als Kritiker und Feuilletonist ein Mann mit Charisma, angriffslustig, originell, ein furchtloser Rebell und Demokrat, neurotischer Goethe-Verächter und geistreicher Widerpart Heines, Vorkämpfer geistiger und sozialer Freiheit und ein Stilist, bei dem man sich nicht langweilen kann. Er kam, geboren als Sohn eines Bankiers, aus der fürchterlichen Enge der Judengasse in Frankfurt am Main, und als er sich auf den Weg machte, alle Diskriminierung zu bannen, wurde aus Juda Löw Baruch der Schriftsteller Carl Ludwig Börne, Verfasser von Aufsätzen, literarischen Skizzen, einer Schrift »Für die Juden«, Theaterberichten und der legendären »Briefe aus Paris«, die sein Hauptwerk wurden und sein größter Erfolg. Damals strahlte sein Stern sogar heller als der seines blendenden Kontrahenten Heinrich Heine. Freilich: Heines Polemik prägt das Börne-Bild im Grunde noch immer. Für Heine war Börne »harmlos wie ein Kind«, ein »armer Mann« und ein »Schiff ohne Anker«. Da waren die anfänglichen Sympathien, die man füreinander hegte, längst verflogen. Die prominenten jüdischen Emigranten, die Galionsfiguren der Opposition, die von Polizeispitzeln und der Zensur verfolgten Anhänger der Revolution waren Gegner geworden, und ehe Heine irgendeiner Einladung folgte, fragte er erst einmal, ob man auch Börne gebeten habe. Sie standen im selben Lager, aber an verschiedenen Enden, uneins in der Frage, ob Literatur politischer Moral unterliegen dürfe und ob der Schriftsteller Partei ergreifen solle oder nicht. Börne war radikaler, eindeutiger als der mitunter zögerliche, zwiespältige, skeptische Heine, und er war deshalb auch nicht der »kleine Tambour-Maitre«, den der andere in seiner Streitschrift aus ihm machte. Auch Börne ist Heine nicht gerecht geworden (so wie er in seinem Hass Goethe nicht gerecht werden konnte), aber er ist sich auch in dieser Auseinandersetzung treu geblieben. Börne schwankte nicht. Er hielt an seinen Überzeugungen und Hoffnungen fest, mischte sich unter das Volk, ging in die Versammlungen der Handwerksleute, redete zum Mann auf der Straße und verfasste politische Adressen. Heine, der sein ästhetisches Empfinden nie unterdrückte, schreckte vor solchen Berührungen zurück, und als man ihn später bat, die schlimmsten Stellen in seinem Börne-Buch nicht drucken zu lassen, konnte er sich die Bemerkung nicht verkneifen: »Aber ists nicht schön ausgedrückt?« Hier, in der fundierten, eleganten Biografie Willi Jaspers und den Aufsätzen über den Deutschen, Juden und Demokraten, tritt Börne aus dem Schatten, in den ihn sein Widersacher stellte. Beide Bücher, so unterschiedlich sie angelegt sind, wollen Gerechtigkeit für ihn. Sie zeigen ihn in seinem Glanz und seiner Widersprüchlichkeit, beschreiben die Konflikte, in die er als Deutscher und Jude geriet, seine Beziehung zu Jeanette Wohl, die ihm Mutter, Schwester und Freundin war, die Herkunft seiner scharfen Goethe-Ablehnung und die Hintergründe des Konflikts mit Heine. Sie suchen ihn unter den Pariser Emigranten und in seinen Schriften, den »Briefen aus Paris« oder den Theaterkritiken, und sichtbar wird einer der furiosesten Publizisten, den die deutsche Literatur kennt, ein radikaler, hellwacher, spöttischer Kopf, ein Autor, der uns weder veraltet noch fremd erscheint. »Börnes Texte«, sagt Frank Stern denn auch mit Recht, »gehören ins zu belebende Feuilleton, in Schul- und Textbücher, auf Lesungen und auf den Bildschirm.« Leider wird man sie dort, wies aussieht, so schnell nicht finden. Schön wärs ja schon, wenn Börne wenigstens...

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