»Feinde« aus der Alten Försterei

Für Fans von BFC und Union begann das Spiel nach dem Spiel

Mit unserer Serie gehen wir ein Jahr lang immer mittwochs auf Zeitreise in den Alltag von 1989. Kleine wie große Ereignisse in der damals noch geteilten Stadt werden eine Rolle spielen. An die Atmosphäre im Wendejahr wollen wir erinnern und an Courage. Verschwundene Orte tauchen wieder auf. Von anderen wird erzählt, die erst 1989 entstanden. Auch Zeitzeugen kommen zu Wort. So soll sich übers Jahr ein Porträt unserer Stadt über die spannende Zeit vor 15 Jahren fügen. Artikel der Serie könnten manchen reizen, sich zu Wort zu melden, weil er in der Nähe der beschriebenen Orte wohnt oder wohnte, weil ihm diese oder jene eigene Episode wieder eingefallen ist. Meinungen und Hinweise sind willkommen. Wir werden sie in Leserbriefen veröffentlichen.

Sonnabend, 18. März 1989. Teile der Berliner Innenstadt waren für den Fahrzeugverkehr gesperrt. Eine bunter Strom von Menschen wälzte sich, zuweilen eingefasst von uniformierten Einsatzkräften, die Friedrichstraße und die Chausseestraße hoch. Sie strebte direkt auf die Mauer zu. Kurz vor Erreichen der Grenze bog der Zug ab - ins Stadion der Weltjugend. Ein Spiel der DDR-Fußball-Oberliga war angesagt. Aus Berliner Sicht das Spiel der Fußball-Oberliga. Traf doch der Underdog 1. FC Union Berlin auf den Serienmeister BFC Dynamo. Jahrzehntelang hatte sich die Rivalität hochgeschaukelt zwischen beiden Vereinen. Union, nur mäßig erfolgreich - und nach seinem einzigen größeren Erfolg, dem Pokalsieg 1968, wegen der sportpolitischen Geplänkel nach der Niederschlagung des Prager Frühlings vom UEFA-Pokal der Pokalsieger ausgeschlossen - vereinte die Sympathien derer, die sich auch zu kurz gekommen wähnten. Zudem war Union Identifikationsmodell für die, denen es stank in der DDR. Gern wurde und wird dem Club ein oppositionelles Image zugeschrieben. Komplementär das Bild des BFC. Die Weinroten, von Polizei und MfS bezahlt, mit dem Minister Erich Mielke als sich selbst so inszenierenden ersten Fan, waren in den Jahren 1979-88 ununterbrochen Meister geworden. Dennoch wollten stets mehr Zuschauer in Berlin die Spiele der Unioner sehen - so sie denn in der obersten Spielklasse antraten. Auswärts zog der BFC gewöhnlich mehr Fans an. Jeder Anhänger von Dynamo Dresden, Lok Leipzig, Wismut Aue oder Hansa Rostock wollte den Favoriten fallen sehen, jeder den privilegierten Berlinern den Hass ins Gesicht schleudern. In der Hauptstadt, direkt unter dem Auge von Mielke, hatte sich unterdessen eine etwa 150 Mann starke Fan-Szene entwickelt, denen die so genannte »dritte Halbzeit«, die Schlacht mit gegnerischen Fans und der Polizei wichtiger war als das Spiel selbst. Heute nennt man Leute wie »Uschi« oder Rainer Lüdtke Hooligans. »Damals gab es das noch nicht. Da hieß das schlichtweg Rowdys«, sagt Lüdtke. Er ist heute ehrenamtlicher Pressesprecher des BFC Dynamo. Obwohl zahlenmäßig nur wenige, waren die BFC-Anhänger wegen ihrer Organisation und Schlagkraft gefürchtet. Bei den Begegnungen mit Union spielte sich über Jahre das gleiche Ritual ab: Erst wurden die Unioner von der Polizei aus dem Stadion gelassen. Die Polizei versuchte, die BFCer zurückzuhalten. Doch die durchbrachen schnell die Kette und stürzten sich von hinten auf die Union-Fans. Es ging darum, die gegnerischen Fans zu »ruppen«, ihnen die von Oma gestrickten Schals und die von Mama genähten Fahnen abzunehmen. Es ging darum, als Mob stark zu sein, den Gegner zu demütigen und das Adrenalin in einer Mischung aus Angst und Lust ins Blut schießen zu spüren. Die Raufereien setzten sich oft in Seitenstraßen der Friedrichstraße fort. Manchmal, so berichtet »Uschi« lächelnd, flogen auch Leute von der Brücke in die Spree. »Doch mit der Stasi«, versichert er, »hatten wir nichts am Hut.« Der Reiz habe ja darin bestanden, gerade bei diesem Verein für Provokationen zu sorgen. Mit der Mannschaft und deren Erfolgen habe man sich aber doch identifiziert. »BFC - okay, Dynamo - nee«, hieß das paradoxe Motto von Identifikation und Ablehnung. Im Jahre 1989 sei man allerdings schon etwas müde geworden. Der BFC lag im Titelrennen hinter den souverän führenden Dynamos aus Dresden aussichtslos zurück. »Wir hatten genug gewonnen. Wir waren satt«, beschreibt »Uschi« die Stimmung der Fans, die - betrachtet man damalige Statements vom BFC-Trainer Jürgen Bogs- durchaus mit der Stimmungslage der Mannschaft korrespondiert haben dürfte. An das Derby im März 1989 können sich weder »Uschi« noch Lüdtke erinnern. »Viele von uns hatten über die Botschaften bereits das Land verlassen. Fußball war nicht mehr so wichtig. Abgesehen von Dresden, kamen so wenige Fans wie lange nicht in die Stadien«, weiß Lüdtke. Nur 10000 Zuschauer wollten das 30. Ortsderby im März 89 sehen. Das Hinspiel am 24. August 1988 (1:1) hatte noch 25000 Schaulustige gelockt. Karsten Heine war beide Male im Stadion der Weltjugend. Der heutige Coach der Amateure von Hertha BSC steht als Trainer des 1. FC Union auf dem Spielberichtsbogen. Doch Szenen vom Spiel hat er kaum vor Augen. »Ich kann mich erinnern, dass wir in jenem Jahr gar nicht so schlecht aussahen gegen den BFC. Im Hinspiel: unentschieden. Für das Pokalspiel in unserem Stadion Alte Försterei hatten wir uns einiges ausgerechnet.« 0:2 ging es verloren. Und im März wollte Heine offensiv zu Werke gehen. Das gelang durchaus. Durch Adam- czewski gingen die Köpenicker nach 24 Minuten in Führung. Der BFC glich wenige Minuten später durch Rohde aus. Offener Schlagabtausch dann in der zweiten Halbzeit. Schulz und Thom erzielten für den BFC ein standesgemäßes 3:1, doch Union erspielte sich die klareren Chancen, berichtete die »Berliner Zeitung«. In der 85. Minute dann der Anschlusstreffer. Kurz darauf wurde das Spiel abgepfiffen. »Zu früh«, wie sich »MichaR« im Forum der Homepage des 1. FC Union zu erinnern glaubt. Ein weiterer Baustein in der unendlichen Geschichte von der tatsächlichen wie vermeintlichen Bevorzugung des BFC. Denn Union hätte ja noch den Ausgleich erzielen können. Karsten Heine sieht die Dominanz des BFC weniger in strittigen Schiedsrichterleistungen begründet als in der vorbildlichen Nachwuchsarbeit. Die Feindschaft der Fans hatte sich ohnehin nicht auf die Sportler niedergeschlagen. Vier ehemalige Dynamos standen in der Anfangsformation der Wuhlheider. »Die Spieler waren wichtige Verstärkungen für uns. Es guckt keiner, wo die Leute herkommen, sondern nur danach, wie sie helfen können. Das ist bei jeder Mannschaft so, damals wie heute.« Doch auch die Verstärkungen konnten Union nicht vor dem Abstieg als Tabellenletzter bewahren. Der BFC wurde erstmals seit zehn Jahren nicht mehr Meister. Trainer Bogs wurde entlassen. Die Mannschaft brach nach dem Mauerfall auseinander. Thom, Doll, Ernst, Rohde waren die ersten, die nicht mehr »Republikflucht« begehen mussten, um in der Bundesliga zu spielen. Ihr früherer Verein spielt jetzt in der 5. Liga und zeichnet sich wieder durch gute Nachwuchsarbeit aus. 18 Mannschaften tragen weinrote Trikots. Union ist nach Jahren der Skandale im deutschen Profifußball angekommen und wieder die zweite Adresse in der Stadt, diesmal nach Hertha BSC. Von Benachteiligung ist an der Alten Försterei heutzutage kaum noch die Rede. Das Schicksal liegt in eigener Hand. Im Sportforum hingegen knabbert man an der Geschichte von Stasi-Club und Hooligans. »Zu uns kommt doch kein Sponsor«, meint Lüdtke. Und zieht daraus die Konsequenz, erneut Elite sein zu müssen, nämlich als Fan den Verein aufzubauen. Das Vereinsheim etwa wurde von den Fans in Eigenleistung errichtet, die Schalensitze eigenhändig montiert. Nach dem Ende der Förderung ...

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