Mild salzen und nicht so dick Butter

Christa Wolf ist auch als Gesprächsleiterin eine ausgesuchte Kraft

  • Brigitte Zimmermann
  • Lesedauer: 4 Min.
Es ist keineswegs so, dass Christa Wolf sich nur zu Weltfragen gescheit zu äußern weiß. Das kann die kleine Frauengruppe bestätigen, die seit Jahren Schnitten, Brötchen, Grünzeug usw. vorbereitet, damit der Gesprächskreis, den Christa Wolf in jeder Bedeutung des Wortes unterhält, nicht unverhofft vom Fleische fällt. Die beiden letzten Jahre musste die Arbeit wegen widriger Umstände am Veranstaltungsort übrigens bei Wolfs zu Hause in der Küche geschehen. Mit zwei Grundsätzen hat uns die Dichterin dabei immer wieder versehen: »Mild salzen« und »Die Butter nicht zu dick. Cholesterin!« Zudem folgte nach der Begrüßung ständig ihr Kassandra-Ruf: »Heute kommen bestimmt wenig.« Den unterließ sie zuletzt, weil wir sie immer ausgelacht haben. Zu Recht. Zu den außerliterarischen Verdiensten Christa Wolfs gehört unbedingt dieser Gesprächskreis, den sie seit fast 15 Jahren leitet und der, persönliche Einladung Bedingung, bei den monatlichen Treffen schon auf über hundert Personen anwuchs. Dabei kann man die als ernst geltende Autorin humorvoll und schlagfertig erleben, je älter sie wird, desto mehr. Aber sie hat alle gewarnt, die Debatten öffentlich zu machen. Bemerkenswert, weil dem Kreis einige Journalistinnen und Journalisten nicht nur zugehören, sondern schon Diskussionsgrundlagen liefern durften. Aber keiner erlaubte sich eine Übertretung. Die Zunft ist mitunter besser als ihr Ruf. Dagegen steht aber Christa Wolfs auch bittere Erfahrung, wirkliche Bemühungen in der Sache besser fern zu halten von den häufigen Scheingefechten der Medienwelt. Verbürgt ist, dass der Gesprächskreis mit einer Debatte um ihr Buch »Störfall« begann, die die DDR-Akademie der Künste zum 60. Geburtstag Christa Wolfs veranstaltete. Da in dieser heißen Zeit und bei offener werdenden Verhältnissen das Bedürfnis nach Austausch groß war, wurde er zu anderen Themen fortgesetzt. Und in den neuen Verhältnissen wuchs der Wunsch nach Verständigung erst recht, auch bei Christa Wolf selbst. Sie schlug weiter Themen vor, lud Partner zur halbstündigen Einführung, würzte sie mit eigenen Gedanken und los ging es. Durchgängig aktuell und nicht frei von Turbulenzen in den Debatten ist das deutsch-deutsche Verhältnis gewesen sowie die so genannte Aufarbeitung der Vergangenheit. Ein anderer großer Komplex hieß Globalisierung. Und zuletzt gab es mehrere Gespräche zur Osterweiterung der EU. So machte Prof. Karl Schlögel von der Viadrina auf den Zündstoff aufmerksam, der sich anhäuft, weil in Osteuropa lediglich Korridore der Modernisierung entstehen, aber schon 50 km weiter riesige Gebiete existieren, in denen die Menschen nicht mal ein Telefon besitzen. Die Liste der Vortragenden umfasst von Thierse über Richard von Weizsäcker bis Bisky erste Adressen der deutschen Politik. Auch Schriftsteller standen Rede und Antwort, selbst Nobelpreisträgerin Nadine Gordimer nahm das Wort. Und natürlich Wissenschaftler, Historiker zumal, denn Interesse an der Wissenschaft ist eine wichtige Koordinate in Christa Wolfs Schaffen. Turbulenzen also. Richard von Weizsäcker hielt einen blendenden Vortrag des Inhalts, dass es zur Marktwirtschaft und zur Demokratie keine Alternativen gebe, nur die Ethik bliebe zurück, an ihr müsse gearbeitet werden. Als einen Maßstab führte er das Wirken der Communitarier in den USA an, die selbstlos öffentliche Aufgaben übernehmen. Diese Sicht stieß nun, milde gesagt, nicht durchgängig auf Zuneigung. Es wurde auf den Zusammenhang von Ökonomie und Ethik hingewiesen und darauf, dass die westliche Ethik gar kein universelles Prinzip sein kann. Derlei Einspruch hatte der Redner nicht erwartet, er wurde zeitweilig intensiver in der Tonlage. Christa Wolf, darauf achtend, dass alles im Rahmen bleibt, zeigt sich andererseits nie bereit, Widersprüche zuzudecken. Im Gegenteil. Da ist sie, rheinländisch formuliert, gelegentlich sogar mild am Salzen. Unvergessen ihre Bemerkung zu Richard von Weizsäcker: »Ich wusste gar nicht, dass Sie so schreien können.« Das Gespräch ist gut zu Ende gekommen. Unversöhnlicher dagegen der Diskurs mit Hans Magnus Enzensberger über sein Buch »Aussichten auf den Bürgerkrieg«. Die Kritik, er empfehle angesichts aktueller Gefährdungen offenbar Rückzug aufs Private, was manche herausgelesen hatten, führte er nicht zuletzt auf ostdeutsche Sozialisation und Dummheit zurück. Ein Irrtum, weil massivste Anmerkungen gar nicht von Ostdeutschen, sondern von Westdeutschen gemacht wurden. Gegen die allseitige Befremdung kam selbst die gewandte Christa Wolf nicht recht an. Dies zu schreiben ist kein Verstoß gegen ihren Wunsch nach Ausschluss der Öffentlichkeit. Denn sie wird die Runde ihrerseits beenden, um sich nicht weiter mit Terminen unter Druck zu setzen. Wenn sich der Kreis also Ende März letztmalig unter ihrer Leitung trifft, wird Trauer um sich greifen. Auch in der Küche haben wir ihr schon gesagt, dass uns diese ABM-Stellen, wie wir sie nannten, fehlen werden. Mit Blick auf die 15 Jahre lässt sich ein Bezug zum Anfang von Christa Wolfs Buch »Kindheitsmuster« herstellen. »Die Vergangenheit ist nicht tot; sie ist nicht einmal vergangen«, heißt es da. Auch die Gegenwart ist nicht einfach gegenwärtig. Man kann sie sich erarbeiten. Wie? Im Zweifel mild salzen und nicht so dick Butter.
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