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Deutsches Heim

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Ulrike Marie Meinhof: Bambule. Fürsorge - Sorge für wen? Verlag Klaus Wagenbach. Berlin 1994. 134 S..br., 16,80 DM.

Im Januar 1972, auf dem Höhepunkt der westdeutschen Terrorismushysterie, schrieb Heinrich Böll in einem SPIE-GFL-Essay „Haben die Polizeibeamten, Juristen, Publizisten je bedacht, daß alle Mitglieder der Gruppe um Ulrike Meinhof, alle, praktische Sozialarbeit getan haben und Einblick in die Verhältnisse genommen, die möglicherweise zu dieser Kriegserklärung ge-Anzeige

führt haben? Schließlich gibt es das Rotbuch 24 des Wagenbach Verlags, Titel: .Bambule', Verfasserin Ulrike Meinhof. Lesenswert, aufschlußreich als Film immer noch nicht gesendet.“ Dieses Plädoyer machte Böll selbst zur Zielscheibe der staatlich geförderten Sympathisantenjagd, ebenso den Wagenbach Verlag, der durch wirtschaftliche' Sanktionen, Polizeiaktionen und Einschüchterungsversuche mundtot gemacht werden sollte.

Vergeblich - auch heute hoch, im Jahr seines 30jährigen Bestehens, ist der Verlag Klaus Wagenbach eine gute Adresse; für Literatur gegen die herrschenden Verhältnisse. Zu seinem Jubiläum hät'er'eine Neuauflage von „Bambule“ herausgebracht, das Drehbuch für jenen Film, den Böll 1972 angemahnt hatte, der aber erst jetzt, im Sommer 1994!, im Fernsehen ausgestrahlt worden ist.

Das 1969 geschriebene Drehbuch berichtet vom Eichendorf, einem Mädchenheim in Berlin. Es gab schlimmere Heime, die wegen ihrer Kasernenhofmentalität gefürchtet waren. Ulrike Meinhof kannte sie aus ihrer Arbeit mit Trebegängerinnen, die aus solchen Anstalten entflohen waren. Sie wählte das eher liberale Eichendorf, weil es ihr nicht darum ging, einige Skandale anzuprangern, sondern die Heimerziehung selbst zum Skandal zu machen: „Heimerziehung, das ist der Büttel des Systems, der Rohrstock, mit dem den proletarischen Jugendlichen eingebläut wird, daß es keinen Zweck hat, sich zu wehren, keinen Zweck etwas anderes zu wollen, als lebenslänglich am Fließband zu stehen.“

Das Buch handelt vom alltäglichen Kampf der Mädchen ums Überleben. Ulrike Meinhof läßt sich auf die Jugendlichen ein, stilisiert sie nicht zu Heldinnen^ sondern zeigt sie mit ihren Ängsten, ihren Hoffnungen, ihren Widersprüchen, aber auch mit ihrem Widerstandsgeist. Sie begleitete mit großen Engagement das Filmprojekt, oft nicht zur Freude der Filmemacher, die ihr in nächtelangen Diskussionen manche ihrer allzu vordergründig-plakativen Regievorschläge ausreden mußten, wie sie in einem in die Neuauflage aufgenommenen Kapitel berichten.

Die Neuauflage von „Bambule“ ruft uns Ulrike Meinhof als politisch handelnde Frau in Erinnerung, die nicht erst den Vietnamkrieg brauchte, um Gewalt und Unterdrückung in dieser Gesellschaft zu erkennen. „Was Ulrike Meinhof umgebracht hat, waren die deutschen Verhältnisse. Der Extremismus derjenigen, die alles für extremistisch erklären, was eine Veränderung der Verhältnisse auch nur zur Diskussion stellt“, sagte Klaus Wagenbach in seiner Grabrede für Ulrike. Meinhof.

PETER NOWAK

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