Hoden auf kleiner Flamme geschmort
Ein Buch für den Papierkorb: Thor Kunkels »Endstufe« - Versuch eines Nazipornos
Ed Wood« heißt ein Film des genialen Tim Burton über den schlechtesten Filmemacher aller Zeiten. Wir bekommen einen bizarren Einblick in Hollywoods C-Picture-Machwerke, wo Pappteller an Fäden kreisten und so taten, als seien sie fliegende Untertassen. Das Publikum bog sich denn auch vor Lachen, bei so viel enthusiastischem Unvermögen. Ed Wood konnte einem Leid tun: so viel spätpubertärer Wille und so wenig handwerkliches Können. So viel Sendungsbewusstsein, so ganz ohne Sendung. Thor Kunkel (geb. 1963) ist der Ed Wood dieses Buchjahrgangs. Nur so richtig lachen mag man da nicht.
Vielleicht, dachte man am Anfang noch, ist das ja alles ein Feuilleton-Missverständnis, diese Häme über »Endstufe«. Wollte das Buch nicht die NS-Zeit als Teil der Moderne von ihrer Alltagsseite her begreifen, wie es hieß? Hat die technisch hochgerüstete Dekadenz unserer Zeit also hier ihre Wurzel? Ein extremer Gedanke, aber immerhin etwas, das Licht bringt in die dunkle Angelegenheit. Auch der Rowohlt-Verlag hatte Kunkels Buch angekündigt als »packendes, minutiös recherchiertes Porträt der morbiden Nazi-Gesellschaft«. Hört sich ganz gut an. Nationalsozialismus hat mit Sozialismus natürlich nichts zu tun, das begreift dieser Autor immerhin. Nationalsozialismus ist ein Produkt des Kapitalismus. Hätte er es bei dieser nüchternen Einsicht belassen, wäre alles gut. Aber welches - fiktionale! - Beispiel greift er sich zur Demonstration heraus? Den Zusammenhang von Nazis und Sex, genauer von Pornos. Pornographie, so Kunkel, sei ein Symbol für die ökonomische Verwertung des Menschen. Da ist er dann bereits marktschreierisch auf dem Feld der Klischees unterwegs, um sich als Tabubrecher auszugeben. Nazis und Sex? Ich denke dabei an Rassegesetze und Lebensborn-Ideologie. Überhaupt: Nazi wird man - salopp gesagt - eher aus einem Mangel an Sex, nicht aus einem Zuviel. Sex-Orgien von SS-Offizieren, das ist Trash-Fantasie, mehr nicht. Und die breitet Kunkel genüsslich auf Hunderten von Seiten aus.
Alexander Fest, der Rowohlt-Verleger, war tief erschrocken, als er einen Blick ins fertige Manuskript warf, das sein Verlag bereits so vollmundig angekündigt hatte und sprach von einer »Wiedergeburt Parsifals als rechter Schläger«. Rowohlt veröffentlichte »Endstufe« konsequenterweise nicht. Stattdessen erschien das Buch jetzt bei Eichborn. Einem sonst hochseriösen Verlag, in dem auch die von Hans Magnus Enzensberger herausgegebene »Andere Bibliothek« erscheint. Und nun dieser Sündenfall! Ob gut oder nicht gut, das Buch wird ein Erfolg, einfach, weil alle darüber reden, muss man im Verlagsmanagement gedacht haben. Vorsorglich drohend verweist der Pressetext schon mal auf Unterlassungsklagen, die Buch und Autor vor Falschdarstellungen schützen sollen. So was mögen die Kritiker. Warum hat es Eichborn denn nicht selbst unterlassen, dieses Mach-Werk zu verbreiten?
Zum Inhalt: Es geht um SS-Leute als Dandys, die lässig die schwarzen von Hugo Boss geschneiderten Uniformen tragen (nur der Mode wegen), Sportwagen fahren, obercoolen Party-Text plappern (584 Seiten lang) und Pornos drehen, mit denen sie dann handeln. Klein Thor spinnt sich eine Nazi-Zeit zusammen, die aussieht wie eine bunte Postkarte. Einzig authentischer Punkt dabei: Tatsächlich gab es wohl so etwas wie die »Sachsenwald«-Filme, Pornos, die 1940 gedreht und gegen rüstungsnotwendige Rohstoffe eingetauscht werden sollten. Eine Facette am Rande. Und nun die geballte Macht des damit Kasse machenden Voyeurismus! Dies ist die ultimative Dritte-Reich-Nostalgie-Show, als literarisches Frühjahrsevent serviert. Und das ist nicht nur ziemlich blöd, sondern auch dreist. So dreist, dass man denkt, vielleicht ist das doch alles nur Provokation, eine Satire, die die herrschenden Medienmechanismen nur konsequent zu Ende bringt: Endstufe eben. Der saloppe SS-Hygieniker Karl Fußmann und Lolotte bei wilder Halbweltorgie. Wer will das lesen?
Zum Praxistest wird die Buchpremiere Kunkels in der Berliner Kalkscheune. Freie Plätze bleiben, auch wenn Kunkel mit zwanzig Minuten Verspätung anfängt. Ein paar auffällige Kurzhaarfrisuren haben sich ebenfalls hierher verirrt, sonst das übliche Szenepublikum. Vorwiegend abwartend. Nichts sieht hier nach Skandal aus, eher nach langweiligem Buch. Kunkel kündigt an, gegen die »Schwafelbesprechungen« des Feuilletons wolle er hier und jetzt die »moderne Liebesgeschichte« stellen. Also so etwas wie die Legende von Paul und Paula auf nazideutsch?
Das eigentlich Erschütternde an dem, was Kunkel nun liest, ist das durchdringend Dröge, die völlige Unfähigkeit zum Sprachbild. Das hat die Expressivität angesoffener Kneipenrunden. Und ist zugleich steril wie eine Buchhalterseele. Selbstauskunft Kunkels im Klappentext: »Ich benutze die Pornographie als poetische Metapher, um das Phänomen Drittes Reich vollständig zu erfassen.« Vollständig? Mittels Porno als poetischer Metapher? Das ist der Größenwahn simpler Gemüter, vor deren Sendungswillen man sich schnell zu fürchten beginnt. Ansonsten ist alles beisammen im Alpenwiesenbild. Irgendwo ist bestimmt auch ein röhrender Hirsch dabei.
Popkultur blickt auf Nazi-Zeit, und was ihr entgegenblickt, ist eine Pop-Nazi-Moderne. Wenn die ewig locker-leichte Spaß-Fraktion Geschichtsbilder ausmalt, dann ähneln diese ihr selbst zum Verwechseln. »Sieg Geil« ist dabei noch der originellste Einfall Kunkels.
Dies war eine Lesung, da muss man auch den Vorleser kritisieren. Er hat mehr als einen Sprachfehler, sagt »Küsche« statt »Küche« und »Tich« statt »Tisch«. Ein Z kann er nicht sprechen, was bei Worten wie »Zwieback« fatal wird. Er verdreht »g« und »k«, sagt »klücklich« und »klaubte«, dafür »Plödsinn« und »Opel Plitz«. Das ist auch ganz lustig, aber eigentlich doch keinen Eintritt wert.
Wir hören von Bootshäusern, die »schmuck« sind, vom Sommer der »funkelte und brauste« und von Hoden, die »auf kleiner Flamme schmorten«. Jemand »heult wie ein getretener Hund«, ein Lächeln ist »zuckersüß« und ihre Augen »strahlten wie Bunsenbrenner«. Diese Reihe kann man beliebig fortsetzen - am Ende ruft immer ein verzweifelter Papierkorb.
Dann macht Kunkel eine erste Pause: »Könnte ich etwas Wasser bekommen, sonst wird das hier eine trockene Veranstaltung, so ähnlich wie trocken ficken.« Eine trockene Veranstaltung bleibt es auch so, da hilft das gesammelte pseudo-expressionistische Muskelspiel nichts. Kunkel kompensiert fehlendes Vermögen zum drastischen Sprachbild mit schlechtem Benehmen, das sich bis ins Buch fortsetzt. Er möchte wohl gern so sein wie Gottfried Benn, der schrieb: »Die Krone der Schöpfung, das Schwein, der Mensch.« Zur Erinnerung: Benn war kultiviert. Kunkel aber stemmt Papphanteln und grimassiert. Das ist alles.
Nach einer Stunde macht er eine zweite Pause. Es wird höchste Zeit, diese makabre Veranstaltung zu verlassen. Literaturkritik ist für dieses Groschenheftgeschwätz auf Landserzotenniveau sowieso nicht zuständig. N...
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