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  • Vor 50 Jahren wurde Belgrad von der faschistischen Okkupation befreit / Die Geschichte einer NKFD-Einsatzgruppe

Ein lebensgefahrlicher Auftrag

  • Lesedauer: 4 Min.

Unteroffizier Max Moschek ist der Ältere und Erfahrenere, Obergefreiter Walter Schönbrunn etwas jünger, lebhafter und unerfahrener Beide gehören einer Einsatzgruppe des Nationalkomitees „Freies Deutschland“ (NKFD) unter Oberleutnant Eberhard Charisius beim Stab der 3. Ukrainischen Front der Roten Armee an. An einem trüben Herbsttag 1944 treffen sie sich mit Charisius in einem unscheinbaren Häuschen am Rande von Negotin, einer Kleinstadt nahe der Donau, an der Grenze zwischen Jugoslawien und Rumänien. Obwohl Moschek und Schönbrunn bereits 'in ihren Auftrag korrekt eingewiesen worden sind, will sich Charisius noch einmal vergewissern, ob beide, denen schließlich die Verantwortung über das Leben zahlreicher Menschen und das Schicksal einer nicht unwichtigen Operation obliegt, auch wirklich exakt Bescheid wissen. Eigentlich hatte Leutnant

Grawe das Kommando über den kleinen Trupp führen sollen, doch erklärte dieser dann, daß er sich der Aufgabe nicht gewachsen fühle. Es gehört zur Praxis in Einsatzgruppen des NKFD, daß niemand gezwungen werden kann, wenn lebensgefährliche Aufträge zu erledigen sind.

Moschek und Schönbrunn sollen sich in das Gebiet des Feindes begeben und dem Kommandeur der 1. Gebirgsjäger-Division, Generalleutnant von Stettner, einen Brief von Charisius überreichen, in dem dieser auf die aussichtslose Lage seiner Einheit hingewiesen und vorgeschlagen wird: „Gehen Sie an der Spitze Ihrer Division auf die Seite des Nationalkomitees über... Ich fordere Sie auf, ihre Pflicht gegenüber den Ihnen anvertrauten Männern zu erfüllen, ihr

Leben zu retten und sie aus dem von Hitler verlorenen Krieg herauszuführen.“ Es folgen konkrete Hinweise zur Art und Weise der Kapitulation.

Bevor die beiden Parlamentäre gegen 23 Uhr unbewaffnet und ohne Dokumente in der dunklen und verregneten Nacht vom 6. zum 7. Oktober 1944 die sowjetischen Linien überschreiten, drückt ihnen ihr Kommandeur noch einmal kräftig die Hände: „Machts gut Kameraden! Und kommt gesund zurück!“

Am Mittag des nächsten Tages stoßen Moschek und Schönbrunn, hungrig und erschöpft, auf einen vorgeschobenen MG-Posten der Wehrmacht. Sie erklären, aus russischer Kriegsgefangenschaft geflohen zu sein. Wenige Stunden später stehen sie im Stab der 1. Gebirgsjäger-Division vor ei-

nem Abwehroffizier. Hier erklären die beiden, was sie wirklich über die Frontlinie führte. Der Abwehroffizier, Oberleutnant Dr. Rothfuchs, ist offensichtlich überrascht. Konsterniert meldet er Moschek und Schönbrunn dem Generalleutnant. Dieser läßt beide sofort zu sich führen. Nachdem er den Brief gelesen hat, antwortet er lakonisch: „Über die erste Frage bin ich mir im klaren - ein deutscher General kapituliert nicht. Über die zweite Frage bin ich mir noch nicht klar, nämlich, was ich mit Ihnen mache.“

Moschek und Schönbrunn werden zunächst arretiert, später einer Kampfgruppe zugewiesen, da die Division bereits große Verluste erlitten hat. Unter den machtvollen Angriffen der jugoslawischen Volksbefreiungsarmee und der Roten Armee muß sie sich in

Richtung Belgrad zurückziehen. Am 16. Oktober läßt von Stettner am Fuße des Berges Avala, etwa 25 km vor Belgrad, die Verwundeten ohne ärztliche Hilfe zurück.

Moschek und Schönbrunn nutzen im Chaos der panikartigen Flucht einen günstigen Augenblick, um sich von der Division zu entfernen und zu ihrer Einsatzgruppe durchzuschlagen - in ihrem „Gefolge“ befinden sich etwa 200 deutsche Soldaten, wie Charisius später stolz an die Zentrale des NKFD berichten kann.

Der Angriff der Volksbefreiungsarmee Jugoslawiens und der Roten Armee auf die faschistischen Besatzer Belgrads beginnt am Nachmittag des 14. Oktober 1944. Ihnen stehen 45 000 deutsche Soldaten gegenüber, die fanatisch darauf eingeschworen sind, die „Fe-

stung Belgrad um jeden Preis zu halten und den Rückzug von 300 000 Wehrmachts-Soldaten aus Griechenland abzusichern.

An den erbitterten, tagelangen Kämpfen um Belgrad ist auch die NKFD-Einsatzgruppe unter Charisius beteiligt. Mit einem Lautsprecherwagen fahren die deutschen Antifaschisten bis an die Stadtgrenze und rufen zur Kapitulation auf. Allein am 17 und 18. Oktober 1944 laufen mehr als 2 000 deutsche Soldaten über, unter ihnen auch Männer der 1. Gebirgsjäger-Division.

Während der Schlacht um Belgrad verloren 16 680 deutsche Soldaten das Leben, 10 000 wurden gefangengenommen.

Für Max Moschek, Walter Schönbrunn und Eberhard Charisius endete der Einsatz für das NKFD im Sommer 1945 in Wien.

FRANZ-KARL HITZE

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