»Weib, was habe ich mit dir zu schaffen?«

Der paradoxe Kult: Die Marienverehrung in der katholischen Kirche

  • Ingolf Bossenz
  • Lesedauer: ca. 8.5 Min.
Auf dem Schreibtisch von Papst Johannes Paul II. steht ein Bild. Dass es das einzige Bild ist, unterstreicht seine Bedeutung für das Oberhaupt der katholischen Kirche. Dargestellt ist Maria von Guadalupe, die Heilige Jungfrau, die 1531 am Rande des heutigen Mexiko-Stadt einem Indio erschienen sein soll, was dann die Bekehrungen der Ureinwohner der Neuen Welt offenbar ungemein erleichterte. Die Stätte gehört neben Lourdes (Frankreich), Fátima (Portugal) oder Medjugorje (Bosnien-Herzegowina) zu den berühmtesten Marienwallfahrtsorten. Als erster Papst besuchte Johannes PaulII. 1979 während seiner ersten Auslandsreise das Heiligtum von Guadalupe. Dabei stellte er zugleich sein Pontifikat unter den Schutz der Gottesmutter. Auch der von ihm gewählte Wappenspruch »Totus Tuus« (Ganz Dein) ist ihr gewidmet. Bei seinen über hundert Auslandsreisen gehörte der Besuch der Marien-Heiligtümer zu den Selbstverständlichkeiten. Mit dem jetzt fast 84-jährigen Karol Wojtyla erreichte der Marienkult der römischen Kirche eine neue Dimension. Während der Vatikan katholische Frauen weiter reglementiert, ihnen nach wie vor nur kümmerliche Rechte zugesteht und kirchliche Ämter vollends verwehrt, ist Maria ihrem Sohn Jesus um Längen voraus, was die religiöse Verehrung und Vermarktung betrifft. Ein paradoxer Kult. Angesichts des offenbar geringen Interesses der Evangelien-Autoren an der Mutter Jesu ist die spätere Rolle Marias in der christlichen Literatur und Frömmigkeit umso erstaunlicher. Die Evangelien geben eher spärliche Auskunft über die »Mutter unserer Kirche« (Johannes Paul II.). In den Briefen des Apostels Paulus kommt sie namentlich überhaupt nicht vor. Es wird lediglich darauf verwiesen, Jesus sei »geboren von einer Frau«. Wiederholt wird in den Evangelien Entfremdung zwischen Jesus und seiner Mutter (sowie der Familie insgesamt) deutlich. So berichtet Markus: »Da kamen seine Mutter und seine Brüder; sie blieben vor dem Haus stehen und ließen ihn herausrufen. Es saßen viele Leute um ihn herum und man sagte zu ihm: Deine Mutter und deine Brüder stehen draußen und fragen nach dir. Er erwiderte: Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder?«* Laut Lukas äußerte sich Jesus an anderer Stelle noch drastischer: »Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein Leben gering achtet, dann kann er nicht mein Jünger sein.« Und als auf der Hochzeit zu Kana die Getränke knapp werden, kommt es, wie der Evangelist Johannes vermeldet, fast zum Eklat zwischen Mutter und Sohn: »Als der Wein ausging, sagte die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr. Jesus erwiderte ihr: Was willst du von mir, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.« Noch barscher in der Lutherbibel: »Weib, was habe ich mit dir zu schaffen?« Auch die vom Kreuz herab an Maria gerichteten Worte - ebenfalls bei Johannes - lassen kaum auf ein besonders inniges Mutter-Sohn-Verhältnis schließen: »Frau, siehe, dein Sohn!« Womit Jesus nicht einmal sich selbst meint, sondern auf seinen Lieblingsjünger Johannes hinweist, der sich nun um Maria kümmern soll. Angesichts des offenbar geringen Interesses der Evangelien-Autoren an der Mutter Jesu ist die spätere Rolle Marias in der christlichen Literatur und Frömmigkeit umso erstaunlicher. Der Schriftsteller und Vatikanexperte Peter de Rosa nennt sie »eine der bemerkenswertesten Entwicklungen in der Religionsgeschichte«. Die durch den spätestens im 3. Jahrhundert zu prächtiger Blüte strebenden Marienkult mögliche Anbetung einer Frau war zweifellos ein hervorragendes Komplement zur Figur des von den römischen Besatzern ans Kreuz genagelten Mannes. Zudem kam die Schlichtheit dieser Figur der Volksfrömmigkeit weit mehr entgegen als die intellektuell ausgesprochen sperrige Konstruktion der Dreieinigkeit von Vater, Sohn und Heiligem Geist. Es gab sogar innerhalb der Kirche Bestrebungen, diese durch Vater, Mutter und Sohn abzulösen. Auf dem Konzil von Konstantinopel im Jahre 381 wurde dieser Versuch allerdings endgültig abgewehrt. Zuletzt wird im Jahr 2002 in den von der Vatikanischen Liturgiekongregation erlassenen »Richtlinien zur Volksfrömmigkeit« ausdrücklich darauf verwiesen, dass die Marienverehrung der Lehre von der Dreieinigkeit untergeordnet bleiben müsse. Der Marienkult kam auf, als sich das Christentum im Römischen Reich zur Staatsreligion entwickelte. Seit dem 3. Jahrhundert waren Bilder der Gottesmutter verbreitet und wurden Mädchen Maria genannt. Im 4. Jahrhundert erfolgte die Gleichstellung mit den anderen Heiligen, ab dem 5. sind Mariengebete und -feste bekannt, auch wird von Marienerscheinungen berichtet. Reliquien der Maria werden seit dem 6. Jahrhundert präsentiert. Selbst Papst-Gegner Martin Luther nannte Maria »die Frau über alle Frauen, die Fürstin unter dem ganzen menschlichen Geschlecht«. Doch gerade die menschlichen Züge wurden dieser Frau über die Jahrhunderte ausgetrieben. Dass die absurde These der so genannten Jungfrauengeburt, die sich übrigens nur bei Matthäus und Lukas findet, von Rom bis heute gepflegt wird, sagt mehr aus über die Unreformierbarkeit der katholischen Kirche als die von der leiblichen Auferstehung Jesu. Während letztere für das Glaubensgebäude des Katholizismus durchaus existenziell sein mag, ist erstere dafür schlicht überflüssig. »Jesu Gottessohnschaft hängt nicht an der Jungfrauengeburt«, meint der Schweizer Theologe Hans Küng. Denn: »Geburt aus Gott und menschliche Zeugung machen sich keine Konkurrenz.« Zudem beruht das im Neuen Testament auftauchende Wort »Jungfrau« wohl schlicht auf einem Übersetzungsfehler. So heißt es beim Propheten Jesaja: »Darum wird euch der Herr von sich aus ein Zeichen geben: Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären und sie wird ihm den Namen Immanuel (Gott mit uns) geben.« Auf diese Prophezeiung bezieht sich der Evangelist Matthäus. Bei Jesaja ist im Original der hebräischen Bibel aber von »alma« die Rede, was nicht Jungfrau, sondern junge Frau bedeutet. Wie man heute weiß, benutzten die Autoren des Neuen Testaments die »Septuaginta«, eine lange vor Beginn der christlichen Zeitrechnung angefertigte griechische Übersetzung der alten jüdischen Schriften. Da dort von einer »Jungfrau« die Rede war, konnte ein bis heute währender Mythos entstehen. War bereits die angebliche Jungfrauengeburt für die Begründung einer Gottessohnschaft Jesu eine groteske theologische Verrenkung - den ersten griechischen Christen reichte das nicht. Obwohl die Evangelisten offenbar von einer späteren normalen Ehe Marias mit Joseph ausgingen (Jesus hatte immerhin mehrere Geschwister), entstand die Legende, Maria sei bis zum Ende ihrer Tage Jungfrau geblieben. Für den katholischen Klerus mit Papst Johannes Paul II. an der Spitze gilt das bis heute als eine für den Glauben unverzichtbare Maxime. Eine »gynäkologische Klapperstorchtheorie«, wie die streitbare katholische Theologin Uta Ranke-Heinemann anmerkt. Da die Kirche bemüht war, den Mythos Maria nach allen Seiten abzusichern, war selbst das nicht genug. Die »unbefleckte« Empfängnis Marias musste her - als Fest bereits im 3. Jahrhundert entstanden. Auch Maria selbst sei ohne die von der Kirche erfundene »Erbsünde«, also bar jeder physischen Beteiligung eines Mannes, gezeugt und geboren worden, so das Diktum. 1854 erklärte Papst Pius IX. diesen Aberwitz zu einem für alle Katholiken verbindlichen Glaubenssatz (Dogma). In seinem Werk »Die Massenpsychologie des Faschismus« schrieb der österreichische Psychoanalytiker und Psychiater Wilhelm Reich (1897-1957): »Die unwiderlegbare klinische Erfahrung besagt, dass in gehemmter Sexualerregung die Quelle der mystischen Erregung zu suchen ist. Daraus folgt der zwingende Schluss, dass klares sexuelles Bewusstsein und natürliche Ordnung des sexuellen Lebens das Ende des mystischen Empfindens jeder Art sein muss, dass also die natürliche Geschlechtlichkeit der Todfeind der mystischen Religion ist. Wenn die Kirche, wo immer sie kann, den antisexuellen Kampf führt, ihn in das Zentrum ihrer Dogmen und in den Vordergrund der Massenbeeinflussung stellt, so gibt sie dieser Auffassung damit nur Recht.« Diese Aussage des Freud-Schülers Reich ist in ihrer Absolutheit und ihrer alleinigen Fixiertheit auf das Sexuelle gewiss überzogen. Doch bis heute bündelt sich die lustfeindliche und auf Unterdrückung der natürlichen Sexualität gerichtete Ideologie der katholischen Kirche in dem von ihr geschaffenen Marienbild. Dieses Bild wurde und wird von Papst Johannes Paul II. gepflegt und erhöht, wie es kaum einer seiner Vorgänger tat. Demut und Keuschheit bilden zugleich die bestimmenden Attribute der wertkonservativ-reaktionären Frauen- und Familienpolitik unter dem Pontifikat des 265. Nachfolgers Petri. Der letzte Papst, der sich vor Johannes Paul II. derart für Maria engagiert hatte, war Pius XII., der wegen seines Schweigens zum Holocaust in Rolf Hochhuths gleichnamigem Drama kritisierte »Stellvertreter«. 1942 weihte der Italiener mit dem bürgerlichen Namen Eugenio Pacelli die Menschheit Maria - als »Herrscherin des Universums«. Das war im selben Jahr, als in Auschwitz Tag und Nacht die Öfen brannten und das Kirchenoberhaupt erste verlässliche Nachrichten über das ganze Ausmaß der »Endlösung« erhielt. Bis heute bündelt sich die lustfeindliche und auf Unterdrückung natürlicher Sexualität gerichtete Ideologie der katholischen Kirche in dem von ihr geschaffenen Marienbild. 1950 erhob Pius XII. es zum glaubensverbindlichen Dogma, dass Maria mit »Leib und Seele« im Himmel aufgenommen worden sei. Das vom Reform-Papst Johannes XXIII. einberufene Zweite Vatikanische Konzil dämpfte mit seiner - wenn auch zaghaften - ökumenischen Öffnung den offiziellen Marienkult. Als Johannes-Nachfolger Paul VI. Maria formal den Titel »Mutter der Kirche« verleihen wollte, lehnte das die Mehrheit der Bischöfe ab. Man befürchtete, die zarten ökumenischen Pflänzchen zu gefährden. Bestehen doch insbesondere viele protestantische Kirchen seit Reformationszeiten darauf, Jesus und die Heilige Schrift ins Zentrum des christlichen Glaubens zu stellen. Nach seiner Wahl zum Pontifex maximus zwang Karol Wojtyla auch den widerspenstigen Klerikalen seine systematische Erhöhung des Marienkultes auf. Schließlich kommt Johannes Paul II. aus einem Land, wo die Verehrung der Muttergottes dominierender Bestandteil der Alltagsfrömmigkeit ist. Zudem wurde das Bild der »Schwarzen Madonna von Czestochowa« gleichsam zum Symbol der Fusion von Religion und polnischer Nation. Es war wohl gerade auch dieser politische Aspekt, der den Papst auf seiner ersten Pastoralreise nach Mexiko führte, um dort das Heiligtum der Jungfrau von Guadalupe zu besuchen. Eine Visite, die er zwei Mal wiederholte, zuletzt 2002. Immerhin hat die Guadalupe-Erscheinung durchaus Weltgeschichte geschrieben. Der deutsche Journalist und Historiker Paul Badde kommt in seinem brillant recherchierten Buch** zu dem Schluss: »Nach der Erscheinung Marias in Guadalupe wurde Mexiko aber innerhalb kürzester Zeit christlich, die Zahl der täglich Getauften war immens groß. Doch das ist nicht alles. Denn nach der überfallartigen Christianisierung der Mexikaner wurde Mexiko zum Modell für ganz Lateinamerika bis hinunter nach Feuerland. Dass Lateinamerika "zu uns" gehört, fing da an.« Den wohl persönlichsten Aspekt im Marienglauben des Papstes bestimmte sein Überleben nach dem Attentat 1981, das Johannes Paul II. vollends der Muttergottes zuschrieb. Er war von nun an unerschütterlich in der Überzeugung, unter dem besonderen Schutz Marias zu stehen. Wann immer Gefahr droht - für seine Person oder seine Pläne - vertraut er dieser Obhut. Auch am Osterfest 2004. Trotz gestiegener Attentatsgefahr: Eine k...

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