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  • Reportage - Dänemark-Lausitz

Pionier Klinkes Harakiri vor Düppel

  • Jochen Reinert
  • Lesedauer: ca. 7.5 Min.

Carl Klinke ging am 18. April vor 140 Jahren in die Geschichte ein. Theodor Fontane hob ihn in den Heldenhimmel, in Erwin Strittmatters »Laden« kommt er nur kurz als »Dämlack« vor.

Die Düppeler Höhen, von den Dänen Dybbøl Banke genannt, sind zweifellos eines der gepflegtesten Schlachtfelder der Welt. Weithin grüner Rasen, dazwischen Markierungen der alten Schanzen des dänischen Festungsgürtels, der den Zugang zum östlichen Jütland gen Süden sichern sollte. Obenauf bietet ein »Historiecenter« eine geradezu antimilitaristische Darstellung des Krieges von 1864, in dem preußische Truppen das dänische Heer von den Schanzen vertrieben und Schleswig-Holstein dem wenig später aus der Taufe gehobenen deutschen Kaiserreich einverleibten.
Dybbøl Banke wurde schon vor Jahrzehnten zum Nationalpark erklärt. Das einstige Schlachtfeld ist förmlich übersät von Gedenksteinen. Meist erinnern sie an dänische, mitunter auch an deutsche gefallene Offiziere. Auf der alten Schanze II indes wird einfacher Soldaten gedacht. Auf einer schwarzen Platte ist zu lesen: »Zum Gedächtniss der am 18. April 1864 gefallenen Königlich Preussischen Pioniere - Hier fiel der Pionier KLINKE«.

Im Mai 1945 zerstört
Nur vier, fünf Kilometer von hier, in Sønderborg, erhält der Reisende im »Deutschen Museum Nordschleswig« ausführliche Aufklärung - wenn er denn an den wortgewandten Niels Güttel gerät. Der Deutsch-Däne in den 60ern präsentiert im Erdgeschoss des Museums das stark beschädigte Original der Klinke-Tafel. Unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges sei sie ebenso wie das große preußische Siegesdenkmal von Düppel von dänischen Widerstandskämpfern zerstört, aber einige Zeit später wieder angebracht worden.
Güttel erzählt die Klinke-Story ohne jenes Pathos, das Jahrzehnte lang die kaiserlich-deutschen Pauker bei dieser Pflichtübung ergriff. »Es waren drei, vier preußische Pioniere, die einen 30 Pfund schweren Schwarzpulversack mit einem Zünder gegen die Palisaden der Schanze II warfen. Doch dann explodierte der Kram viel zu früh, Klinke wurde ziemlich verbrannt, erhielt eine Schusswunde, als er sich aus dem Graben rappelte. Drüben in Broager jenseits des Vemmingbunds ist er begraben«. Doch von dieser Geschichte des »Heldentods« von Klinke, lässt Güttel durchblicken, gibt's viele Varianten. »Und dann gabs da noch den Pionier Kitto, der behauptete, eigentlich sei er der Held mit dem Pulversack...« Kitto - womöglich ein Sorbe? Güttel zuckt mit den Schultern, er kann sich für keine Variante verbürgen.
Das ging schon Theodor Fontane so, der in seinem zwei Jahre nach der Schlacht erschienenen Buch »Der Schleswig-Holsteinische Krieg im Jahre 1864« sowohl die Gefangennahme des mutigen dänischen Leutnants Anker als auch die Pulversack-Story Klinkes - beider Taten waren inzwischen Stoff nationalistischer Legenden geworden - zu ergründen suchte. Zu Klinke schreibt Fontane zunächst, dass er nach Anlegen des Pulversacks von der Explosion derart verbrannte, »dass er einige Zeit nach der Tat... seinen Geist aufgab«. Dann zitiert er einen Bericht, wonach Kitto »den Pulversack setzte« und Klinke lediglich die Lunte anlegte. Späteren Berichten zufolge wiederum habe Klinke »seine Aufopferung vorher ausgesprochen«. Etwas ratlos notiert Fontane: »Wie über die Gefangennahme Ankers gehen über den Opfertod Klinkes die Ansichten auseinander...« Doch das hielt Fontane nicht davon ab, in seinem Gedicht »Der Tag von Düppel« Verse diesen Kalibers zu schmieden: »Palisaden starren die Stürmenden an./ Sie stutzten, wer ist der rechte Mann?/ Da springt von achten einer vor:/"Ich heiße Klinke, ich öffne das Tor!" - /Und er reißt von der Schulter den Pulversack, .../Ein Blitz, ein Krach, der Weg ist frei, - /Gott seiner Seele gnädig sei!/ Solchen Klinken für und für/ Öffnet Gott selber die Himmelstür.«
Fontane war mit solchen Versen keineswegs allein. Der Sturm auf die Düppeler Schanzen hat ganze Kanonaden patriotischer Gesänge ausgelöst und dies nicht selten mit chauvinistischem Unterton - wie diese Verse Adalbert von der Saales, in denen es heißt: »Und seht von seinem Rücken/nimmt er den Pulversack/Und denkt: will Euch schon kriegen/Verstocktes Dänenpack.«
Niels Güttel hat in Sachen Klinke noch mehr zu bieten. Direkt neben der schwarzen hängt eine Marmorplatte mit der Aufschrift: »Hier wurde am 15. Juni 1840 der Pionier Carl Klinke geboren. Er starb den Heldentod vor Düppel den 18. April 1864.« Schnell lüftet Güttel das Geheimnis: »Das ist eine Kopie jener Tafel, die nach dem Fall der Berliner Mauer wieder am Geburtshaus Klinkes in Bohsdorf in der Lausitz angebracht wurde.« Mehrere Delegationen seien damals zwischen Bohsdorf/Spremberg und Düppel/Sønderborg hin- und hergereist.
Manfred Krautzig war bei diesen Reisen nicht dabei, obwohl er immerhin in der dritten Generation Besitzer jenes Hauses ist, in dem Carl Klinke einst geboren wurde. »Mein Urgroßvater, der mit Kohlefuhren zu den Forster Textilfabriken sein Geld verdiente, hat das damals gekauft«, erzählt er aufgeräumt, als wir in seinem Vorgarten einen Blick auf jene Gedenktafel werfen. Die Tafel musste nach 1945 auf Geheiß der neuen Macht abgenommen werden. Krautzigs Vater hat sie auf dem Boden verwahrt - bis der Kölner Journalist und Preußenforscher Werner Bader nach der Wende die »Wiederbelebung« Carl Klinkes einleitete. Eines schönen Tages, erinnert sich Krautzig, wurde die Tafel in einer feierlichen Zeremonie - »sogar zwei Bundeswehroffiziere waren dabei« - wieder angebracht. Das wuchtige Klinke-Denkmal indes - dort drüben hat es gestanden, zeigt Krautzig aus einem Garten heraus auf die nahe gelegene Straßenkreuzung - verblieb im Orkus der Geschichte. Das im April 1914 mit großem nationalistischem Brimborium eingeweihte vier Meter breite Denkmal mit einem Adler obenauf stand noch bis in die 70er Jahre, allerdings ohne Adler, so Krautzig, bis ein Umbau der Kreuzung dem Klinke-Mal den Garaus machte.

Strittmatters Versprechen
Aber trotz der nachwendischen Wiederbelebungsversuche scheint Klinke weitgehend aus dem Gedächtnis der Bohsdorf-Vorwerker entschwunden. Zwar weist eine gut gestaltete Ortstafel neben dem »Gasthaus zur Linde« auf Klinkes Geburtshaus - ebenso wie auf Erwin Strittmatters Laden - hin, aber auch Krautzigs jüngster Sohn schüttelt auf die Frage, ob er vielleicht in der Schule von Klinke gehört habe, mit dem Kopf.
Just in Strittmatters Laden, seit 1999 eine vortreffliche Gedenkstätte für den bekannteren Bohsdorfer, treffen wir den Mann, der in der Gegend am besten über Carl Klinke Bescheid weiß: Ortschronist Klaus-Dieter Nikolaus. Mitte der 80er Jahre, als SED und DDR-Staat plötzlich Ortsgeschichte, aber auch Bismarck und andere Preußen, wieder ins Blickfeld rückten, erinnert sich Nikolaus, wurde ihm, dem ehrenamtlichen Bodendenkmalpfleger, jenes Amt angetragen. Schnell machte er sich daran, die Chronik aufzuarbeiten, und so konnte er Strittmatter 1986 bei den Recherchen zu seiner Roman-Trilogie »Der Laden« schon etwas Solides in die Hand drücken. Dazu gehörte auch ein gerade erschienener Artikel des damaligen Direktors der Cottbuser SED-Bezirksparteischule Heinz Winzer über Klinke, in dem der nationalistische Missbrauch von dessen Tod gegeißelt, der Pionier selbst aber auffällig mild beurteilt wurde. »Naja, und zu dem Klinke habe ich auch noch einiges zu sagen«, verabschiedete sich Strittmatter damals von Nikolaus. Und siehe da, als 1987 der zweite Band des »Ladens« herauskam, fand er Strittmatters Versprechen eingelöst.
Nikolaus blättert ein bisschen im Band 2 der neuen Kassette des Aufbau-Verlages, die mit Fotos aus dem »Laden«-Film von Jo Baier geschmückt ist, und wird auf Seite 447 fündig. »Die Vorwerker sind eine Sorte für sich«, liest er vor, »sie haben den Pionier Klinke hervorgebracht, jenen Pionier, der mit einem Sack Pulver ein Loch in die Düppeler Schanzen und damit sich selbst in die Luft sprengte. Harakiri. Klinke mit dem Pulversack, sagt Großvater, wenn er einen Dämlack charakterisiert. Ihr wisst, Großvater ist alles Deutsch-Nationale ein Gräuel...« Das Deutsch-Nationale »war auch Erwin ein Gräuel«, kommentiert Nikolaus, Strittmatter sei ja Halb-Sorbe gewesen und habe da manches erlebt.

Weil Kitto Sorbe war?
Werner Bader, dem Preußenforscher und langjährigen Bundessprecher der Landsmannschaft Berlin-Mark Brandenburg, hat dies offenbar nicht sonderlich behagt. Für Klinkes Landsmann »ist der Held von Düppel 15 Zeilen wert«, befindet er in seinem 1992 im Westkreuz Verlag erschienenen Buch »Pionier Klinke - Tat und Legende« etwas ungnädig, bevor er jene Sätze zitiert. Ansonsten aber hat Bader, der in seiner Beurteilung der Pulversack-Geschichte weit mehr bei Fontane als bei Strittmatter steht, viel Erstaunliches über den zum »Helden der drei deutschen Einigungskriege« Gekürten zusammengetragen, was nicht so recht zur Legende passt: Carl Klinke wurde 1840 in äußerst armen Verhältnissen als uneheliches Kind geboren und musste früh als Bergwerkszimmermann malochen. Nach zwei Jahren preußischem Armeedienst wurde er im Oktober 1863 entlassen, aber kurz vor Weihnachten bereits wieder zum Pionierbataillon Nr. 3 nach Spandau eingezogen und Richtung Düppel in Marsch gesetzt. Seine junge Frau und sein erstes Kind hat er wenig gesehen, das zweite wurde geboren, als er schon unter der Erde von Broager lag. Für die mittellose Witwe wurden einige hundert Taler gesammelt, dennoch starb Klinkes zweites Kind alsbald.
Und Düppel-Kompagnon Kitto, der Klinkes Tat für sich reklamierte? »Kitto war mit Sicherheit ein Sorbe«, meint Nikolaus. Ob das dazu beitrug, dass nicht er, sondern der deutschstämmige Klinke gekürt wurde? »Schwer zu sagen«, so der Ortschronist, »aber denkbar ist das schon, wenngleich ein Toter besser zum Helden taugt.« Eine Parallele zum Irak-Krieg liegt da nicht ganz fern. Die weiße USA-Soldatin Jessica Lynch wurde in den Himmel gehoben, ihre schwarze Kollegin Shoshana Johnson hintangesetzt.
Zum morgigen 140-jährigen Klinke-Jubiläum werde »von der Gemeinde aus nichts gemacht«, meint Nikolaus. Anders die Kirche im Nachbarort Hornow, in der Klinke einst getauft worden war. Am Pfarrhaus Hornow wird auf einem roten Bogen mit der Überschrift »140 Jahre Düppeler Schanzen« eine »Ehrung von Pionier Klinke« angekündigt - mit Predigt, Vortrag zweier Düppel-Reisender und einer Lesung Werner Baders. Ob der Preußenforscher dabei auch je...

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