Leeres Land, leere Kassen, leere Kanäle

Ostdeutschland wird vom Bevölkerungsschwund herausgefordert

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.

Die Politik im Osten nimmt zunehmend die Folgen des Bevölkerungsschwunds wahr. Nach dem Wohnungsleerstand werden jetzt auch Folgen für Etats und Landesentwicklung erörtert. Die Devise lautet: kontrolliertes Schrumpfen.

Die Sächsische Semmeringbahn wird aufgegeben. Auf der Bahnstrecke in Südostsachsen, deren Abschnitt nach Sebnitz erst kürzlich saniert wurde, werden bald nur noch wenige Züge fahren. 500 Fahrgäste am Tag, sagen die Betreiber, sind für regulären Verkehr zu wenig. Solche Nachrichten dürften sich in Ostdeutschland häufen. Die Region ist vom Bevölkerungsrückgang gezeichnet. Allein in Sachsen wird die Einwohnerzahl von fünf Millionen im Jahr 1989 auf 3,6 Millionen im Jahr 2020 sinken. Prognosen für die anderen Länder sind nicht optimistischer. Die Folgen der Entwicklung, die der Abwanderung, noch mehr aber der niedrigen Geburtenrate geschuldet ist, wurden lange nur widerstrebend zur Kenntnis genommen. Begriffe wie Wohnungsabriss wurden erst salonfähig, als der Leerstand dramatische Ausmaße erreicht hatte. Inzwischen werden auch Konsequenzen für öffentliche Kassen und Infrastruktur angesprochen. Der SPD-Politiker Jens Bullerjahn aus Sachsen-Anhalt forderte unlängst, die Landesentwicklung auf Kerngebiete zu konzentrieren. Sachsens Landesregierung hat nun sogar zu einem Demografiegipfel geladen. Die Herausforderungen, die Gutachter dabei für Staatsfinanzen, Raumentwicklung und Wirtschaft aufzeigen, sind gewaltig. Sachsens Einnahmen werden wegen sinkender Einwohnerzahlen bis 2020 um 23 Prozent sinken, sagt Helmut Seitz von der Viadrina-Universität Frankfurt (Oder): »Mit jedem nicht geborenen Sachsen verliert das Land 2400 Euro Zuweisungen im Jahr.« Zwar sei das Land im Vorteil gegenüber Sachsen-Anhalt, wo weniger Menschen mit extrem hohen Staatsschulden fertig werden müssen. Doch auch für Sachsen fordert er Personalabbau bei Verwaltung, Bildung und innerer Sicherheit. Er rechnet mit einem Abbau von jetzt 104000 auf 80000 Stellen. Schwinden wird auch die Erwerbsbevölkerung, so Marcel Thum, Chef des ifo-Instituts Dresden. Qualifizierte Fachkräfte würden zur knappen Ressource. Er plädiert für eine »selektive Zuwanderung« aus Osteuropa, vor allem aber für längere Lebensarbeitszeiten. Zudem befürwortet er die Konzentration auf universitäre Forschung, um »neues Humankapital zu bilden«. Damit die qualifizierten Fachkräfte indes auch zum Bevölkerungswachstum beitragen, hält Charlotte Höhn vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung drei Dinge für notwendig. Gestützt auf Umfragen, nennt sie eine gute Kinderbetreuung sowie Teilzeitarbeit und flexible Arbeitszeiten. Für erhebliches Konfliktpotenzial dürfte die Frage sorgen, wie die Infrastruktur entwickelt wird und ob manche Regionen quasi abgekoppelt werden. »Gegenden, wo kaum noch jemand wohnt, brauchen keine 30 Meter breite Straßen«, sagt Seitz. Bernhard Müller vom Institut für Ökologische Raumentwicklung verlangt, Wohnungen und Gewerbestandorte nur noch auf früher bereits genutzten Flächen anzusiedeln und den Verbrauch neuer Flächen auf Null zu reduzieren. Probleme sieht er für den öffentlichen Nahverkehr, besonders aber auch für Ver- und Entsorgungssysteme bei Wasser oder Strom. Dort seien dezentrale Lösungen nötig und höhere Gebühren zwangsläufig. Müller hält sogar eine »Aufgabe des Prinzips gleichwertiger Versorgung« für denkbar. Wie lange die Erkenntnisse der Fachleute brauchen, bis sie aus Gutachten in praktische Politik umgesetzt werden, ist offen. Stanislaw Tillich, Chef der sächsischen Staatskanzlei, lässt keinen Zweifel daran, dass sich die Devise des kontrollierten Schrumpfens im nächsten Landesetat niederschlagen wird. In vielen Kommunen, konstatieren Fachleute, werde die Entwicklung dagegen »zum Teil einfach ignoriert«. Wie kostspielig das sein kann, weiß man in Dresden inzwischen gut. Jahrelang wurden große Abwasseranlagen gefördert. Bald, räumt Tillich ein, müsse Geld investiert werde...

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