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Doch keine „Stasi(Lehrer)jagd“ in Pankow?

Stadtrat Lubawinski: Rechtlich alles korrekt / Gauß-Schulleiter: Ohne Nachteile für die Abiturienten

  • Lesedauer: 3 Min.

„Abiturienten werden Opfer der Stasijagd“ titelte ND (16. 12., Seite 18) einen Bericht zur Situation im Pankower Gauß-Gymnasium. Für Pankows Bildungsstadtrat Alex Lubawinski (SPD) und Schulleiter Hans-Joachim Helm gestern Anlaß zu einer Pressekonferenz.

Inhaltlich konnte Herr Helm mit dem Beitrag, den eine Abiturientin ND geschickt hatte, kaum polemisieren. Er wies von sich - was im Artikel so aber auch nicht drin steht -, je die Begründung „Stasimachenschaften“ in bezug auf die jüngste Suspendierung eines Latein- sowie eines Russisch/ Geschichtslehrers öffentlich genannt zu haben. („Das darf ich aus rechtlichen Gründen gar nicht.“) Weiter .treffe nicht

zu, daß einer der beiden Lehrer „mitten aus dem Unterricht entfernt“ worden sei. („Die Schule war an dem Tag aus; da sind wir schon ein bißchen menschlich.“) Was schließlich den Stundenausfall anginge, der die Abiturienten, wofür er vollstes Verständnis aufbringe, beunruhige, versprach er, daß bis zum Abitur fachlich alles aufgeholt sei.

Zur Sache selbst, eben zu den konkreten Gründen der beiden Entlassungen, sagte Stadtrat Lubawinski („wegen Datenschutz“) erwartungsgemäß nichts. Sein mehrmaliger Verweis auf ein „gebrochenes Vertrauensverhältnis“ legt allerdings den Schluß nahe, daß die beiden Lehrer eine Frage in ihrem Personalfragebogen

ihrerseits möglicherweise anders beantwortet hatten, als es der nunmehrige Gauck-Bescheid seinerseits tat.

Der Stadtrat verwies auf die Rechtslage, die in Pankow peinlichst beachtet werde. Für die beiden Lehrer seien eben unlängst „positive Gauck-Bescheide“ eingegangen, und nach gründlichem Prüfungsrituäl wurden sie nun entlassen. Insgesamt, listete er auf, hätte in bisher 1 512 Gauck-Berichten über Pankower Lehrer „75 mal MfS-Tätigkeit“ vorgelegen. 15 Betroffene blieben „nach Einzelfallprüfungen“ im

Dienst, zehn dieser Prüfungen stünden noch aus.

Eine politische Wertung wollte Herr Lubawinski auf ND-Nachfrage nicht abgeben.

Er halte sich allein an Gesetze und Rundschreiben und hoffe, daß „nach Beendigung aller Überprüfungen endlich Ruhe eintritt“

Ein von Herzen kommender, aber naiver Stoßseufzer Mal völlig abgesehen von der politischen Entwicklung („Amnestie“-Debatte in der SPD, Wahlkampf '95) - auch auf den Bezirk Pankow werden jetzt die Klagen von Betroffenen zurollen. Die jüngste Wiedereinstellung des Hellersdorfer Bildungsstadtrates Peter Winkel (der Vorwurf lautete auch hier auf arglistige Fragebogentäuschung) ist dafür in Berlin vielleicht das spektakulärste, der Fall von Frau Monika G. aus Marzahn bei vergleichbarer Beschuldigung das jüngste Bei-

spiel: Das Arbeitsgericht Berlin entschied bei ihr am 29 11. auf Weiterbeschäftigung (AZ 17 Ca 10658/94). Gestern ging ihr Anwalt Ulrich Dost gar in die Zwangsvollstreckung, weil sich - so Dost - Marzahns Bürgermeister Andreas Röhl (SPD) bisher weigert, diesem Urteil Genüge zu tun.

Mit Hinweis aufs Stasiunterlagengesetz entzieht sich die Schulbehörde einer Diskussion mit den Abiturienten. Daß einige von ihnen deshalb ein öffentliches Forum für ihre Probleme suchen und finden, ist ein Vorzug heutiger Gesellschaft. Ein ganz bescheidener Vorzug vielleicht auch, daß ND an diesen Problemen im Gauß-Gymnasium interessiert bleiben wird. MICHAEL MÜLLER

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