Pulsschlag einer Zeit

RIAS und Berliner Rundfunk - eine Studie

  • Heinz Odermann
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.
Es war ein geistiges und moralisches Klima einzigartiger Ausstrahlung, als am 13. Mai 1945 der Berliner Rundfunk als erster deutscher Sender die Funkstille brach und dem werdenden demokratischen Deutschland eine Stimme gab. Petra Galle hat Programme, Personal und Organisation des Berliner Rundfunks ab 1945 und des RIAS ab 1946 bis 1949 untersucht und mit Sachkenntnis und Bemühen um Objektivität ein zeithistorisches Dokument vorgelegt, das sich wesentlich auf Archivalien in Berlin, Moskau und Washington stützt. Mit ihrer umfassenden Darstellung leistet die Verfasserin einen unverzichtbaren Beitrag zur Grundlagenforschung der Medien- und Politikwissenschaft. Pioniere des Berliner Rundfunks treten aus dem Schatten der Vergangenheit: die Sozialisten Alfred Duchrow, befreit aus dem KZ Dachau, Wilhelm Girnus, von 1933 bis 1945 im KZ, Hans Mahle und Markus Wolf aus dem Moskauer Exil, Arthur Mannbar, befreit aus dem Zuchthaus Brandenburg, Rudolf Miesner (KZ Sachsenhausen), Heinz Schmidt und Bruno Goldhammer aus dem westlichen Exil, Max Seydewitz, früherer SPD-Reichstagsabgeordneter, Mathäus Klein (aus dem Nationalkomitee Freies Deutschland), die Kommentatoren Herbert Gessner von Radio München und der Chefredakteur dieses Senders Hans-Georg Egel, Helmut Schneider vom Arbeiterfunk des Senders Frankfurt am Main, Karl-Eduard von Schnitzler von Radio Köln und Karl Gass vom Sender Hamburg; Hans Rosenthal, der Hörspiele für den Berliner Rundfunk inszenierte und später zum RIAS ging, Peter Huchel, Lyriker und Hörspielautor. Und nicht zuletzt der Radiopionier der zwanziger und dreißiger Jahre: Alfred Braun, der die populäre »Berliner Stunde« im Berliner Rundfunk gestaltete. Inmitten dieser Gruppe wirkten humanistisch, politisch und historisch gebildete sowjetische Kontrolloffiziere, die sich nicht als Zensoren verstanden. Der Leser fühlt den Pulsschlag jener Zeit vor gut einem halben Jahrhundert nach der totalen Niederlage der NS-Diktatur. Diese gesellschaftliche Breite kannte RIAS Berlin (Radio Im Amerikanischen Sektor) bei seiner Gründung am 7. Februar 1946 nicht. Aufgebaut von der US-Besatzungsmacht, wurde der Sender anfangs von linksliberalen Offizieren gelenkt, die mit Deutschen zusammen arbeiteten, die rassisch und politisch vom NS-Regime verfolgt, aber »nicht kommunistisch belastet« waren. Trotz dieser Einschränkung blieben die Sendungen lange Zeit fast deckungsgleich: geprägt von dem Willen, die Nazi-Ideologie auszurotten, demokratisches Bewusstsein heranzubilden und den täglichen Sorgen der Berliner nachzugehen. Beide Sender brachten wertvolle Kinder-, Jugend- und Frauensendungen, Literaturprogramme und attraktive Berlin-Reportagen. Wissenschaftlich und pädagogisch wertvoll wurde die RIAS-Funkuniversität. Ein jähes Ende fand der gemeinsame Weg der antifaschistischen Bildung und Erziehung 1947 mit dem Zerfall der Anti- Hitler-Koalition. Am 12. März hatte US- Präsident Harri S. Truman die Doktrin der »Eindämmung des Kommunismus« verkündet. Im Oktober 1947 eröffnete RIAS Berlin die antikommunistische Hexenjagd. Die linksliberalen Offiziere wurden entlassen und durch bewährte Antikommunisten ersetzt. Mit viel Westgeld zog die US-Militärregierung nach der Währungsreform vom Juni 1948 die in Westberlin wohnenden Komponisten, Musiker und Orchester vom Berliner Rundfunk zum RIAS ab. Ein schwerer Verlust war das berühmte RBT-Orchester (Radio Berlin Tanzorchester) unter Leitung von Michael Jary. Ihr Wohnort war in Westberlin und der US-Geheimdienst tat ein Übriges. Die vollständige Aufklärung der Zusammenarbeit des RIAS mit der CIA, der Strukturen, der Finanzströme und des Personals, das in diesem Sender verdeckt arbeitete, ist noch ein Forschungsdefizit, das die Verfasserin einräumt, weil dieser Teil der Akten in Washington verschlossen ist. Offen sind als Ergebnis ihrer Analyse der Inhalt und die Methoden der subversiven Propaganda, die Erfahrungen der USA und Englands in der psychologischen Kriegsführung nutzte. Der beginnende Kalte Krieg führte auch beim Berliner Rundfunk zu Deformationen, die sich, ähnlich dem RIAS, nachteilig auf die Qualität der Programme auswirkte. Westemigranten wurden größtenteils kaltgestellt; einige, darunter Bruno Goldhammer, zu langen Haftstrafen verurteilt. Beide Sender, abhängig von den Vorgaben ihrer Besatzungsmächte, spiegeln in ihrem Personal und ihren Programmen Ideologie und Politik der unterschiedlichen Wertesystem wider, die sich in Deutschland gegenüberstanden und die seit 1947 die Umris...

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