Ein kluger Kopf paßt unter keinen Stahlhelm
Flugblätter segelten vom Bendler-Block / Gewaltlose Belagerung der Kriegs-Dienststelle
In der Hand der Militärgegner
Foto: Robert Grahn
Kein Blockwart am Bendlerr Block machte gestern irgendwelche Anstalten, die drei Dutzend Wehrdienstgegner gegen 10.30 Uhr aufzuhalten: Sie marschierten durch das Säulentor und verteilten sich rasch auf sämtliche Etagen. Hochdroben unter dem Dach wurde ein meterlanges Spruchband an eine Balkonmauer befestigt: „Kriegsministerium besetzt“ Von dort her segelten auch Flugblätter hinunter zum Reichpietsch-Ufer Darauf das Einsteinwort „Ein kluger Kopf paßt unter keinen Stahlhelm“ Dazu: „Und Deiner?“
Die Damen und Herren des Hauses zeigten sich indes von dem einmaligen Vorfall in der deutschen Militärgeschichte überrascht, erstaunt und eher etwas gelähmt. Vereinzelt mühte man sich, Gespräche mit den Belagerern anzuknüpfen. Feldjäger der Bundeswehr irrten - offenbar ziel- und ratlos - im Gebäude umher Lediglich ein einzelner Beamter zeigte urplötzlich Nerven. Er schüttete einen Eimer mit beinahe kochendem Wasser aus ?dem Fenster, um die heißen Klänge der Antikriegslieder zu löschen, die aus einem Lautsprecherwagen der Kampagne gegen die Wehrpflicht vor dem Block tönten.
Inzwischen hatten die Militärgegner weitere Spruchbänder in der Eingangshalle, die bis unter das Dach reicht, angebracht. „Bundeswehr - out of area, damit SIE wieder billige Bananen kaufen können“, „Wir lassen uns nicht unsere Kinder töten“, „Bundeswehr ab, wir haben Dich satt“, hieß es auf den Transparenten.
Vor interessierten, aber skeptischen Militärbeamten und der reichlich versammelten Presse wurde eine Erklärung der Kampagne verlesen. Sie machte u.a. darauf aufmerksam, daß seit 1. Januar die Bundesrepublik erstmals seit Ende des zweiten Weltkrieges über einen Generalstab verfügt, auch als Führungszentrum bezeichnet. Mit ihm sei die Bundeswehr nunmehr in der Lage, Kriegseinsätze eigenständig zu planen und zu fuhren, was bislang durch die Einbindung in die NATO-Befehlsstrukturen nicht möglich gewesen sei.
Christian Herz, Sprecher der Kampagne gegen die Wehrpflicht, fügte gegenüber ND hinzu: Wir haben heute auch deshalb diese Kriegs-Dienst-stelle besetzt, um gegen die neue Musterungsverordnung zu protestieren, nach der nun auch Fuß-und Nierenkranke und damit mehr Soldaten gezogen werden können. Diese Militärkrücke sei eine Reaktion auf die hohen Verweigerungszahlen. Auch die Gedankenspiele um den deutschen Tornado-Einsatz im ehemaligen Jugoslawien gehörten in den Kontext der Aktion. Aus Plänspielen könnten sehr schnell blutige Einsätze werden.
Die Polizei, die nach einer halben Stunde eintraf, mühte sich um moderate Töne, hielt sich sichtlich zurück. Wie lange wollen Sie bleiben?, fragte der Einsatzleiter die Leute von der Kampagne. Zwei Stunden hatten sie das Ministeriumsgebäude besetzt, ehe sie die Aktion ebenso friedlich beendeten, wie sie sie begonnen hatten. RAINER FUNKE
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