Das Rätsel um den Stolper Stein ist gelöst

Drei Orts- und Bezirksverbände der PDS erinnern am Sonnabend wieder an ein Jugendtreffen vom 5. Mai 1918

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 3 Min.
Auf den ersten Blick sieht das schlichte Stück wie ein Grabstein aus. Aber der Granitblock steht nicht auf einem Friedhof, sondern abseits des Weges in einem Wald bei Stolpe nördlich von Berlin. Das wirft Fragen auf- schon seit einiger Zeit und nicht nur bei ahnungslosen Wandersleuten. Am 5. Mai 1918 trafen sich an dieser Stelle 2000 Jungen und Mädchen von der Freien Jugend Groß-Berlin, um den 100. Geburtstag von Karl Marx zu feiern. Daran erinnert der Stolper Stein, und daran erinnern seit 1993 PDS-Gruppen, indem sie den Ort aufsuchen. Am 8. Mai um 11 Uhr ist es wieder so weit. Offen blieb bisher die Frage, wann der Stein aufgestellt wurde. Seit den 80er Jahren fand sich niemand, der das zweifelsfrei sagen konnte. Auch »Neues Deutschland« suchte schon zweimal - 1988 und 2003- nach einer Antwort. Nun scheint alles klar, denn Max Speckhahn aus Nauen las im ND, wie die PDS rund um Stolpe rätselte. Speckhahn arbeitete früher an der Bezirksjugendschule »Conrad Blenkle« in Bärenklau und weiß deshalb Bescheid. Im Oktober 1904 gründeten sich in Berlin der »Verein der Lehrlinge und jugendlichen Arbeiter« und in Mannheim der »Verein jugendlicher Arbeiter«. Dies gilt als der Beginn der organisierten Arbeiterjugend. 1954 war das 50 Jahre her und die Schulleitung in Bärenklau wollte den Jahrestag würdig begehen. Man kam auf die Idee, gleichzeitig an das Treffen im Stolper Wald zu erinnern und enthüllte deshalb 1954 den Gedenkstein. Zum 150. Geburtstag von Karl Marx im Jahr 1968 rückten zur Kranzniederlegung NVA-Ehrenposten und Fahnenträger an. Später wurde es ruhig um den Stein. 1988 räumten Schüler aus Hohen Neuendorf den inzwischen verwahrlosten Ort auf. Sie harkten Laub und kratzen Moos aus der Inschrift. ND-Reporterin Christina Matte holte dazu die Zeitzeugin Marta Globig aus einem Altersheim in Köpenick ab. Zum ersten Mal nach 70 Jahren kam die 87-Jährige wieder auf die Lichtung. Im Gespräch wurde die alte Zeit wieder wach. Viele junge Menschen wollten sich damals nicht damit abfinden, dass die sozialdemokratische Zeitschrift »Arbeiter-Jugend« die Burgfriedens-Phrasen der SPD-Führung nachplapperte. Da erschien zum Beispiel 1915 eine Lobhudelei über den süddeutschen Jugendfunktionär Ludwig Frank, der sich freiwillig zur Front meldete und dort den »Heldentod« starb. Im Stolper Wald herrschte am 5. Mai 1918 ein anderer Ton. Erst im April hatten sich die Jugend der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD) und der von der Spartakus-Gruppe geleitete Jugendbildungsverein zur Freien Jugend von Groß-Berlin zusammengeschlossen. Nun stand Marta Globigs Partner Fritz auf der Lichtung und rief: »Machts wie die Russen! Nieder mit dem Krieg! Es lebe die Revolution!« Fritz Globig gehörte zum Vorstand des neuen Verbandes. Plötzlich stürzten Gendarmen vor und schnappten sich einige Jugendliche. Doch ihre Freunde erzwangen vor dem Polizeirevier bald darauf die Freilassung der Verhafteten. Am Sonnabend zieht die PDS von Hohen Neuendorf, Glienicke/Nordbahn und Berlin-Reinickendorf wieder zu dem Stein. Wie jetzt klar ist, steht zufällig der 50. Jahrestag des Denkzeichens und der 100. Jahrestag der deutschen Arbeiterjugendbewegung an. Das Gelände soll wieder einmal aufgeräumt werden. Zur Teilnahme eingeladen sind linke Jugendorganisationen wie solid und Die Falken. Treffpunkt ist um 11 Uhr am Reiterhof in Stolpe. Wer um 10.15 Uhr am S-Bahnhof Hohen Neuendorf ist, kann von dort aus gemeinsam mit anderen mit dem Bus weiterfahren. www.pds-reinickendorf.de

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