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Vom Umgang mit gekränkter Eitelkeit
Zur Seele: Erkundung mit Schmidbauer
Dr. Wolfgang Schmidbauer arbeitet als Psychoanalytiker und Autor in München.
Es hat sich inzwischen herumgesprochen, dass Männer genau so eitel sind wie Frauen. Manchmal heißt es, sie seien eitler. Darin sehe ich eher den Versuch, ein Kontrastprogramm zu den schlechten Scherzen über Frauen zu entwickeln, die nichts im Kopf haben als Kleider und Frisuren. Menschliche Eitelkeit ist mehr als ein Thema für das Witzblatt. Sie ist ein Problem, das Familien unglücklich machen und Betriebe in den Ruin treiben kann. Die meisten Ehen werden geschieden, weil die Partner einander in ihren Bedürfnissen nach Anerkennung enttäuscht haben. Die meisten Betriebe gehen pleite, weil bei den Verantwortlichen die Eitelkeit über den Wirklichkeitssinn siegt, nach dem Motto: Mein Konzept ist perfekt, nur hat es der Markt noch nicht angenommen. (In der Politik heißt das: Unsere Arbeit ist wunderbar, aber wir haben es leider nicht verstanden, sie den Wählern zu vermitteln.) In einem Punkt unterscheiden sich angesichts der Eitelkeitsfrage die Geschlechter sehr. Frauen gehen mit der männlichen Eitelkeit anders um als Männer mit der weiblichen. Vorsichtig auf den Begriff gebracht: Die charakteristische Reaktion der Frau auf die gekränkte Eitelkeit eines Mannes sind Wut oder Schuldgefühl. Die charakteristische Reaktion des Mannes schwankt im umgekehrten Fall zwischen Mitleid und Langeweile. Eine Abteilungsleiterin berichtet von einem Problem in ihrem Team. Dort streiten sich zwei Männer unentwegt und blockieren die Arbeit. »mmer wieder habe ich mit ihnen geredet und durchgesetzt, dass sie jetzt dieses Projekt noch zusammen durchziehen. Wenn es vorbei ist, wollte ich den einen unterstützen, sich in eine andere Abteilung zu bewerben. Sie haben behauptet, sie hätten das angenommen, ich atme auf. Aber nach vierzehn Tagen sind sie wieder da. Der eine sitzt vor mir, der Mund ein Strich, finster wie die Nacht. Ich brauche eine Viertelstunde, um aus ihm herauszubekommen, was los ist. Es passt ihm nicht, wie der andere die letzte Präsentation gemacht hat. Der eine ist fachlich sehr tüchtig, aber kein Akademiker; der andere hat den Doktor und ist nicht schlecht, aber ein wenig schlampig. Ich vermute, dass der eine sich unterlegen fühlt. Aber man kann ihn darauf nicht ansprechen. Er leugnet das komplett. Er behauptet, es ginge ihm nur um die Sache und nimmt doch alles persönlich. Er beklagt sich, dass der andere ihn nicht erwähnt hat, dass er mittendrin aufgehört hat, weil er eine Diskette holen musste. Lauter lächerliche Kleinigkeiten. Und dann zieht er sich zurück und redet nicht mehr mit ih m, und es geht nichts weiter. Ich weiß nicht, was ich noch machen soll!« Die Abteilungsleiterin fühlt sich schuldig, weil es ihr nicht gelungen ist, den beiden Streithähnen ihre wechselseitigen Kränkungen zu ersparen. Ein Mann würde hier vielleicht eher die Gelegenheit nutzen, sich den Kontrahenten überlegen zu fühlen. Die Leiterin hingegen fühlt sich unter Druck. , ihren Mitarbeitern in Zukunft derlei Situationen gekränkter Eitelkeit zu ersparen. Sie muss sich gegen eine innere Stimme wehren, die ihr vorwirft, sie habe versagt, wenn ein ihr anvertrauter Mann derart beleidigt vor ihr sitzt. Gleichzeitig wächst in ihr eine Wut, die sie unangemessen findet und die ihre Gefühle noch verstärkt, der Situation nicht gewachsen zu sein. Viele Frauen werden diese Wut besser verstehen als die Schuldfantasie. Aber Schuldgefühle sind nichts anderes als gegen die eigene Person gerichtete Wut. Bestehen bleibt die Schwierigkeit von Frauen, die Eitelkeiten der Männer nüchtern wahrzunehmen und sich ohne größeren Energieaufwand auf sie einzustellen. Zwei seelische Kräfte greifen hier ineinander wie Haken und Öse: die unbewusste Neigung zu einer mütterlichen Rolle bei der Frau; die verleugnete Bereitschaft zu kindlichem Anspruchsdenken beim Mann. Es gibt eine alte Parabel, welche diese Probleme beleuchtet. Shakespeare erzählt sie in »König Lear«. Ein eitler, im Alter kindisch gewordener Vater möchte, dass seine Töchter ihm ihre Liebe beteuern. Zwei schmeicheln ihm, die dritte, Cordelia, bleibt stumm. So wird sie verstoßen, und der König vererbt sein Reich an die Schmeichlerinnen, deren Egoismus ihn schließlich ins Unglück stürzt. Nach meinem Eindruck überwiegen in der modernen Gesellschaft die Cordelias. Die Emanzipation hat dazu geführt, dass sich die meisten Frauen ernsthafte partnerschaftliche Beziehungen wünschen und taktische Schmeichelei nicht mehr mit ihrem Selbstbewusstsein verbinden können. Im Erleben vieler Frauen halten die Männer diesem Anspruch nicht Stand. Die Frau wünscht sich einen Mann, der so gut mit Gefühlen umgehen und seine Eitelkeit reflektieren kann wie sie selbst. Sie übersieht, dass sie damit sehr viel mehr Übung hat. Während die Frauen aus zwei Rollentraditionen schöpfen und etwas hinzugewonnen haben, sind die Männer unsicher geworden. Während die moderne Frau weiblich und männlich, einfühlend und kompetent ist, ergänzt der moderne Mann sein beschnittenes Gebiet männlicher Rationalität und Dominanz durch kindliche Züge. Er regrediert, oft gerade dann, wenn sich seine Partnerin Stärke und Halt wünscht - etwa angesichts einer Schwangerschaft (»Das musst du entscheiden, mir ist alles recht«). Da die Partnerin in der ersten Verliebtheit ihm oft alle eigenen Vorzüge zugeschrieben hat, kann sie mit diesen kindlichen Seiten nicht umgehen. Sie bezieht sie auf sich, und wenn sie das nicht will, schüttet sie nicht das Kind mit dem Bade aus, sondern das Kind mitsamt dem Mann. Das wäre eine brauchbare Lösung, wenn bessere Männer leicht zu finden wären. Aber das ist so einfach nicht, und in der Praxis eines Therapeuten finden sich viele enttäuschte Frauen, die sich von einem solchen männlichen Versager getrennt haben und dann herausfanden, dass alle Männer, die sie danach kennenlernten, eb...Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
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