Lustiges Zigeunerleben?

Der Aufstand der Sinti und Roma vor 60 Jahren

Der 8. Mai - nicht Jahrestag einer »Kapitulation«, sondern Datum des (bewaffneten) Triumphes über eine verhasste angriffslustige Diktatur - sollte nicht einem verschwommenen »Gedenken«, sondern einer differenzierenden Erinnerung an die Opfer der damals beendeten Gewaltherrschaft gewidmet sein. Dazu gehört, sich jener Toten zu erinnern, die in der offiziösen Geschichtsschreibung wie im volkstümelnden Kollektivgedächtnis eine randständige Rolle spielen. Wie etwa die »Zigeuner«. Als Beispiel für deren trauriges, auch empörendes Schicksal möge jener Brief stehen, der 1952 von einem Pfälzer Bürgermeister an den Landrat des Kreises Bad Bergzabern geschrieben worden ist: »Ich bin strikt dagegen, dass die Zigeuner wieder in Dorfesnähe angesiedelt werden, es würden die gleichen Zustände wie vor 1939 entstehen. Die Bürger meiner Gemeinde müssen hart um ihr Brot kämpfen, und die Zigeuner wollen sich auf Kosten anderer ernähren; da muß man wahrhaft die Humanität ausschalten...« Traditionslinien deutscher Geschichte. Sie reichen weit zurück, wie die Ursprünge der Hitlerei überhaupt. Unterdrückung ist die eine Seite: von der »Zigeuner-Instruction« des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm von Preußen anno 1725, die die Todesstrafe für nicht assimilationswillige »Zigeuner« gestattete, über Bismarcks Anti-Zigeuner-Programm von 1886 und den »Nachrichtendienst für die Sicherheitspolizei in Bezug auf Zigeuner« (kurz: Zigeunerzentrale) unter dem Dach der Polizeidirektion München 1899 bis hin zu den »Zigeunerlagern«. Die andere Seite ist die folkloristische Verklärung der archaisch-triebhaften Zigeunergestalt: »Die Liebe vom Zigeuner stammt«; »Lustig ist das Zigeunerleben« etc. Diese Romantisierung führte dazu, dass temperamentvolle Musikstücke »alla zingarese« etikettiert wurden (etwa das Rondo, mit dem das Klavierquartett opus 25 von Johannes Brahms endet). Sie gipfelte in Bühnenwerken wie der 1884 in Wien uraufgeführten Operette »Der Zigeunerbaron« von Johann Strauß dem Jüngeren. Auch die erste deutsche Demokratie 1919 bis 1933 änderte an dieser Ambivalenz wenig. Die Weimarer Republik kannte keinen Ausweiszwang und verfügte im Artikel 109 ihrer Verfassung, alle Nachteile, die »durch die Geburt bedingt« seien, müssten »aufgehoben« werden. Sie stieß sich aber nicht daran, für gebürtige »Zigeuner« einen solchen Ausweiszwang einzuführen. Und dies erregte auch keinerlei verfassungsrechtliche Bedenken. Nur eine kleine Minderheit von Intellektuellen machte sich für ihre missliebigen Mitbürger stark, etwa die Berliner Schriftstellerin Grete Weiskopf (1905-1966), die unter dem Pseudonym Alex Wedding 1931 den Kinderroman »Ede und Unku« veröffentlichte, in dem ein Sinti-Mädchen die Hauptrolle spielt. Erna Thormann, das Vorbild für »Unku«, wurde 1943 mit ihrer Familie nach Auschwitz deportiert und in der dortigen Krankenbaracke des »Zigeunerlagers« per Injektion getötet. Ihr Mann Otto Schmidt war zuvor in Buchenwald ermordet worden. Auschwitz markierte eine neue Etappe: den Versuch, die »Zigeunerfrage« mit Brachialgewalt zu »lösen«. Doch selbst hier lebte die vorgängige Ambivalenz weiter. Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß bekannte später, dass er an »seinen« Zigeunern (»meine liebsten Häftlinge«) geradezu Gefallen gefunden habe: »In ihrer ganzen Art waren sie eigentlich zutraulich wie Kinder.« Und weiter: »Ihrem Leben und Treiben zuzusehen, wäre interessant gewesen, hätte ich nicht dahinter das große Grauen gesehen - den Vernichtungsbefehl.« Dieser Vernichtungsbefehl wurde in Etappen realisiert. Am 16. Dezember 1942 hatte der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, dekretiert, alle noch im Reichsgebiet verbliebenen »Zigeuner« (rund 10000) seien nach Auschwitz zu deportierten. Der erste »Zigeunertransport« kam dort am 26. Februar 1943 an. Die Neuankömmlinge erhielten eigene Häftlingsnummern (mit Z beginnend) und wurden im »Zigeuner-Familienlager B II e« in Auschwitz-Birkenau untergebracht. Vorerst. Am 16. Mai 1944, gegen 19 Uhr, fahren Wagen vor, aus denen mit Maschinengewehren bewaffnete SS-Männer steigen. Sie befehlen den Lagerinsassen, ihre Baracken zu verlassen. Doch die Häftlinge weigern sich - bewaffnen sich mit Spaten, Messern, Brecheisen und Steinen und drohen, Widerstand zu leisten. Ein Aufruhr im Konzentrationslager! Nach längerer Beratung rückt die SS wieder ab. Die »Liquidierung der Zigeuner« von Auschwitz war fürs erste gescheitert. Der Aufschub war nicht von Dauer. Seit 1943 wurden die nach Auschwitz deportierten »Zigeuner« von der Lagerverwaltung in zwei »Hauptbücher« eingetragen (für Männer und Frauen getrennt). Im Sommer 1944 beschließen der polnische Häftling und Rapport-Schreiber des »Zigeunerlagers« Tadeusz Joachimowski und seine Gehilfen, die beiden Bücher zu verstecken. Sie wickeln sie in Kleidungsstücke, verbergen sie in einem Eimer und vergraben diesen auf dem Lagergelände. Mit gutem Grund: In der Nacht vom 2. zum 3. August 1944 werden die im »Familienlager« verbliebenen »Zigeuner« sämtlich ermordet: an die 3000. Am 13. Januar 1949, fast vier Jahre nach der Befreiung des KZ Auschwitz, wird der Eimer mit den »Zigeuner-Hauptbüchern« gefunden. Ein Nachdruck ist 1993 in Zusammenarbeit des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau mit dem Dokumentationszentrum Deutscher Sinti und Roma, Heidelberg, veröffentlicht worden. Am kommenden 16. Mai findet im »Weltsaal« des Auswärtigen Amtes in Berlin eine Gedenkveranstaltung zum 60. Jahrestag des Aufstandes der Sinti und Roma in Auschwitz-Birkenau statt. Gut und richtig. Aber ebenso wichtig ist es, darüber nachzudenken, wie viel deutsche Mentalität den anderen Tag große...

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