Bach - ein Romantiker?
Eindrücke vom Bachfest Leipzig, das am Sonntag zu Ende geht
Bach und die Romantik« lautet das Motto des Bachfestes Leipzig 2004. Der Sache nach müsste es aber »Die Romantiker und Bach« heißen. Das würde Bach keineswegs schaden. Im Gegenteil. Es wird in jeder Hinsicht deutlich, welche Ausstrahlungskraft seine Musik besitzt. Felix Mendelssohn Bartholdys Pioniertat, die Wiederaufführung der Matthäus-Passion, steht dafür an erster Stelle.
In dieser Einrichtung wird das Werk am letzten Festtag vom MDR-Chor und -Sinfonieorchester unter Leitung von Howard Arman aufgeführt (Sonntag, 11Uhr im Gewandhaus). Ein Vergleich mit dem Bachschen Original zeigt, wie pietätvoll Mendelssohn mit dem Werk umgegangen ist. Weil die Musikhörer seiner Zeit den Dimensionen der ungekürzten Matthäus-Passion nicht gewachsen waren, nahm er behutsame und genau bedachte Kürzungen vor, die im Wesentlichen noch vom Thomaskantor Günther Ramin bis in die 1950er Jahre beibehalten wurden.
Werke Mendelssohns haben - neben Bachs eigenen - auch sonst im Programm Vorrang. Sein Oratorium »Paulus« und die Sinfonie-Kantate »Lobgesang«, seine in der DDR-Zeit zu wenig beachteten Motetten und Psalmen bekunden, wie eigenständig er seine intensive Beschäftigung mit dem Werk Bachs für sein Schaffen nutzte. Mit der eindrucksstarken Wiederaufführung des genauen Programms jenes denkwürdigen Orgelkonzertes vom 6. August 1840 zu Gunsten eines Bachdenkmales, erinnerte der Gewandhausorganist Michael Schönheit an den Einsatz Mendelssohns in dieser Hinsicht.
Ein weiterer häufig im Programm auftauchender Komponist ist Robert Schumann. Mit Ausnahme der wenigen direkt auf Bach bezogenen Werke geht die Beschäftigung Robert und auch Clara Schumanns mit Bach nicht so deutlich ins Ohr wie bei Mendelssohn. Doch der an Informationen reiche Vortrag von Prof. Dr. Hans Joachim Köhler im restaurierten Schumann-Haus gab viele Denkanstöße, die Auseinandersetzung beider Künstler mit Bach in den im Hause aufgeführten Werken Schumanns zu erspüren.
Selbstverständlich haben im Programm dem Motto entsprechend auch Werke von Franz Liszt, Johannes Brahms, Max Reger und heute weniger bekannten Komponisten wie Moritz Hauptmann, Heinrich von Herzogenberg, Joseph Gabriel Rheinberger ihren Platz, auch von romantischen Künstlern wiederentdeckte Werke von Giovanni Pierlugi da Palestrina. In solcher Nachbarschaft weckte die große Cecilien-Messe von Charles Gounod trotz einiger bombastischer Ausuferungen viel Zustimmung. Vorgetragen wurde sie vom Leipziger Vokalensemble amici musicae und dem Jugendsinfonieorchester der Musikschule Leipzig unter Leitung des einstigen Thomaners Ron-Dirk Entleutner.
Der Beitrag des MDR-Sinfonieorchesters mit Emilio Pomàrico als Gastdirigent fand parallel zum offiziellen Festival-Programm statt. Er gehört mit Bachs Suite C-Dur, dem Violinkonzert von Alban Berg (Solist Thomas Zehetmair), Arnold Schönbergs Instrumentation von Bachs Präludium und Fuge Es-Dur BWV 552 und den Orchestervariationen Schönbergs zu den gewichtigsten Konzerten dieser zehn Tage.
Viel Anerkennendes wäre zu den Leistungen der zahlreichen Gast-Ensembles der, wenn nicht ausverkauften, durchweg gut besuchten rund 70 Veranstaltungen zu sagen, zum Concerto Köln unter David Stern, dem Chor Ex Tempore und dem Orchester La Petite Bande unter Sigiswald Kuijken, der Gächinger Kantorei und dem Bach-Collegium Stuttgart unter Helmuth Rilling und weiteren Gast-Ensembles, zu zahlreichen Solisten und Preisträgern internationaler Wettbewerbe, den Leipziger Orchestern und Chören, voran dem Thomanerchor unter Leitung von Georg Christoph Biller.
Bedeutendes ist in den letzten Tagen dieses Bachfestes noch zu erwarten, nicht nur vom schwedischen Eric Ericsen Chor und dem Drottningsholm Barock-Ensemble mit Bachs Messe h-Moll zum Abschluss des Festes. Neben den alljährlichen Händelfesten in Halle und den (hoffentlich bleibenden) Dresdener Musikfestspielen hat das zum sechsten Male in jährlicher Folge veranstaltete Bachfest Leipzig...
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