Grammatik der Sklavensprache

Von Gerhard Zwerenz

Der Schriftsteller über geölten Fundamentalismus aus den USA und Verleumdungen aus Deutschland.

Die Sklavensprache hat viele Dialekte, aber keine Dolmetscher nötig. Wer lügt, dem glaubt man nicht, selbst wenn er mal die Wahrheit spricht. Am 16. Mai schaltete Frau Christiansen inmitten ihrer Talkgäste die Sprechmaschine Rice ein, ein lebendes Tonband aus dem Weißen Haus. Sind Frauen die besseren Automaten? Was da in 99 scham- und charmelosen Wiederholungen ablief, brachte sogar die Hände des zum Applaus angehaltenen Publikums durcheinander. Dem beisitzenden Herrn Schäuble lähmte es fast die in einem langen Politikerleben verknotete Zunge, der sonore General a.D. Reinhardt memorierte ratlos geltendes wie nicht geltendes Kriegsrecht und Daniel Cohn-Bendit fand beinahe in die Nähe jener Artikulation zurück, die den jüdisch-französisch-deutschen Anarchisten einst auszeichnete, als er noch rot statt grün schillerte. So spielte am vergangenen Sonntag das Talk-Theater in gewohnter Besetzung. Frau Christiansen fragte zupackender als sonst, doch die schwarze Condoleezza aus dem Weißen Haus deklamierte nur den Monolog christlich geölter Fundi-Herrschaft. Es präsentierte sich die makabre Wahrheit der Sklavensprache, die uns noch aus sowjetischen Verlautbarungen in den Ohren dröhnt. Putin redet über Tschetschenien wie Bush-Rice über den Irak, die gefolterten Worte gehen als Gespenster um. In postmodernen Demokratien sollen die Völker als gehorsame Produkte der Medienmaschinerie funktionieren. Die regierenden Staatsschauspieler werfen ihren angepassten Intellektuellen ein paar Stichworte hin. Im besiegten Irak wurde amerikanisch gefoltert? Was tut's, Torturen sind Normalität. Die USA liefern ihre Gefangenen auch in morgenländische Folterhöllen aus, wenn es der Unwahrheitsfindung dient. Und wird in Russland/Tschetschenien etwa nicht gepeinigt und gemeuchelt? Im modernisierten Moskau enthalten die Medien sich der Beschmutzung des Vaterlandes durch Investigation. Wer will es Bush verargen, verlangt er für seine Barbarei die gleichen fairen Bedingungen? Das war die leicht getarnte Botschaft der Christiansen-Runde im Namen der ARD. Danach die Tagesthemen mit Folter- und Sportberichten und kurz nach 23 Uhr der Kulturreport aus Leipzig. Leipzig ist ein gutes Stichwort. Wir akzeptieren es aufatmend. Man kann nicht immer die Talks mit Politikern und Militärs aus dem wilden Westen ertragen. Unser Osten ist auch ganz schön wild. Und seine Medien sind die reine Freude. Leider berichtete der sächsische Kulturreport nichts von der am 12.Mai eröffneten aktuellen Ernst-Bloch-Ausstellung der Leipziger Universität. Der linke Philosoph war in der DDR ab 1957 Revisionist und Konterrevolutionär, dann bis 1990 Unperson und danach nichts anderes. Ein paar unverzagte Professoren wollten das nun korrigieren. Doch die Leipziger Volkszeitung teilte am 8./9.Mai2004 mit, laut dem dortigen Archivar Prof. Wiemers sei es »noch zu früh für diese Schau« und Bloch »sei ein Stalinist gewesen, der sich zum Opportunisten wandelte«. Wo ist da der Unterschied zu jener LVZ vom 20.3.1957, in der ein Artikel gegen den Philosophen erschien, der »von Beschimpfungen, groben Verleumdungen, gefährlichen Unwahrheiten« strotzte. So Bloch in einer Beschwerde am 26.3.1957. Doch der subversive Denker wird weiter denunziert, nur weil sein Horizont über Politbüros und Aktienkurse hinausreichte. Was aber seinen Stalinismus betrifft, so gab es für ihn nur die Alternative Hitler oder Stalin. Selbst Trotzki erklärte sich, bevor Stalin ihn ermorden ließ, für die Verteidigung der Sowjetunion. In diesem Sinne sind wir Antifaschisten alle Stalinisten gewesen und haben es nicht zu bereuen. Alles andere wäre die opport...

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