MoMA in Mecklenburg

Neustrelitz: Ein Zentrum für figürliche Plastik

  • Lothar Eberhardt
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.
Vielleicht findet sich das eigentlich in diesem Jahr im Mecklenburgischen. Neustrelitz liegt auf halbem Weg von Berlin an die Ostsee und ziemlich in der Mitte zwischen übersteigertem MoMA-Event in Berlin und manch einem kleinstädtischen Kunstvereins-Biedersinn. Im ländlichen Idyll Neustrelitz haben drei uneitle Akteure - der Kulturamtsleiter Georg Huschke, der Kunsthistoriker Dr. Raimund Hoffmann und der Bildhauer Uwe Maroske - mit der »Plastikgalerie Schlosskirche Neustrelitz« ein deutschlandweit bedeutendes Forum für figürliche Bildhauerei geschaffen. Drei Mal im Jahr, jetzt 2004 in vierter Auflage, versammelt Neustrelitz Arbeiten zeitgenössischer Künstler und Werke wichtigster deutscher Bildhauer. Die drei Kunstexperten bilden den Beirat, halten Kontakt zu Museen, Kunstsammlungen, organisieren Leihgaben, besuchen die Bildhauer und laden sie ein. Der Kulturchef besorgt das Geld. Ein Budget von 62 000 Euro im Jahr - viel Geld für ein Projekt in einer Kleinstadt, die andere Sorgen hat - für dieses, zumindest deutschlandweit, einmalige Ausstellungskonzept gegenständlicher Bildhauerei nicht viel.
Hier in der mecklenburgischen Kulturlandschaft muss das Skulpturen-Budget der Politik nicht alljährlich aufs Neue abgerungen werden. »Die Ausstellungen sind politisch gewollt«, sagt Kunsthistoriker Hoffmann. Sie sind Teil des Stadtmarketings, ziehen Tagestouristen an, sommers bisweilen Besucher aus dem Ausland, Australier und Japaner auf der Durchreise an die Ostsee. Nicht nur von ihnen finden sich begeisterte Worte der Anerkennung im Gästebuch für so viel Kultur am Wegesrand.
Die Ausstellungsmacher, alle drei mit der Region verwachsen, hängten sich mit ihrer Auftaktschau 2001 - Schwerpunkt: Christian Daniel Rauch und Zeitgenossen - gerne an die Feierlichkeiten um 300 Jahre Herzogtum Mecklenburg-Strelitz an. Historisch stimmig, feierte Preußen ebenfalls 300 Jahre und die Vertreter der Berliner Bildhauerschule, sie sind im barocken Schlossgarten Neustrelitz durch Kopien vertreten, wurden ausgestellt. Übers Jahr registrierten sie auf Anhieb 6000 Besucher, 2002 waren es 7000, voriges Jahr 8000. Hoffmann: »Das ist mittlerweile ein touristenträchtiges Unternehmen, was man sich so nicht hatte vorstellen können.«
Die Bildhauerei gilt allgemein als eher schwer zugänglich - das Populärpublikum bevorzugt das Bild an der Wand. »Mit einem in die Landschaft gesetzten überdimensionierten Würfel fängt manch einer nichts an«, erläutert Kustos Hoffmann, weshalb die Plastikgalerie Neustrelitz eine Vorgabe macht: Figürlich müssen die Plastiken sein. So treffen in dem mit Landesdenkmalmitteln restaurierten Sakralbau Rauchs »Danaide« auf Waldemar Grzimeks »Liebespaar« und Ernst Barlachs »Ekstatiker« auf ein Selbstbildnis der Käthe Kollwitz. So wird durch die Ausstellungszyklen mit jungen Künstlern, deren Lehrern, Themenausstellungen auch mit Beständen aus Museen und Kunstsammlungen der Zusammenhang zwischen Tradition, Lehre, Vorbild und gegenwärtigem Tun sichtbar.
Neustrelitz, 23 000 Einwohner, alte Residenzstadt, der die Residenz - das Schloss - im letzten Krieg abgebrannt ist, verfügt über einen weitläufigen Barockschlossgarten und mit der neugotischen Schlosskirche einen bemerkenswerten Kirchenbau, vom Schinkelschüler Buttel erbaut. Die Kirche, kirchenjuristisch entwidmet und seit zwei Jahren im Eigentum der Kommune, bietet leergeräumt als Galerie 300 Quadratmeter prächtige Projektionsfläche. Die vier Evangelisten von Albert Wolf, Neustrelitzer und einer der bedeutendsten Schüler Christian Daniel Rauchs, bilden mit den Terrakotta-Plastiken über dem Portal das Entree. Hinter den kühlen Gemäuern öffnet sich ein Raum mit »wunderbaren Lichtverhältnissen«, die die Plastiken wie im Freien ständig neu erleben lassen. Der Bildhauer Maroske schwärmt: »Die Schlosskirche mit ihrem natürlichen Raum für Kunst befindet sich in harmonischem Zusammenspiel mit der Plastiksammlung im Schlossgarten.«
Nach dem dreigliedrigen Ausstellungskonzept präsentiert Neustrelitz im Frühjahr wichtige zeitgenössische Bildhauer, den Sommer über Plastik des 19. und 20. Jahrhunderts, im Herbst die Arbeiten der Jüngeren oder wie in diesem Jahr eine generationsübergreifende thematische Ausstellung. So klug die gedrittelten Schauen Jahr für Jahr aufeinander abgestimmt und thematisch verknüpft sind, so wundersam harmonisch arbeiten die Ausstellungsmacher zusammen. Von »glücklicher Fügung« sprechen die Kuratoren. Die drei Männer sind in der DDR geboren, alle drei entstammen musischen Elternhäusern. Der kunstwissenschaftliche Betreuer Hoffmann, Ausstellungs- und Kunstmanager mit eigener Galerie, hat über Barlach diplomiert und zwölf Jahre lang, bis 2002, das Zentrum für Bildende Kunst in Neubrandenburg geleitet. Der Kulturamtschef Huschke sagt über den Bildhauer Maroske: »Ihm gelingt es, das Verständnis für die Wertigkeit der Bildhauerei sehr subtil darzustellen.« So spricht kein Technokrat. Huschke ist mit Kunst aufgewachsen, hat Musik studiert und in der Oper gesungen.
»Was wir hier, außerhalb der Kulturmetropolen, bieten«, stellt der künstlerische Initiator Maroske, ohne unbescheiden zu sein, fest, »ist in Deutschland nirgends mehr zu finden.« Die inhaltliche Konzeption ist das Werbe-Kapital, der Katalog dokumentiert nicht nur die künstlerische Kontinuität, sondern findet als Multiplikator in der Fachwelt großen Zuspruch und hilft mit, den Werbeetat zu ersetzen.

Plastikgalerie Schlosskirche Neustrelitz 2004: Plastik von Waldemar Otto (bis 31. 5.). Menschenbilder. Waldemar Grzimek (1918-1984) (12. 6.-8.8.). Figürlich. Plastik und Skulpturen in Mecklenburg-Vorpommern (21.8.-3.10.). Geöffnet während des Ausstellungszyklus täglich 10-18 Uhr. Info Bürger...

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