Karl-Marx-Allee in zehn Jahren „ertragsstark
Sanierung des ersten Blocks hat begonnen / Private Bank macht volle Sparstrümpfe zu Kapital
Vor 45 Jahren - Berlin lag in Trümmern - begann die DDR, im Arbeiterbezirk Friedrichshain „Wohnpaläste für Arbeiter“ zu bauen. Mit großem Aufwand und republikweiter Unterstützung entstanden für damalige Zeiten Tausende luxuriöse Wohnungen. Mit ihrer prägnanten, eine Epoche markierenden Architektur ging die Stalinallee in die Geschichte ein. Seit Oktober 1989 ist die Karl-Marx-Allee europäisches Baudenkmal.
Karl-Marx-Allee Ecke Straße der Pariser Kommune - hinter der Hülle wird gründlich saniert
ND-Foto: Burkhard Lange
Verheerend wirkte sich auch auf diese Straße aus, was generell in der DDR galt: Aus Wohnungsnot wurden auf der grünen Wiese ganze Stadtteile gebaut, für Erhaltung und Sanierung blieben die Mittel aus. Vier Jahrzehnte nagte der Zahn der Zeit an den einst stolzen Gebäuden. Für jeden sichtbar sind die großflächigen Fassadenschäden. Die Mieter leben mit einsturzgefährdeten Baikonen, undichten Fenstern, streikenden Aufzügen, verschlissenen Bädern und Küchen, verstopften Wasserleitungen, über Putz gelegten Elektroleitungen. Die geschätzten Sanierungskosten sprengen die Milliardengrenze.
Solche Summen aufzubringen, sah sich der Vermieter, die städtische Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain (WBF), außerstande. Als dann noch der Zwang hinzu kam, 15 Prozent des Wohnungsbestandes wegen der angeblichen Altschulden zu verkaufen, sprang die private DePfa-Immobilienmanagement, eine private Hypothekbank mit Sitz in Wiesbaden und inzwischen auch in Berlin, ein. Sie kaufte Ende 1993 die Gebäude auf: 2767 Wohnungen und 185 Gewerbeflächen. Allerdings steht laut WBF-Geschäftsführer Henning von der Lancken bis heute die Entscheidung aus, ob der Verkauf überhaupt auf die Altschuldentilgung angerechnet wird.
Ein gutes Jahr wurde mittlerweile geplant und vorbereitet, dieser Tage haben die Sanierungsarbeiten an einem ersten Block begonnen. Die Ecke Straße der Pariser Kommune i ist wie von Christo verhüllt. ?Dieser „C-Süd“ genannte Ge-; bäudeblock mit 273 Wohnun-
gen wird einer umfangreichen Instandsetzung unterworfen: Elektroanlagen, Gasversorgung und Fahrstühle werden der neuen Technik angepaßt, Sanitärräume total überholt, Fenster, Treppenhäuser und Wohnungsflure von Tischlern und Malern renoviert, Dächer erneuert, Balkone und Putzfassaden im Hofbereich saniert, die Vorderfassaden nach Abnahme der alten durch hinterlüftete Keramikfassaden auf Unterkonstruktion ersetzt. Und bei all dem sind die Auflagen der Denkmalpflege zu beachten. Im Rhythmus von etwa einem halben Jahr soll so allen 14 Gebäudeblocks zu Leibe gerückt werden, als nächster ist der gegenüberliegende „C-Nord“ dran.
Auf 83 Millionen DM werden die Sanierungskosten für C-Süd geschätzt, insgesamt, so rechnet DePfa-Vorstandsmitglied Hans-Ulrich Stork, „muß eine Milliarde DM reinfließen, um die Karl-Marx-Allee in den Zustand zu versetzen, in dem sie zu Anfang der 50er Jahre war“. Das Finanzierungskonzept, das sich die DePfa nach dem Zins- und Rentenhausmodell dafür erdacht hat, ist zumindest bislang aufgegangen. Die Geschichte klingt wie „Sparstrümpfe zu Kapital“.
Für C-Süd wurde ein „Denkmalfonds Nr 1“ aufgelegt. Er war im letzten Oktober kurzzeitig auf dem Markt, hat sich zur Überraschung selbst der DePfa schnell verkauft. Die Idee: Wer mindestens 50 000 DM - im Schnitt waren es dann 80 000 DM - übrig hat, erwirbt Anteile an einer Gesellschaft. sEr:verzichtet zwar fürs etwa<15 ? Jahre auf Rendite, erhält aber steuerliche ,. ; Begünstigungen. und kann etwa ab dem Jahr
2010 mit Barausschüttungen beginnend bei 8,2 % im Jahr rechnen. Sicher nichts für Otto Normalverbraucher, gedacht ist eher an Freiberufler und Selbständige, die so fürs Alter Vorsorgen. Vorstandsmitglied Stork verweist auf die Sicherheit, die DePfa „mit der Bilanzsumme von 120 Milliarden DM“ bieten kann. Schon im Mai soll der Prospekt des Denkmalfonds Nr. 2 für C-Nord am Markt sein.
Wie weit darf man Bankern auf diesem real funktionierenden kapitalistischen Weg folgen? Zumal auf den Sparstrümpfen, die die Mieter der Karl-Marx-Allee im Schrank haben? Vorstand Stork sozial: „40 Jahre Rekonstruktionsstau kann man nicht den Mietern anlasten.“ 90 Prozent der Arbeiten sind ohnehin Instandsetzung, also nicht auf die Mie-; te umzulegen. WBF-Chef von der Lancken als Verwalter der Wohnungen spricht von „Pfen-
nigbeträgen“ für wenige, vereinzelte Modernisierungen.
Doch bei der DePfa wird man wohl rechnen können. Nicht nur mit der anstehenden Mieterhöhung von 15%, auch mit der sich bald eröffnenden Steigerung bei Neuvermietungen. Zur Zeit liegt die Fluktuation bei nur 5 %, doch 80 % der Mieter in der Karl-Marx-Allee sind ältere Menschen. Nicht umsonst preist DePfa-Chef Stork Anteilszeichnern die Wohnimmobilie als „zukunftsbezogen, ertragsstark und risikoarm“ an.
Die vielen Mieter, die schon in der Stalinallee Historie an ihrem Fenster vorbeiziehen sahen, haben für etwa ein Jahr einige Beschwernisse auf sich zu nehmen. Für sie ist seit Dezember Mieterberaterin Sabine Blecker-von der Gesellschaft-,!, für Sozialplanung, Öffentlichkeitsarbeit und Bürgerbeteili-i-, gung tätig. Sie bereitet mit den
Mietern das Baugeschehen vor, begleitet sie bei sozialen Problemen, bringt sie wenn nötig auch vorübergehend während der „Kernbauzeit“ in Bad und Küche kostenlos in einem Heim unter. Die ABS „Brücke“ aus Friedrichshain rückt mit Hilfskräften an, um älteren Menschen praktisch zur Seite zu stehen.
Zehn Jahre dürfte es dauern, bis die breite, vom Autoverkehr abgesehen eher verlassene Straße wiedererwacht. Die DePfa denkt an ein neues Konzept für den Einzelhandel, an gemeinsame Werbung der Gewerbetreibenden, an ein Kulturareal rund ums „Kosmos“ Auch das „Cafe Warschau“ soll wiedereröffnet werden, darüber wird gegenwärtig wenigstens verhandelt. Das wäre ja schon ein Lichtblick. Davon bmuctities noGh viele auf,,dem Weg. zu einer lebendigen Karl: Marx-Allee. .,
KARIN NÖLTE
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