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- Der Schauspieler und Regisseur Ulrich Thein wurde 65
Leute mit Schnauze und Herz
Ulrich Thein bei Dreharbeiten
Foto: Archiv Schenk
Eine Anekdote besagt, daß Ul-' rieh Theins erster Einzug ins Deutsche Theater 1951 hinter dem Rücken des breitschultrigen Mimen Willy A. Kleinau erfolgt sei - vorbei an einem wachsamen, preußisch exakten Pförtner Der am 7. April 1930 geborene Junge aus Braunschweig, Sohn eines Kapellmeisters, hatte zuvor seinen Wunsch, Tierarzt zu werden, an den Nagel gehängt, sechs Semester Musik einschließlich des Harfespiels studiert und Schauspielunterricht genommen. Nun lockte die bedeutendste Bühne Deutschlands; das Vorsprechen hatte Erfolg, Thein wurde in den Kreis erlauchter Mimen aufgenommen. Der Ferdinand in „Egmont“, der Schüler in „Faust“ oder der Fridolin in Heinar Kipphardts früher DDR-Groteske „Shakespeare dringend gesucht“ gehören zu seinem Repertoire unter Regisseuren wie Langhoff, Paryla oder Heinz: Klassik und Gegenwart in buntem Reigen. Schon 1952 wurde auch die DEFA auf ihn aufmerksam und verschaffte ihm eine cineastische Dauerpräsenz als jugendlicher hauptstädtischer Held.
Thein verkörperte - in Filmen wie „Eine Berliner Romanze“ oder ..... und Deine Liebe auch“ - den unscheinbaren Nachbarn mit dennoch ganz eigener Biographie. „Durchschnittliche“ Menschen, deren Lebenswege mit der gesellschaftlichen Realität eng verbunden sind: der geteilten Stadt, dem Mauerbau, der Enttäuschung und der Zuversicht. Die Entdeckung gleichsam des „Unbekannten Bürgers“, wie er einen seiner späteren Fernsehfilme nannte. Denn 1963 im selben Jahr, als er das Deutsche Theater verließ - hatte er begonnen, auch den Platz hinter der Kamera einzunehmen: „Der andere neben dir“, seine erste Regiearbeit fürs Fernsehen, markierte schon im Titel ein Programm: „Ich möchte“, so Ulrich Thein, „begreifbare, nachvollziehbare Geschichten von ganz normalen Leuten in diesem Land erzählen, die alle ihre Erlebnisse, ihren Wert und ihre Größe haben. Ich denke, ich bin einer, der beobachtet, Fragen stellt und Phantasie genug hat, um sich auszumalen, was wäre, wenn...“
Ihm ist, als Regisseur, etwas Seltenes gelungen: die konsequente Verfolgung eines Genres. Ulrich Thein machte das Volksstück zu seiner Sache -„das kommt“, schrieb Klaus Wischnewski in der „Weltbühne“, „aus der Quelle, wo früher Singspiele, Küchenlieder, Moritaten herkamen: mit Gefühl und Witz, Schnauze und Herz.“
Der vielleicht schönste Theinsche Fernsehfilm solchen Formats entstand nach einer Erzählung von Hermann Kant: „Mitten im kalten Winter“ (1968). Und sein für mich schönster Kinofilm folgte zwölf Jahre später- „Dach überm Kopf, die Liebesgeschichte zwischen einer Köchin, die ihr Leben umzukrempeln versucht, und einem kantigen, vitalen Baubrigadier Aber sollte das Inszenieren alles sein?
Ich hatte Durst, und was fyr einen, sagte Thein 1981 in einem Interview - und meinte den Durst des Schauspielers nach neuen Rollen. Denn als Regisseur verpflichtet er sich nie selbst: Du darfst immer nur eine Sache machen, soll sie gut werden, lautet seine Devise. Als ihm Günter Reisch „Anton den Zauberer“ (1977) zu spielen anbot, griff er natürlich sofort zu: die tragikomische Vita eines cleveren Handwerkers, DDR-Schwejks und von Frauen begehrten Tausendsassas interessierte ihn brennend. Als dann in den achtziger Jahren, fürs Fernsehen, die Titelrollen in den Mehrteilern „Martin Luther“ und „Johann Sebastian Bach“ folgten und eine Interviewerin fragte, welcher große
Deutsche denn als nächster anstünde, antwortete er nur-„Keiner, und wenn, würde ich ihm geschickt auszuweichen wissen.“ Was prompt mit einem weiteren filmischen Volksstück, „Mensch, mein Papa...!“ gelang.
Zu Theins großen, bleibenden Rollen gehören natürlich die unter der Regie von Frank Beyer - der russische Spanienkämpfer Wasja in „Fünf Patronenhülsen“ - und vor allem der SA-Mann Jürgen in „Königskinder“ Unvergeßlich die Szene, in der dieser Berliner Arbeiterjunge seinen früheren Freund, einen Kommunisten (Armin Mueller-Stahl), im Strafbataillon bis zur Erschöpfung schleift - um ihm damit das Leben zu retten. Solch zwiespältige Charaktere, in denen sich Himmel und Hölle begegnen, wurden Thein, genauso wie komödiantische Rollen ä la Anton Grubske, zu DDR-Zeiten viel zu selten angeboten: ein Beleg nicht zuletzt für den weitgehend hilflosen, ja dilettantischen Umgang mit den eigenen Stars. - Und heute? Was seit 1989 im deutschen Osten geschieht, hat tiefe Wunden in Theins Seele und Gesundheit geschlagen. Er verweigert sich, aus Zorn und Trotz. Manchmal zu Unrecht, mitunter aber aus nachvollziehbaren Gründen. Denn es ist wohl mehr als nur gekränkte Eitelkeit, daß er zum Beispiel das Angebot ausschlug, für RTL ein paar Folgen von „Gute Zeiten - schlechte Zeiten“ herunterzukurbeln.
RALF SCHENK
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