Die Toten und die Generäle
Was der Wehrmachtsbericht noch am 27 April großmäulig „Angriff nach Westen in die tiefe Flanke der im Süden von Berlin operierenden Bolschewisten“ nannte, war nicht mehr als eine mehr oder weniger heillose Flucht. Am 26. April hatte Hitler der südwestlich von Berlin operierenden 12. Armee, der sogenannten Geisterarmee Wenck, die in wenigen Wochen aus zersprengten Truppenteilen zusammengekratzt worden war und der im Fluchtkessel südöstlich von Berlin befindlichen 9 Armee befohlen, gemeinsam den Ring um Berlin aufzubrechen. Die Folge dieses Befehls habe ich miterlebt und wie ein Wunder überlebt.
Als Versprengte einer Artillerieabteilung der 9 Armee waren wir (ein Leutnant und sieben Mann) in der Nacht zum 28. April in die Nähe des Forsthauses Klein-Hammer, an der Fernstraße 179 zwischen Märkisch-Buchholz und Königs Wusterhausen, geraten, in
dem ein Teil des Stabes der 9 Armee und einer Waffen-SS-Division im Keller saßen.
Am Morgen des 28. April erlebten wir das Debakel des sinnlosen Versuches von Teilen einer im Wald der Umgebung befindlichen Panzergrenadier-Division, nach Berlin durchzustoßen. Beim Stab meldeten nach Stunden mörderischen Waldkampfes am Leben gebliebene Feldwebel und Unteroffiziere den Untergang ihrer Bataillone und Regimenter.
Derweil hatten die beiden Generäle Wenck und Busse eine Absprache getroffen. In seinen Erinnerungen schildert Wenck, daß er zusammen mit Busse möglichst viele Verbände aus den Kesseln von Potsdam, Beelitz und Halbe über die Elbe zu den amerikanischen Truppen führen wollte.
In der Nacht vom 28. zum 29 April stellte Busse eine kleine Kampfgruppe mit zwei „Tiger“-Panzern modernster Bauart - einen reservierte sich Busse - zusammen. Dann ging es in Richtung Halbe.
Um Halbe wurde seit Tagen heiß gekämpft. Die Durchgangsstraße des Ortes selbst steckte gerade in jener Nacht voll von fliehenden Truppen, die an der eigenen Panzersperre hängen blieben. Die beiden Busse-„Tiger“ bahnten sich rücksichtslos den Weg, wobei ungezählte eigene Soldaten ums Leben kamen. Busse fuhr buchstäblich über Leichen in seine „Freiheit“ Während er sich „verdrückte“, wurden 13- und 14jährige Hitlerjungen vom Volkssturm ins Maschinengewehrfeuer der Sowjetarmee gejagt. So ging es noch einen Tag und eine Nacht, bis am 30. April mor-
gens das Gemetzel zu Ende war
Im Dorf Oderin, südlich von Halbe, geriet ich an diesem Tag in sowjetische Gefangenschaft. Gefangen, aber befreit von dem Wahnsinn einer verbrecherischen Kriegsführung.
Wenck und Busse und mit ihnen noch ein paar hundert Soldaten der 9 Armee war es gelungen, dem Kessel zu entrinnen. Am 3. Mai unterbreitete Wenck den Amerikanern ein Kapitulationsangebot, in dem er anbot, „den Kampf gegen den Bolschewismus bis zur letzten Patrone“ fortzusetzen. Und: „Nach Beendigung des letzten Kampfes der Armee... Übernahme der geordneten Verbände und Überführung als aufrechte Soldaten zur Verfügung des amerikanischen ArmeerOberkommandos“
Später, in ihren Erinnerungen, priesen Wenck und Busse
ihre militärische Führungskunst bis fünf Minuten nach Zwölf, nicht erwähnend, daß auf ihr Konto die über 20 000 Soldaten gingen, die in der Kesselschlacht von Halbe ihr Leben ließen. 1957 wurden, beide als Kandidaten für den Posten des Bundeswehr-Generalinspekteurs genannt. Aus Altersgründen schied Busse zwar aus, bekleidete aber lange im Bonner Innenministerium den Posten eines „Beraters für Evakuierungsfragen in besonders luftgefährdeten Gebieten“ Wenck lehnte ab, obwohl, wie er in einem Zeitungsinterview betonte, „als alter Soldat mehrmals in einem inneren Gewissenskonflikt gestanden“ zu haben und „mir die Entscheidung nicht leichtgefallen ist“ Wenck war inzwischen zum Vorstandsmitglied eines großen Unternehmens avanciert - vom Stamm-
werk der Diehl-Gruppe, heute zweitgrößter Rüstungskonzern der Bundesrepublik, der vom Leopard-Panzer über Raketen bis zu Geschoßzündern und Nachtsichtgeräten alles produziert, was für einen modernen Krieg nötig ist. Als Wenck am 1. Mai 1982, 37 Jahre nach dem schrecklichen Ende von Halbe, an den Folgen eines Verkehrsunfalles starb, würdigte die Leitung des Konzerns ihn als einen Mann, der „den organisatorischen und personellen Aufbau des Unternehmens Wehrtechnik in unserem Hause mitgeprägt und diesen Bereich bis 1966 verantwortlich geführt“ habe.
Seine und Busses Opfer, die auf dem Waldfriedhof in Halbe ihre letzte Ruhestätte gefunden haben, sollten den Deutschen heute angesichts erneuten „out of aerea“-Säbelrasselns eine Warnung sein; sie können keineswegs einer falsche Heldenverehrung dienen.
HARRICZEPUCK
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