Das produktive Chaos

Markus Imboden gelingt ein Film über Brigitte Reimann

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 6 Min.
Ihre »Franziska Linkerhand« war ein frühes Buch über das Ende der DDR. Abgerungen dem Krebs, der in ihr wuchs. Das Buch blieb unvollendet. Dass es 1974 - ein Jahr nach Brigitte Reimanns Tod mit neununddreißig Jahren - überhaupt erscheinen konnte, grenzt an ein Wunder. Diese Franziska Linkerhand war eine wie die Reimann. Eine junge Architektin, die Hoyerswerda als »sozialistische Stadt« mit erbauen will. Aber schnell erfährt sie, es geht gar nicht um den Menschen, es geht immer um irgendetwas anderes. Um drängende Termine, fehlendes Geld, schlechtes Material, Gleichgültigkeit. Sie kämpft auf ihre unbedingte Art, manche halten sie für naiv, aber sie weiß, wenn es in dieser Stadt nicht gelingt, etwas Neues zu machen - dann nirgendwo. Es gelingt nicht, die Träume weichen dem Ekel. Alles bleibt kleinkariert und provinziell. Wen gelegentlich ostalgische Gefühle überkommen, der sollte - als Gegengift - wieder dieses Buch lesen. Also war alles umsonst? Es bleiben die Biografien derer, die an ihrer Aufgabe wuchsen. Die noch dem Scheitern eine Würde gaben. Brigitte Reimanns Tagebücher und der Briefwechsel mit Christa Wolf sind solche Zeugnisse, die uns reich machen. Oder der wunderbare Film von Lothar Warnecke von 1981 »Unser kurzes Leben«, in dem Simone Frost Franziska Linkerhand ein Gesicht gab, das man nicht vergisst. Der Westen Deutschlands jedoch kennt Brigitte Reimann bislang kaum, trotz zweibändiger Tagebuchedition im Aufbau Verlag. Vielleicht ändert sich das heute Abend. Denn Markus Imboden (ein Schweizer!) hat aus dem Leben der Brigitte Reimann einen Spielfilm gemacht: »Hunger auf Leben«. Wie er hierbei immer die richtige Nuance trifft, das verblüfft. Man hätte es kaum noch für möglich gehalten. Da interessiert sich ein Regisseur wirklich für eine Ost-Biografie und führt sie nicht bloß vor, verzichtet auf alle Klischees. In einer Diktatur gibt es nur falsches Bewusstsein, falsches Leben - so das Vorurteil der westlinken Diskurstheorie (Habermas!), das uns allen die letzten vierzehn Jahre lang immer nur auf die Füße gefallen ist. Das tat weh, weil so die Tragödie des Scheiterns immer nur eine »vormoderne« Posse blieb, über die die nicht dabei Gewesenen überheblich mit den Schultern zuckten. Aber auch dem Westen blieb so jede Einsicht in eine fremde Welt versperrt. Und nun kommt der Schweizer Imboden in aller Gelassenheit daher und begeistert die Schauspieler seines Films - gleich ob aus West oder Ost - für diese ungewöhnliche Frau. Ein Stück biografisch gespiegelter DDR-Geschichte steht vor uns. Martina Gedeck fühlt sich so tief in die junge Brigitte Reimann ein, dass man einen glücklichen Moment lang denkt, so könnte sie aussehen, die deutsche Einheit. Erkennt der Westen in der Geschichte (und den Geschichten) des Ostens nun endlich auch sich selber? Martina Gedeck jedenfalls hat sich mit Brigitte Reimann so intensiv identifiziert, dass man ahnt, hier treffen sich zwei Frauen, die Schriftstellerin Ost und die Schauspielerin West, in ihrem unbedingten Lebenshunger. Martina Gedeck trägt diesen Film. Sie hat jene ganz selbstverständliche Ausstrahlung, die keinen Zweifel an der eigenen Bestimmung lässt. Dieses Ganz-oder-gar-nicht wird zur Zumutung für die Männerwelt. Das ist für die 50er Jahre wohl zu viel der Emanzipation: geistige Schöpferkraft, die sich ihrer sexuellen Wurzeln stets bewusst bleibt. 1955 setzt der Film ein. Da hat die Zweiundzwanzigjährige bereits den Krieg, Kinderlähmung, Heirat und einen Selbstmordversuch hinter sich. Ihr erstes Buch »Der Tod der schönen Helena« erscheint im Verlag des Ministeriums des Innern. Es taugt, nach ihrer eigenen immer strengen Einschätzung, nichts. Also weiterschreiben. Erst »Franziska Linkerhand« sollte ganz ihrem Schreib-Ideal entsprechen: Ein Roman ohne Kompromisse, in dem nur die Wahrheit steht. Vielleicht lässt sich ein solches Buch nicht vollenden - ohne dass man darüber stirbt. So ernst nahm sie es. Kompromisslos gelebt hatte sie bereits Mitte der 50er Jahre. Aber das Schreiben hat eigene Gesetze. Sie arbeitet gerade an »Die Frau am Pranger«, ihr neuer Lektor vom Verlag Neues Leben zeigt sich von der Frau fasziniert, von dem Text nur halb. Nüchterner Schreiben, weniger Adjektive, fordert er in Lektorenmanier. Ulrich Mühe ist dieser Lektor, ein kongenialer Ratgeber, dem man gerne folgt, selbst da, wo er Unrecht hat. Dass die Autorin und ihr Lektor sofort nach dem ersten Treffen im Bett landen, könnten mit dem Wesen der Reimann weniger Vertraute für einen billigen Film-Effekt halten, aber so war sie: jederzeit direkt. In ihrer Art, Körper und Geist zu geben, war sie ohne jedes Zaudern. Dass dieses große Liebesvermögen schnell in eine einzige Verstrickung führen musste, ist jedem nüchternen Beobachter klar. Sie liebt den zarten Dichter Siegfried Pitschmann (Kai Wiesinger), mit dem sie das Hörspiel »Ein Mann steht vor der Tür« schreibt, aber sie liebt auch den Zyniker Jon. Sie ist immer aufrichtig, auch da, wo sie andere betrügt. Der erfüllte Augenblick kann nicht lügen. Und sie will nicht nüchtern sein. Sie schreibt wie im Rausch, sie liebt und hasst bedingungslos, trinkt Unmengen, raucht ständig. Sie habe »den gierigen Blick«, sagt im Schriftstellerheim die ältliche zweifache Nationalpreisträgerin (wunderbar eingetrocknet: Karin Gregorek). Diese ahnt die Unruhe, die von der jungen Frau ausgehen wird - erotisch, politisch, künstlerisch. »Du hast nur Chaos an der Stelle, wo andere ihre Moral haben«, sagt einer der von ihr Enttäuschten. Ein produktives Chaos - jenseits aller Konvention. Der Titel eines ihrer Bücher, das 1961 erscheint, gibt einer ganzen Buchgeneration den Namen: »Ankunft im Alltag«. Ein Missverständnis wohl, denn alltäglich sollte er gerade nicht sein, ihr Alltag. Und immer ohne Ankunft. Aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen worden, wie der »Spiegel« in seiner Filmkritik suggeriert, ist die Reimann allerdings nie. Im Gegenteil: Sie wurde 1963 in den Vorstand gewählt. Was man von Filmen heute kaum noch kennt: hochkarätig besetzte Nebenrollen. So brillieren Dieter Wien und Martin Seifert als Funktionärsmarken. Austauschbar und doch gefährlich. Brigitte Reimann wohnt von 1960 bis zum Ausbruch der Krankheit in Hoyerswerda, bekommt Preise, gilt manchen gar als »Staatsdichterin«. Aber stiftet nun vor allem Unruhe. Wird zerrieben zwischen Anspruch und Einlösung, Schein und Realität. 1968 die erste Krebsoperation, Flucht aus der sozialistischen Musterstadt, die ihr zum Albtraum wird, nach Neubrandenburg. Christa Wolf schreibt ihr: »Liebe Brigitte, ich hoffe, Du bist wieder im Schreiben. Es ist das einzige, was einen retten kann, hör nicht auf damit, schreib über alle Anwandlungen und Zweifel hinweg.« Sie hat es getan, selbst die Krankheit wurde ihr zum Medium der Intensität. Das zeigt der Film schon nicht mehr. Aber »Franziska Linkerhand«, die zur Frucht ihrer Todeskrankheit wurde - äußerste Freiheit des Schreibens, äußerste Bestimmtheit der Aussage -, liegt vor uns. Heute auf Arte um 20.45 Uhr und am 1. September in der ARD, 20.15Uhr Das Buch zum Film »Brigitte Reimann. Hunger auf Leben« erscheint Ende August im Aufbau Taschenbuch Verlag.
Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das "nd" mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal