Ibn Sauds Emissär bei Hitler

Begehrlichkeiten nach dem schwarzen Gold des Orients

  • Julius Waldschmidt
  • Lesedauer: 4 Min.
Juni 1939. Warm liegt die Sonne über dem Land. Es ist, als wolle sie noch einmal den Frieden auskosten, bevor der Krieg, der zweite weltweite des 20. Jahrhunderts, ausbricht. Zehn Wochen später wird die deutsch-polnische Grenze mit Waffengewalt zerrissen, unter Panzerketten zerwalzt und unter Salven deutscher Schiffsgeschütze begraben. Auf der Straße von München nach Berchtesgaden rollt eine Mercedes-Kolonne. Auf dem Obersalzberg erwartet Hitler einen außergewöhnlichen Besucher - den Sondergesandten des Königs Abdul Aziz Ibn Saud von Arabien: Scheich Khalid al Hud al Gargani. Er ist nicht das erste Mal in Deutschland. Vor dem Termin beim »Führer« hat er seine Kontakte aufgefrischt und sich unter anderem mit Außenminister Ribbentrop getroffen. Legationsrat Dr. Werner-Otto von Hentig vom »Orient-Referat« des Auswärtigen Amtes (Pol VII - Türkei, Irak, Iran, Indien, Ägypten, Mandatsgebiete) begleitet den arabischen Gast. Sie kennen einander. Hentig, einen auf drei Kontinenten erfahrenen Diplomaten, umwehte der Ruf, bereits 1915 in Afghanistan antibritische Aktivitäten gefördert und gesteuert zu haben - mit dem Ziel Indien. Das Unternehmen war jedoch misslungen und hatte ihn und seine Gefährten zu einer abenteuerlichen Flucht bis nach China gezwungen. Dass er nun Ibn Sauds Emissär zu Hitler führt, hat folgenden Hintergrund: Der Gesandte Dr. Fritz Grobba, ebenfalls mit Afghanistan vertraut, nun jedoch in Bagdad stationiert und seit dem 21. Januar 1939 beim saudischen Herrscher akkreditiert, weiß um die Probleme, die Ibn Saud bedrücken. Vor allem um dessen Bemühen, in ausgewogener Politik zwischen den Mächten den eigenen Machterhalt zu sichern. Die Annexion der Hedschas-Region, in der die heiligen Stätten des Islam liegen, hat man in langwierigen Auseinandersetzungen mit dem schließlich vertriebenen Scherifen Hussein vertraglich regeln können. Doch seit 1938 die amerikanische »State Oil Company of California« (SOCAL) in der Provinz el Hassa auf einen Erdölschatz sondergleichen gestoßen war (um 1940 sollten dort bereits jährlich 650000 Tonnen sprudeln), wurde es schwieriger. Ibn Sauds britischer Berater, der Diplomat und mutige Forschungsreisende durch die Arabische Wüste Harry St. John Bridger Philby hatte im Mai 1932 einem Agenten der kalifornischen Erdölgesellschaft zugesagt, den Weg zu den saudischen Erdöl-Quellen zu bahnen. Alsbald begannen in Dschidda, der Residenzstadt am Roten Meer, die Verhandlungen über einen entsprechenden Vertrag. Am 29. Mai 1933 wurde dieser durch Finanzminister Scheich Abdullah Suleiman im Auftrag des Königs und Dr. Lloyd Hamilton für die SOCAL unterzeichnet. Als Anzahlung auf eine vereinbarte Jahrespacht für das Konzessionsgebiet (5000 Pfund Sterling!) legten die amerikanischen Partner 30000 Pfund Sterling fest - ein göttliches Geschenk für das damals größte Erdöl-Lager der kapitalistischen Welt. Aber auch der Vermittler Philby ging nicht ohne Entgelt für seine guten Dienste aus. Der König von Saudi-Arabien blieb von nordamerikanischen, britischen, französischen und deutschen Interessenten stark umworben. Ein rücksichtsloser Wettbewerb um Konzessionen und Verfügungsgewalt, um Pipelines und Transportrechte für das schwarze Gold hatte den Mittleren Osten erfasst. Im Frühjahr 1933 wurde dem deutschen Gesandten Grobba eine Fassung des genannten SOCAL-Vertrages zugespielt, verbunden mit einer Mitteilung von Ibn Saud an die deutsche Regierung. Darin hieß es, falls Berlin auch einen solchen Vertrag unterschreiben könne, würde Deutschland die El Hassa-Konzession erhalten. Reichskanzler Hitler lehnte jedoch ab, da - so Fritz Grobba in seinen Lebenserinnerungen - »Deutschland im Fall eines Krieges eine Erdöl-Konzession in Saudisch-Arabien nicht würde schützen können«. Unverblümt fügte Grobba dem jedoch noch hinzu, dass sein Land nicht in der Lage gewesen wäre, die Devisenkosten einer solchen Konzession zu tragen. Rockefellers State Oil Company of California hingegen zögerte damals nicht und gab ihrem Mann in Dschidda grünes Licht. So kam es, dass am 17. Juni 1939 auf dem Obersalzberg nur ein kleines Waffengeschäft vereinbart wurde und Scheich Khaled al Hud, durchaus versiert im Umgang mit deutschen Rüstungsunternehmen wie der Essener Ferrostahl, am Ende seines Aufenthalts einen Kredit von sechs Millionen Reichsmark mitbrachte, der u.a. den Import von 8000 Gewehren, einer kleinen Patronenfabrik und weitere Bestellungen abdecken sollte. Hitlers Oberkommando der Wehrmacht wollte, wie zusätzlich vereinbart wurde, König Ibn Saud auch noch 400 Gewehre als Geschenk übersenden, was von Hentig in seinen Memoiren (»Mein Leben - eine Dienstreise«) unter »unerfüllbare Zusagen« vermerkt hat. Der Krieg hat diesen Vertrag wertlos werden lassen. Während die deutschen Generalstäbler noch dem Wahn anhingen, »innerhalb von sechs Wochen« die Sowjetunion »niederzuwerfen«, wurden auf den Erdöl-Feldern des Orients schon die Weichen gestellt für eine Welt nach den großen Schlachten. Aus SOCAL, TEXACO, EXXON und MOBILOIL wurde ARAMCO - bis die Saudis das Zepter übernahmen. Eine besondere Pikanterie: Der Diplomat, der Ibn Sauds Emissär 1939 zu Hitler führte, diente 15 Jahre danach dem ersten Sohn des saudischen Königs als Berater.

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