Die Indígenas und die Mennoniten

Antworten auf Leserbriefe aus Paraguay zu »Die letzte Flucht der Ayoréode«

Der Beitrag »Die letzte Flucht der Ayoréode« im ND vom 1. April 2004 hat ein lebhaftes Echo in Paraguay ausgelöst - in Mennonitengemeinden, deren Umgang mit der Indígena-Urbevölkerung der Ayoréode in dem Artikel kritisch dargestellt wurde. Daraufhin hat die Mitautorin Sabine Geugelin, die selbst längere Zeit in Paraguay lebte, einen Brief an Schülerinnen der Mennoniten-Schule aus Loma Plata geschrieben, den wir auszugsweise publizieren - ebenso wie zwei der Briefe aus Paraguay. Außerdem äußert sich der Menschenrechtsexperte Dr. Theo Rathgeber aus Göttingen zu dem Konflikt.

Sie verstehen nicht, mit Geld umzugehen

Wenn im Artikel geschrieben steht, dass illegale Siedler und Rinderzüchter die Wasserquellen auf ihrem Land beanspruchen: Es ist ja so, dass Personen, wenn sie Land legal gekauft haben, auch ein Recht haben, dieses Land zu gebrauchen und zu bearbeiten... Außerdem wurden die Ayoréode nicht verschleppt, sondern in einer neu aufgebauten bzw. angepassten Siedlung (»Campo Loro«) angesiedelt.
Graciela Fröse, Debbie Giesbrecht, Jessica Bergen, Jochebed Giesbrecht und Tanya Penner

Dass die Indianer ausgebeutet werden, keinen Mindestlohn erhalten und abhängig sind, hat seine guten Gründe... Die Indianer können nicht anbauen und wirtschaften, denn das liegt ihnen nicht im Blut. Außerdem verstehen sie nicht, mit Geld umzugehen, was man dadurch merkt, dass sie nie etwas aufbauen können bzw. Kapital anlegen. Aus der Ferne kann man gut reden und kritisieren. Wenn man hier im Chaco lebt, sieht man die Situation etwas anders. Die Ausübung ihres Glaubens ist den Indianern durchaus nicht verboten. Wir, die Mennoniten, bieten ihnen nur unseren Glauben an, aber entscheiden müssen sie selber und dürfen sie selber. Wir missionieren sie nur, weil die Bibel es uns vorschreibt. Das ist nur Gehorsam unserem Glauben gegenüber.
Heike Funk, Dorothea Sawatzky, Anja Reimer, Stefanie Schröder und Jennifer Peters

Toleranz gegenüber Anderssein

Wenn das Land der paraguayischen Ureinwohner im Chaco von der paraguayischen Regierung Ihnen bzw. Ihren Vorfahren »überlassen« worden ist, so bedeutet dies nicht, dass diese Gebiete auch »legal« - wie Sie schreiben - den Besitzer gewechselt haben. Besitzer war nämlich ursprünglich nicht die paraguayische Regierung, denn sie hat es nicht von den Menschen käuflich erworben, die das betreffende Land seit Urzeiten besiedelt hatten (auch wenn sie für diesen Besitz keine Landtitel und keine notariellen Urkunden besaßen und es weder rodeten noch bebauten), sondern diese Ländereien wurden, wie auch in den meisten anderen südamerikanischen Ländern, den Indios ohne jede Entschädigung einfach entzogen - man könnte auch sagen: gestohlen.
Ich selbst habe fünf Jahre lang in Paraguay gelebt und - über drei Jahre davon unentgeltlich - mit verschiedenen indianischen Ethnien (Tomarâjo, Ybytoso, Mbyá) zusammengearbeitet. Deshalb sind Ihre Einwände, den Autorinnen würde »die geringste Vorstellung über Paraguay« fehlen, schlicht falsch. Meine Einstellung zu Paraguay ist sehr positiv: ich liebe dieses Land und seine Menschen, habe gerne dort gelebt und würde wieder dort leben - das bedeutet jedoch nicht, dass ich mit all dem, was dort auf politischer und ökologischer Ebene geschieht, einverstanden bin.
Um es klar zu sagen: Ich bin nicht damit einverstanden, dass riesige Territorien des Chaco an fremde Investoren verkauft wurden und werden, an solche, die »mit Geld umgehen können« und ihr »Kapital anlegen« (wozu die Indios, wie Sie in einem Ihrer Briefe schreiben, unglücklicherweise nicht befähigt sind). Und ich bin auch nicht damit einverstanden, dass die letzten Ayoréode die Zuflucht ihrer Wälder verlassen müssen, um dort einigen neuen Haciendas Platz zu machen. Sind sie nämlich erst einmal aus ihrer Heimat vertrieben, verlieren sie in kurzer Zeit wichtige Teile ihrer Kultur und ihrer Religion, in der die Wälder und alles, was in diesen Wäldern lebt und gedeiht, eine überragend wichtige Rolle spielen - vergleichbar der Rolle, die bei Ihrem Glauben die Bibel einnimmt. Haben diese Menschen ihren Glauben und mit ihm die uralten Traditionen erst einmal verloren, so ist ihre Lebensmitte zerstört und ein weiteres altes Volk geht seinem Untergang entgegen.
Sie schreiben »Wir missionieren sie nur, weil die Bibel es uns vorschreibt.« Tatsache ist, dass die Ayoréode wie auch alle anderen Ethnien der Welt, ihre ganz eigenen Glaubensinhalte besitzen: Aus diesen Inhalten heraus haben sie sich über Jahrtausende hindurch ihren eigenen Kosmos geschaffen und in ihm zufrieden gelebt - genau so, wie die Christen dies auch taten. Die Ayoréode benötigen keinen anderen Glauben, sondern Akzeptanz und Verständnis für ihre eigenen religiösen Bräuche. Ich bin sicher, dass alle von Ihnen diesen Menschen gegenüber, die unsere Brüder sind, eine freundliche Einstellung gewinnen können, die aufbaut auf Toleranz für das Anderssein.
Mit freundlichen Grüßen
Sabine Geugelin

Humanismus und kolonialer Blick

Zwei Welten prallen im buchstäblichen Sinne im Chaco-Gebiet Paraguays aufeinander. Die Mennoniten leben nach Recht und Gesetz des Staates Paraguay auf Ländereien, die sie teilweise von ihren Vorfahren übernommen und damals wie heute vermutlich im guten Glauben von Paraguay erworben haben. Sie ringen dem eher kargen Boden mit Fleiß einige Erträge ab, erweitern ihre Viehzucht, investieren, schaffen Arbeitsplätze und teilen einen Part ihres Einkommens mit anderen. Letzteren wird auch der mennonitische Glauben angetragen; mal mehr, mal weniger sanft.
Eine derartige Zuschreibung liest sich wie Humanismus pur; die Taten guter Christenmenschen. Aber es ist merkwürdig, dass einigen der im Chaco beheimateten Ayoréode der bescheidene Wohlstand mennonitischer Gemeinden nichts sagt, und sie stattdessen ein Leben im und mit dem Wald vorziehen.
Ihr Glaube, die Natur sei beseelt, liefert den notwendigen Respekt und das kulturelle Wissen um ein nachhaltiges Leben nach eigenen Vorstellungen mit dem Wald. Dieses Leben ist in der Tat auf das Äußerste bedroht. Rodungen, erweiterte Landwirtschaft, die ungebrochene Kolonisierung des Chaco und die Inanspruchnahme immer größerer Anteile am knappen Wasser für kommerzielle Zwecke stellen die Lebensweise der Ayoréode grundsätzlich infrage. Hier hilft die karitative Zuwendung mennonitischer Gemeinden nicht weiter. Hier muss die koloniale Blickrichtung explizit genannt und verändert werden. Das hat der Artikel von Hannelore Gilsenbach und Sabine Geugelin dankenswerterweise angestoßen.
Dr. Theodor Rathgeber,
Gesellschaft für bedrohte Völker
Sie verstehen nicht, mit Geld umzugehen

Wenn im Artikel geschrieben steht, dass illegale Siedler und Rinderzüchter die Wasserquellen auf ihrem Land beanspruchen: Es ist ja so, dass Personen, wenn sie Land legal gekauft haben, auch ein Recht haben, dieses Land zu gebrauchen und zu bearbeiten... Außerdem wurden die Ayoréode nicht verschleppt, sondern in einer neu aufgebauten bzw. angepassten Siedlung (»Campo Loro«) angesiedelt.
Graciela Fröse, Debbie Giesbrecht, Jessica Bergen, Jochebed Giesbrecht und Tanya Penner

Dass die Indianer ausgebeutet werden, keinen Mindestlohn erhalten und abhängig sind, hat seine guten Gründe... Die Indianer können nicht anbauen und wirtschaften, denn das liegt ihnen nicht im Blut. Außerdem verstehen sie nicht, mit Geld umzugehen, was man dadurch merkt, dass sie nie etwas aufbauen können bzw. Kapital anlegen. Aus der Ferne kann man gut reden und kritisieren. Wenn man hier im Chaco lebt, sieht man die Situation etwas anders. Die Ausübung ihres Glaubens ist den Indianern durchaus nicht verboten. Wir, die Mennoniten, bieten ihnen nur unseren Glauben an, aber entscheiden müssen sie selber und dürfen sie selber. Wir missionieren sie nur, weil die Bibel es uns vorschreibt. Das ist nur Gehorsam unserem Glauben gegenüber.
Heike Funk, Dorothea Sawatzky, Anja Reimer, Stefanie Schröder und Jennifer Peters

Toleranz gegenüber Anderssein

Wenn das Land der paraguayischen Ureinwohner im Chaco von der paraguayischen Regierung Ihnen bzw. Ihren Vorfahren »überlassen« worden ist, so bedeutet dies nicht, dass diese Gebiete auch »legal« - wie Sie schreiben - den Besitzer gewechselt haben. Besitzer war nämlich ursprünglich nicht die paraguayische Regierung, denn sie hat es nicht von den Menschen käuflich erworben, die das betreffende Land seit Urzeiten besiedelt hatten (auch wenn sie für diesen Besitz keine Landtitel und keine notariellen Urkunden besaßen und es weder rodeten noch bebauten), sondern diese Ländereien wurden, wie auch in den meisten anderen südamerikanischen Ländern, den Indios ohne jede Entschädigung einfach entzogen - man könnte auch sagen: gestohlen.
Ich selbst habe fünf Jahre lang in Paraguay gelebt und - über drei Jahre davon unentgeltlich - mit verschiedenen indianischen Ethnien (Tomarâjo, Ybytoso, Mbyá) zusammengearbeitet. Deshalb sind Ihre Einwände, den Autorinnen würde »die geringste Vorstellung über Paraguay« fehlen, schlicht falsch. Meine Einstellung zu Paraguay ist sehr positiv: ich liebe dieses Land und seine Menschen, habe gerne dort gelebt und würde wieder dort leben - das bedeutet jedoch nicht, dass ich mit all dem, was dort auf politischer und ökologischer Ebene geschieht, einverstanden bin.
Um es klar zu sagen: Ich bin nicht damit einverstanden, dass riesige Territorien des Chaco an fremde Investoren verkauft wurden und werden, an solche, die »mit Geld umgehen können« und ihr »Kapital anlegen« (wozu die Indios, wie Sie in einem Ihrer Briefe schreiben, unglücklicherweise nicht befähigt sind). Und ich bin auch nicht damit einverstanden, dass die letzten Ayoréode die Zuflucht ihrer Wälder verlassen müssen, um dort einigen neuen Haciendas Platz zu machen. Sind sie nämlich erst einmal aus ihrer Heimat vertrieben, verlieren sie in kurzer Zeit wichtige Teile ihrer Kultur und ihrer Religion, in der die Wälder und alles, was in diesen Wäldern lebt und gedeiht, eine überragend wichtige Rolle spielen - vergleichbar der Rolle, die bei Ihrem Glauben die Bibel einnimmt. Haben diese Menschen ihren Glauben und mit ihm die uralten Traditionen erst einmal verloren, so ist ihre Lebensmitte zerstört und ein weiteres altes Volk geht seinem Untergang entgegen.
Sie schreiben »Wir missionieren sie nur, weil die Bibel es uns vorschreibt.« Tatsache ist, dass die Ayoréode wie auch alle anderen Ethnien der Welt, ihre ganz eigenen Glaubensinhalte besitzen: Aus diesen Inhalten heraus haben sie sich über Jahrtausende hindurch ihren eigenen Kosmos geschaffen und in ihm zufrieden gelebt - genau so, wie die Christen dies auch taten. Die Ayoréode benötigen keinen anderen Glauben, sondern Akzeptanz und Verständnis für ihre eigenen religiösen Bräuche. Ich bin sicher, dass alle von Ihnen diesen Menschen gegenüber, die unsere Brüder sind, eine freundliche Einstellung gewinnen können, die aufbaut auf Toleranz für das Anderssein.
Mit freundlichen Grüßen
Sabine Geugelin

Humanismus und kolonialer Blick

Zwei Welten prallen im buchstäblichen Sinne im Chaco-Gebiet Paraguays aufeinander. Die Mennoniten leben nach Recht und Gesetz des Staates Paraguay auf Ländereien, die sie teilweise von ihren Vorfahren übernommen und damals wie heute vermutlich im guten Glauben von Paraguay erworben haben. Sie ringen dem eher kargen Boden mit Fleiß einige Erträge ab, erweitern ihre Viehzucht, investieren, schaffen Arbeitsplätze und teilen einen Part ihres Einkommens mit anderen. Letzteren wird auch der mennonitische Glauben angetragen; mal mehr, mal weniger sanft.
Eine derartige Zuschreibung liest sich wie Humanismus pur; die Taten guter Christenmenschen. Aber es ist merkwürdig, dass einigen der im Chaco beheimateten Ayoréode der bescheidene Wohlstand mennonitischer Gemeinden nichts sagt, und sie stattdessen ein Leben im und mit dem Wald vorziehen.
Ihr Glaube, die Natur sei beseelt, liefert den notwendigen Respekt und das kulturelle Wissen um ein nachhaltiges Leben nach eigenen Vorstellungen mit dem Wald. Dieses Leben ist in der Tat auf das Äußerste bedroht. Rodungen, erweiterte Landwirtschaft, die ungebrochene Kolonisierung des Chaco und die Inanspruchnahme immer größerer Anteile am knappen Wasser für kommerzielle Zwecke stellen die Lebensweise der Ayoréode grundsätzlich infrage. Hier hilft die karitative Zuwendung mennonitischer Gemeinden nicht weiter. Hier muss die koloniale Blickrichtung explizit genannt und verändert werden. Das hat der Artikel von Hannelore Gilsenbach und Sabine Geugelin dankenswerterweise angestoßen.
Dr. Theodor Rathgeber,
Gesellschaft für bedrohte Völker

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