Quelle für Nazi-Jäger und Historiker

Vor zehn Jahren wurde die NSDAP-Mitgliederdatei von den USA an das Bundesarchiv übergeben

  • Esteban Engel
  • Lesedauer: ca. 2.0 Min.

Vor 10 Jahren übernahm das Bundesarchiv die NSDAP-Mitgliederkartei. Die Akten sind bis heute eine zentrale Quelle nicht nur für Historiker.

Über Jahrzehnte barg das Haus am Wasserkäfersteig 1 im Berliner Villenviertel Zehlendorf ein streng gehütetes Geheimnis. Unter dem Namen »Berlin Document Center« (BDC) wachten amerikanische Soldaten über die wichtigsten Dokumente des NS-Regimes. Von der NSDAP-Mitgliederkartei bis zu SS-Personalakten - aus mehr als 20 Millionen Einträgen wussten die Alliierten, wer SS-Mitglied oder »Parteigenosse« war. Nach langwierigen Verhandlungen übernahm das Bundesarchiv am 1. Juli 1994 die Kartei von den USA. Damit erhielten vor zehn Jahren die Deutschen erstmals freien Zugang zu diesem Erbe aus dem »Dritten Reich«. Nach der Übergabe zog das BDC 1996 auf das Gelände des Bundesarchivs in Berlin-Lichterfelde. Im umscheinbaren Zweckbau der einstigen US-Kaserne Andrew's Barracks lagern heute Millionen Akten - viele davon noch in jenen Kästen, in denen sie 1946 US-Soldaten unter dem Bombenschutt in München entdeckt hatten. Seit 1937 hatten die Nazis ihre Kartei mit einst 14 Millionen Mitgliedern in feuersicheren Panzerschränken in der NSDAP-Zentrale untergebracht. Stets wurden um die heiklen Papiere Legenden und Gerüchte gestrickt. Auch von Erpressung belasteter deutscher Politiker durch die USA war die Rede. Wie der Historiker Götz Aly schrieb, hatten Teile jener westdeutschen Eliten, die schon in der NS-Zeit Einfluss hatten, kaum Interesse daran, dass die Akten offen gelegt werden. Die Dokumente sind bis heute eine zentrale Quelle für Nazi-Jäger und Historiker. Für die Ankläger der Nürnberger Kriegsprozesse waren sie ebenso wichtig wie bei der Suche nach NS-Verbrechern wie Klaus Barbie. »Die Akten des BDC haben zahlreiche ehemalige Nazis auffliegen lassen«, sagt Wolfgang Benz vom Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung. Neben der alphabetisch geordneten Kartei mit 4,3 Millionen NSDAP-Mitgliedern und der nach Ortsgruppen geordneten Liste mit weiteren 6,6 Millionen Namen finden sich in der Sammlung 900000 Eintragungen zu Angehörigen von SA und SS, Akten des Rasse- und Siedlungsamtes, so genannte Ariernachweise sowie Verhörprotokolle der Gestapo. Jedes Jahr werden laut Heusterberg bis zu 50000 Personennamen im BDC überprüft. Anfragen gebe es zum Beispiel zur möglichen NS-Belastung bei der Regelung offener Vermögensfragen, zu Ermittlungen der Justiz oder bei Rentenfragen. Die Frage, wer bei der »Entnazifizierung« als Täter oder Mitläufer eingestuft wurde, verursachte immer wieder Unruhe. Schlagzeilen machten die Archiv-Bestände 2003, als der Wissenschaftler Christoph König in einem Germanistenlexikon die anerkannten Fachkollegen Walter Jens und Peter Wapnewski als NSDAP-Mitglieder aufführte. Zwar versicherte Jens, er sei möglicherweise ohne sein Wissen als Mitglied der Hitler-Jugend von der Partei aufgenommen worden. Doch für Babette Heusterberg, die im Bundesarchiv das Document Center verwaltet, ist die Aktenlage in den meisten Fällen eindeutig: »Ohne Unterschrift des Antragstellers wurde niemand in die NSDAP aufgenommen.« Fälschungen seien aber nicht ausgeschlossen. Noch vor zehn Jahren hatten US-Experten befürchtet, unter deutscher Aufsicht würde der Zugang zu den Akten schwerer. Diese Sorge habe sich nicht bestätigt, so Heusterberg. Im übrigen haben die USA die Akten vor ...

Wenn Sie ein Abo haben, loggen Sie sich ein:

Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.

Bitte aktivieren Sie Cookies, um sich einloggen zu können.