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  • Kultur
  • Volkstheater Rostock ging mit „Zar und Zimmermann“ in die Ferien

Mißverstandener Lortzing

  • Lesedauer: 3 Min.

Auch Zar Peter I.. reiste, einst, gen Mecklenburg... Das war vermutlich der Grund, weshalb ; zum Doppeljubiläum 1000 Jahre Mecklenburg/777 Jahre Rostock Lortzings maritime Spieloper „Zar und Zimmermann“ dort das Spielzeitende besiegelte. Doch allen Festivitäten zum Trotz: Theaterproduktionen mit Premieren einen Tag vor der Sommerpause gelingen selten. Die Kräfte sind aufgebraucht, die Motivation ist eine geschwächte. Kommt dazu noch ein Spielleiter (Paul Flieder, Wien), dem es an Inspiration gebricht, ist das Dilemma perfekt.

Armer Zar - so möchte man schon zum Zeitpunkt der Ouvertüre ausrufen, denn die wird von der Norddeutschen Philharmonie unter ihrem neuengagierten !.-> Kapellmeister

Mag sein, daß Professor Ernst Engelberg den anno 1898 verstorbenen Reichskanzler besser kennt, als der sich selber gekannt hat. Andere Leute stehen heute nicht mehr in persönlichem Kontakt zu Otto von Bismarck und erinnern sich seiner durch das Medium Kino - dank solcher Nachbildner historischer Figuren wie Paul Hartmann oder, im günstigeren Fall, Emil Jannings („Die Entlassung“). Georg A. F. H. Schulz alias Heinrich George war für diese Rolle zu dick, während Bismarck bekanntlich in erster Linie eisern war.

Weil meine Schulzeit teilweise mit einer Kriegszeit zusammenfiel, waren damals auch Heringe knapp, so daß wir nicht wußten, was wohl Bismarckheringe sein könnten. Aber ein Bismarckspruch war uns geläufig. Und im Auftrag der Mitschüler malte ich den an die Wand der Internats-Schlafstube (in einer sehr beeindruckenden Schrift, welche ich für deutsche Fraktur hielt): „Wir Deutschen fürchten Gott, aber sonst nichts in der Welt.“

Der Punkt hinter dem Wort „Welt“ ist eine kleine Fälschung. Bei Bismarck stand dort ein Komma. Der komplette Spruch lautet nämlich: „Wir Deutschen fürchten Gott, aber sonst nichts auf der Welt, und

Bodo ,Reinke ; sq,gesp^el,t, : ,als. T hätte man Galeerensklaven zum Musizieren gezwungen. Armer Zar! Olaf Lemme, Rostocks Baritonhoffnung, hat die schwierigste Rolle im Stück. Wie dieses Lortzingsche Duodez-Ideal mit Leben erfüllen? Wie dieser Figur, die bei aller historisierenden Biografik mehr Sprachrohr des biedermeierlichen Zeitgeists ist, Glaubwürdigkeit abgewinnen?Dafür fehlte der Regie jegliches Konzept. Und der Sänger leidet darunter so sehr, daß kaum ein freier Ton aus seiner Kehle kommt. Peter und Marie (Titus Paspirgilis und Christiane Blumeier), dem volkstümlichen Liebespaar, widerfährt gleichfalls nicht viel Gutes. Doch können sie sich immerhin in - wenn auch blasse -Rollenklischees retten. Zum

Holzschuhtanz bittet kein BaL- .. lett, sondern der Opernchor mit einer unverständlichen Handlungspantomime.

Das „stumme Spiel“ - Flieder scheint es zu lieben: Vor allem die Aktschlüsse müssen angesichts unmotiviert lallender und umhertorkelnder Choristen dran glauben. Nur mit der Figur des van Bett wußte er wirklich etwas anzufangen. Jedoch war sein für diese unverwüstliche Beamtenparodie favorisierter polnischer Bassist Wlodzimierz Zalewski (mit Charisma, kuriosem Äußeren und enormer Stimmpotenz) zu einem permanenten Überaktionismus angehalten, der die anderen oft nur an die Wand spielte.

Die profesionellste sängerdarstellerische Leistung des Abends vollbrachte - gewis-

sermaßen s,e«sfJn$zenjLe,r,t t ,der Berliner Tenor Christoph Späth als Chateauneuf. So intelligent kann Lortzing sein, wenn man ein künstlerisches Feeling für den Meister der deutschen Spieloper besitzt! Nun, der Regisseur hat keins besessen und ist inzwischen vermutlich wohlbehalten nach Wien zurückgekehrt.

Da sich Intendant Manfred Sträube mit seinem Opernensemble für die nächste Spielzeit viel vorgenommen hat (Der Mann von La Mancha, Die lustige Witwe, Die Meistersinger von Nürnberg, ein konzertanter Troubadour und Turandot - nicht alles kann er da alleine inszenieren), bleibt zu hoffen, daß er künftig bei der Auswahl der Gastregisseure kritischer vorgeht.

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