»Cap Anamur« lässt sich nicht vertreiben

Elias Bierdel, Chef der Hilfsorganisation, fordert von Bundesregierung Hilfe für Flüchtlinge

Seit Tagen verweigern Italiens Behörden dem Frachter »Cap Anamur«, der 37 aus Seenot gerettete Flüchtlinge an Bord hat, das Einlaufen in den Hafen Empedocle auf Sizilien. ND befragte Elias Bierdel, Chef der Hilfsorganisation »Cap Anamur«.

ND: Warum dürfen Sie nicht in Empedocle einlaufen?
Bierdel: Wir hatten die Erlaubnis schon, sie wurde zurückgezogen. Ohne Begründung. Auch deshalb verlangen wir ultimativ, dass man uns einlaufen lässt, so wie wir das ordnungsgemäß beantragt haben. Wir haben gegen keine Regel, keine Abmachung, kein Gesetz verstoßen. Wir tun nichts Böses, es sei denn, die Rettung von Menschenleben wäre eine Untat. Nach fast einer Woche Nervenkrieg wird die Situation sogar auf einem Hilfsschiff wie unserem langsam ernst.

Sie meinen für die Schiffbrüchigen, die Sie an Bord haben?
Ja, auf dem Rücken der 37 Männer wird das unerhörte politische Ränkespiel ausgetragen. Die Geretteten werden behandelt, als ob sie Pest hätten. Es sind Muslime und Christen. Sie erzählen von Krieg und Vertreibung. Allein die Umstände der Flucht sprechen eine deutliche Sprache. Wir entdeckten die Männer auf offener See, sie waren ohne Trinkwasser, ohne jede nautische Kenntnisse in einem Gummiboot. Eine der Kammern verlor bereits Luft. Der Motor war verstummt. Die Menschen waren zum Teil unterkühlt. Zum Glück sind die Männer zwischen 17 und 30 Jahren und in einem körperlich guten Allgemeinzustand. Wir haben eine Krankenschwester an Bord, die sich um die Leute kümmert. Und wir freuten uns sehr, dass wir Unterstützung von Land erfahren. Freunden von »Ärzte ohne Grenzen« in Rom gelang es, einen Arzt und einen Übersetzer zu schicken.
Gestern haben wir Angelleinen ausgegeben. Zur Beschäftigung. Abends sitzen wir zusammen, reden und beten auch miteinander. Wir berichten, welche Unterstützergruppen sich bei uns gemeldet haben, dass es inzwischen im italienischen Parlament einen Antrag gibt, um die Lage unserer Gäste zu erleichtern.

Sie haben eine große Wachtruppe um sich?
Am Anfang waren es zwei Fregatten der Kriegsmarine, drei Küstenwacht-Kreuzer, ein Kreuzer der Polizei, ein Hubschrauber...

Sie sind nicht etwa in ein NATO-Manöver geraten?
Nein. Aber glauben Sie mir: Es ist schon beeindruckend, diese Militarisierung der europäischen Südgrenze zu erleben. Ach ja, ein Schnellboot der »Gardia de Finanza«, das ist eine militärisch aufgerüstete Truppe, die offensichtlich dazu da ist, um Jagd auf Flüchtlingsboote zu machen, habe ich in der Aufzählung vergessen.

Womit wir wohl beim Kern der Angelegenheit sind?
Die Leute, die wir gerettet haben, sind Schiffbrüchige und nicht etwa Illegale oder Asylbewerber. Sie haben ja keine Grenze überschritten, auch keinen Asylantrag gestellt. Dennoch werden Lügen verbreitet. Italiens Innenminister hat der Presse mitgeteilt, wir hätten mit den »Illegalen« abgedreht, Kurs Spanien. Wir lassen uns aber nicht vertreiben! Das könnte denen so passen...

Denen? In Spanien wären Sie nicht willkommener...
Aus unserer Sicht ist das Drama ein europäisches. Was die Italiener hier mit großer Gewalt demonstrieren, ist das verschärfte EU-Grenzregime. Da müsste man auch mal die deutsche Bundesregierung fragen, wie weit sie das eigentlich unterstützt.

Otto Schily hat maßgeblich dazu beigetragen, die Grenzen so dicht zu machen.
Kein böses Wort... Der Bundesinnenminister ist unser Schutzpatron. Weil wir ein Schiff unter deutscher Flagge sind, beanspruchen wir nämlich im Augenblick den Schutz durch unseren Flaggenstaat. Das heißt, wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie selbstverständlich unsere Interessen hier wahrnimmt. Alles andere ist für uns indiskutabel.

Fragen: René Heilig

Aufruf an die europäische Zivilgesellschaft
Von Bord der »Cap Anamur« erging ein Aufruf, das Elend der Flüchtlinge im Mittelmeer zu beenden. Auszug:

Wir appellieren an alle Europäer - und vor allem an die Bürgerinnen und Bürger Italiens - deutlich zu machen, dass eine solche Politik nicht in ihrem Namen vollstreckt wird. Wir werden weiterhin so viele Menschenleben retten, wie wir nur eben können. Wir tun dies, weil wir den Tod von hunderten, vielleicht tausenden unschuldigen Menschen im Mittelmeer nicht als europäischen »Normalfall« hinnehmen wollen. Wir wünschten, die mächtigen Flotten Italiens, der NATO und anderer würden sich um jene kümmern, die - namenlos und ungezählt - schlechterdings irgendwo zwischen den Wellen »verschwinden«. Da die Behörden und Militärs dazu nicht in der Lage sind - oder keine entsprechenden Befehle erhalten - ist die Zivilgesellschaft aufgerufen, die Dinge in die Hand zu nehmen. Als unabhängige humanitäre Organisation müssen wir unsere Rettungsoperationen schon deshalb fortsetzen, weil es eben niemand sonst tut. Wir brauchen dazu die Unterstützung aller Menschen guten Willens, unabhängig von ihren politischen oder religiösen Überzeugungen.ND: Warum dürfen Sie nicht in Empedocle einlaufen?
Bierdel: Wir hatten die Erlaubnis schon, sie wurde zurückgezogen. Ohne Begründung. Auch deshalb verlangen wir ultimativ, dass man uns einlaufen lässt, so wie wir das ordnungsgemäß beantragt haben. Wir haben gegen keine Regel, keine Abmachung, kein Gesetz verstoßen. Wir tun nichts Böses, es sei denn, die Rettung von Menschenleben wäre eine Untat. Nach fast einer Woche Nervenkrieg wird die Situation sogar auf einem Hilfsschiff wie unserem langsam ernst.

Sie meinen für die Schiffbrüchigen, die Sie an Bord haben?
Ja, auf dem Rücken der 37 Männer wird das unerhörte politische Ränkespiel ausgetragen. Die Geretteten werden behandelt, als ob sie Pest hätten. Es sind Muslime und Christen. Sie erzählen von Krieg und Vertreibung. Allein die Umstände der Flucht sprechen eine deutliche Sprache. Wir entdeckten die Männer auf offener See, sie waren ohne Trinkwasser, ohne jede nautische Kenntnisse in einem Gummiboot. Eine der Kammern verlor bereits Luft. Der Motor war verstummt. Die Menschen waren zum Teil unterkühlt. Zum Glück sind die Männer zwischen 17 und 30 Jahren und in einem körperlich guten Allgemeinzustand. Wir haben eine Krankenschwester an Bord, die sich um die Leute kümmert. Und wir freuten uns sehr, dass wir Unterstützung von Land erfahren. Freunden von »Ärzte ohne Grenzen« in Rom gelang es, einen Arzt und einen Übersetzer zu schicken.
Gestern haben wir Angelleinen ausgegeben. Zur Beschäftigung. Abends sitzen wir zusammen, reden und beten auch miteinander. Wir berichten, welche Unterstützergruppen sich bei uns gemeldet haben, dass es inzwischen im italienischen Parlament einen Antrag gibt, um die Lage unserer Gäste zu erleichtern.

Sie haben eine große Wachtruppe um sich?
Am Anfang waren es zwei Fregatten der Kriegsmarine, drei Küstenwacht-Kreuzer, ein Kreuzer der Polizei, ein Hubschrauber...

Sie sind nicht etwa in ein NATO-Manöver geraten?
Nein. Aber glauben Sie mir: Es ist schon beeindruckend, diese Militarisierung der europäischen Südgrenze zu erleben. Ach ja, ein Schnellboot der »Gardia de Finanza«, das ist eine militärisch aufgerüstete Truppe, die offensichtlich dazu da ist, um Jagd auf Flüchtlingsboote zu machen, habe ich in der Aufzählung vergessen.

Womit wir wohl beim Kern der Angelegenheit sind?
Die Leute, die wir gerettet haben, sind Schiffbrüchige und nicht etwa Illegale oder Asylbewerber. Sie haben ja keine Grenze überschritten, auch keinen Asylantrag gestellt. Dennoch werden Lügen verbreitet. Italiens Innenminister hat der Presse mitgeteilt, wir hätten mit den »Illegalen« abgedreht, Kurs Spanien. Wir lassen uns aber nicht vertreiben! Das könnte denen so passen...

Denen? In Spanien wären Sie nicht willkommener...
Aus unserer Sicht ist das Drama ein europäisches. Was die Italiener hier mit großer Gewalt demonstrieren, ist das verschärfte EU-Grenzregime. Da müsste man auch mal die deutsche Bundesregierung fragen, wie weit sie das eigentlich unterstützt.

Otto Schily hat maßgeblich dazu beigetragen, die Grenzen so dicht zu machen.
Kein böses Wort... Der Bundesinnenminister ist unser Schutzpatron. Weil wir ein Schiff unter deutscher Flagge sind, beanspruchen wir nämlich im Augenblick den Schutz durch unseren Flaggenstaat. Das heißt, wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie selbstverständlich unsere Interessen hier wahrnimmt. Alles andere ist für uns indiskutabel.

Fragen: René Heilig

Aufruf an die europäische Zivilgesellschaft
Von Bord der »Cap Anamur« erging ein Aufruf, das Elend der Flüchtlinge im Mittelmeer zu beenden. Auszug:

Wir appellieren an alle Europäer - und vor allem an die Bürgerinnen und Bürger Italiens - deutlich zu machen, dass eine solche Politik nicht in ihrem Namen vollstreckt wird. Wir werden weiterhin so viele Menschenleben retten, wie wir nur eben können. Wir tun dies, weil wir den Tod von hunderten, vielleicht tausenden unschuldigen Menschen im Mittelmeer nicht als europäischen »Normalfall« hinnehmen wollen. Wir wünschten, die mächtigen Flotten Italiens, der NATO und anderer würden sich um jene kümmern, die - namenlos und ungezählt - schlechterdings irgendwo zwischen den Wellen »verschwinden«. Da die Behörden und Militärs dazu nicht in der Lage sind - oder keine entsprechenden Befehle erhalten - ist die Zivilgesellschaft aufgerufen, die Dinge in die Hand zu nehmen. Als unabhängige humanitäre Organisation müssen wir unsere Rettungsoperationen schon deshalb fortsetzen, weil es eben niemand sonst tut. Wir brauchen dazu die Unterstützung aller Menschen guten Willens, unabhängig von ihren politischen oder religiösen Überzeugungen.

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