Wir bleiben Hertha

Hertha BSC hat den Klassenerhalt geschafft, das Problem Rechtsextremismus hat man noch immer nicht im Griff

Rückblende, Samstagnachmittag, Fußballzeit im Berliner Olympiastadion. Die Hertha-Elf kämpft um den Abstieg und liegt mit 1 : 0 gegen VFL Wolfsburg vorn. Trainer Hans Meyer wechselt noch mal aus, Zeit schinden ist angesagt. Bobic soll rein, Nationalspieler und einer der wenigen Stars bei Hertha. Er ist drin, tänzelt leicht im Strafraum, dann ein Pass, Bobic am Ball, ein Schlenker zur Seite, doch dann springt ihm das Leder unglücklich vom Spann. Und die Masse schreit: »Bobic, du Arschloch, guck doch, wo deine Beine stehen!« Andere stehen auf, stöhnen laut, wiederum andere klatschen sich nur noch die Hände verzweifelt ins Gesicht. Wie konnte das passieren? Ein 2 : 0, das wär's doch gewesen. Jedes Tor im Abstiegskampf zählt. Ein ganz normaler Samstagnachmittag im Berliner Olympia-Stadion. Die Fans fiebern mit. Und da geht es dann schon ein bisschen härter zu, die Gegner werden mal eben als »Judenschweine« beschimpft oder der Schiedsrichter wird mit dem Adjektiv »schwul« ausgebuht - wenn er denn gegen die eigene Mannschaft pfeift. Dabei ist das Spiel um den Ball doch per Gesetz so ein Multi-Kult-Ding, oder? Seit dem Bosman-Urteil des Europäischen Gerichtshofs 1995, jenem Rechtsspruch, der die bis dahin gültigen Transferregelungen und Ausländerbeschränkungen in den Mannschaftssportarten für nichtig erklärte, begegnen sich auf deutschen Rasenplätzen ausschließlich multiethnische Fußballtrupps. Das Komische daran: Trotzdem sind rechtsextreme Tendenzen nicht wegzudenken. Bei einem ausländischen Spieleranteil von 49 Prozent in der ersten Liga ohne rechten Sinn. Das Aufgebot rechter Accessoires in den Rängen des Olympiastadions ist erstaunlich: So zieren poppige »Ultima Thule«-Schriftzüge (die am rechten Netzwerk »Thule Seminar« angelehnt sind) der neorechten Marke Thor Steinar genauso häufig peppige Hertha-Kluft wie demonstrative »Wotans Volk«-Aufnäher (sie stehen für die rechtsextreme Gruppierung). Auch »Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein« ist noch immer ein Renner, und selbst die Zahl 88 (»8« für den achten Buchstaben »H« im Alphabet, in rechten Kreisen symbolisch für »Heil Hitler« oder »Heinrich Himmler«) findet man hier gut. Gerd E., 36 Jahre und langjähriger Hertha-Fan, kennt diese Probleme. »Ja, das ist erschreckend«, sagt er. Gerd E. ist einer von 51 Mitgliedern der Hertha-Junxx, dem bundesweit ersten Schwulen-Fußballfanclub der ersten Liga, der sich vor drei Jahren gründete. Er erzählt, wie sehr er und sein OFC (Offizieller Fanclub) immer wieder mit Diskriminierungen leben müssen. Ständig seien sie Beleidigungen ausgesetzt, wenn sie ihre Hertha-Flagge mit den Regenbogenfarben euphorisch schwenkten. »Da ist man geradezu glücklich, wenn es nur bei den blöden Sprüchen bleibt und zu keinen Handgreiflichkeiten kommt«, macht der Hertha-Fan deutlich. In die Ostkurve stellt er sich mit seinen Junxx lieber nicht. »Das ist zu gefährlich«, sagt Gerd E. Fußball, das ist Deutschlands Volkssport Nr. 1. Der im 12. Jahrhundert in England und Frankreich entstandene Kampf um den Ball, der das Turnen hier zu Lande seit 1890 von den oberen Popularitäts-Rängen verdrängte, ist seit jeher in Deutschland mit nationalistischen Elementen eng verflochten. War er um 1900 eine Vorschule zur Dienstpflicht, »ein kleines Manöver«, wie Politikwissenschaftler Arthur Heinrich in »Der deutsche Fußballbund. Eine politische Geschichte« schreibt, haben sich seit den 80er Jahren rechtsextreme Tendenzen in der Fankultur fest etabliert, resümieren Gerd Dembowski und Jürgen Scheidle in »Tatort Stadion«. Kein Hertha-spezifisches Problem. Hier setzte der Rechtsdrall allerdings schon in den 70er Jahren ein. Und seitdem muss der Verein mit diesem Image leben. Rechte Fangruppierungen wie »Zyklon B« oder die »Wannseefront« rückten die Hertha-Fankultur ins allzu »rechte« Licht. Nicht zuletzt durch etliche neonazistische Fangesänge und das demonstrative Zeigen eines Hitlergrußes von Gruppierungen im Fanblock. Im Jahre 2001 tarnten sich rechte Hertha-Hooligans mit Schals von linksgerichteten St. Pauli-Fans, um deren Fancontainer am Hamburger Millerntor-Stadion zu demolieren und das Fanlokal unter Sieg-Heil-Gebrüll anzugreifen. Immer wieder versucht der Verein jedoch auch, das Problem anzugehen. War es 1984 Borussia Mönchengladbach als erster deutscher Bundesligist, der sich mit diversen Fanclubs gegen Rechts aussprach, erfolgte vor Jahren auch bei Hertha BSC immerhin eine restriktivere Stadionverordnung. Diese soll bis heute dafür sorgen, dass Stahlkappen, rechte Spruchbanner und Ähnliches bereits am Eingang konfisziert werden - oft ohne Erfolg. Ein antirassistischer Video-Clip mit den Ex-Hertha-Stars Michael Preetz und Joel Tchami wurde zudem gedreht und flimmerte bereits mehrfach über die Stadionleinwand. Jetzt hat man sich dem Projekt »Schule Ohne Rassismus - Schule Mit Courage« angeschlossen, und seit kurzem unterstützt der Verein eine antirassistische Fan-Initiative des Karlsruher SC, nachdem die Zeile »Zickzack Zigeunerpack« in der Hertha-Fankurve die Gesangsrunde machte. Das Motto: Blau-weiß statt Braun. Alles nette Versuche, aber das Problem Rechtsextremismus bekommt man dennoch nicht in den Griff. Keiner der 335 OFCs bei Hertha definiert sich bislang als links (nicht mal die Hertha-Junxx) wie das zum Beispiel beim Erzfeind St.Pauli Gang und Gäbe ist, oder spricht sich öffentlich vehement gegen Rassismus aus. Rechte Codes florieren en masse in den Rängen, und rassistische Pöbeleien verlagern sich auf Grund der restriktiveren Stadionmaßnahmen in letzter Zeit immer mehr nach außerhalb des Stadions. Das könne man aber nicht kontrollieren, wehrt Hertha-Sprecher Hans-Georg Felder den Vorwurf ab, das Problem zu übersehen. Im Stadion tue man schließlich, was man könne. Komisch nur, dass davon in der letzten Saison nichts zu erkennen war: Weder stieß man auf entsprechende Spruchbanner, noch bekam man die Aktion »Blau-weiß statt braun« mit. Und weiter heißt es, dass Politik im Stadion einfach nichts zu suchen habe. Was nur, wenn - falls es allzu politisch wird - Leute wegen anderen Aussehens diskriminiert werden oder sich durch entsprechende Rufe diskriminiert fühlen? Thomas Jelinski, Sozialpädagoge des Fan-Projektes der Sportjugend Berlin, berichtet, wie sehr diskriminierende Sprüche im Stadion heute auch außerhalb des harten Kerns zu hören sind. Auch dort werden sie mehr oder minder geduldet. Martina L., die mit ihren Zwillingssöhnen Felix und Philipp gerne zu Hertha-Spielen geht, findet das alles sehr »bedenklich«. Und man sollte diese Thematik auch in den Geschichts- und Sportunterricht mit einbauen, um Kids schon früh aufzuklären. So sind ihre beiden Jungkicker nicht nur absolute Hertha-Fans, schwärmen von Stars wie Bobic und Marcelinho, sondern sind auch im Hertha-Kids-Club. Doch da sei die politische Gesinnung noch kein Thema. »Fußballer haben Vorbildfunktion, die könnten viel bewirken, wenn sie sich stärker positionierten«, sagt Martin Endemann von BAFF, dem Bündnis Aktiver Fußball-Fans, das seit Gründung 1993 antirassistische Fußballprojekte ins Leben ruft. Und eventuell will der Verein genau darauf wieder setzen. Donato Melillo, Fan-Beauftragter von Hertha BSC, tippt es etwas vorsichtig an: »Vielleicht produzieren wir für die nächste Saison wieder einen Antirassi...

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