Picassos Weinende

Dora Maar in einem Roman und in einem Fotoband

  • Sabine Neubert
  • Lesedauer: ca. 4.0 Min.
Wertvolle Freundin, stark, schön und sanft, deren Eindruck von Größe, Reinheit und Vernunft uns auf ewiglich bleibt. So hat Paul Éluard über sie geschrieben. Man Ray nannte sie »entzückende Angebetete« und hat das schönste Porträt-Foto von ihr hinterlassen. Auch der Picasso-Biograf Roland Penrose rühmte ihren klaren und kritischen Geist. Brassai hob in »Gespräche mit Picasso« ihre Empfindlichkeit und Neigung zu Szenen und Auftritten hervor. Menschen, die sie kannten, unter ihnen der Sammler Heinz Berggruen und der amerikanische Biograf James Lord, der ihr einige Jahre nach der Trennung von Picasso nahe stand, erinnern sich vor allem an ihre einzigartige Stimme voller Musik. Im Jahre 1997 starb in Paris im Alter von neunzig Jahren die Frau, mit deren Namen sich für sehr viele der Name Picassos und eines seiner berühmtesten Porträts, »Die weinende Frau« aus dem Jahre 1937, verbindet. Sie starb einsam, völlig zurückgezogen in ihrer Wohnung in der Rue de Savoi Nr. 6, die Wände voller Risse, auf die Picasso Jahrzehnte vorher in einer Laune bizarre kafkaeske Insekten gemalt hatte. Sieben Menschen begleiteten ihren schlichten Holzsarg. Sie hinterließ Tresore voller Picasso-Gemälde, von denen sie sich nie getrennt hatte, aber auch ein beträchtliches eigenes fotografisches und malerisches Werk, das ein Jahr später unter den Hammer kam und erst allmählich wieder als wichtig und eigenständig öffentliche Anerkennung findet. So jüngst in dem schönen Band von Unda Hörner »Madame Man Ray. Fotografinnen der Avantgarde in Paris«. In den letzten Jahren tritt die Frau aus dem Dunkel und Schatten des großen Malers, die seine Partnerin, Muse, Geliebte und sein Modell seit der Mitte der dreißiger Jahre bis zum Ende des Krieges gewesen ist. Dora Maar war, so viel kann man heute mit Gewissheit sagen, dem Maler Picasso unter all seinen Geliebten und Frauen die geistig ebenbürdigste, zudem Begleiterin in seinen bedeutendsten Schaffensjahren. Sie ist nicht nur »Die Weinende« (das »Gesicht des Jahrhunderts«, so die Biografin Tanja Förster), sondern auch auf dem weltberühmten Werk »Guernica« »die Lichtträgerin«. »Moi, Dora Maar«, also: »Ich, Dora Maar«, ist der französische Titel des Romans von Nicole Avril. Es ist schade, dass er in der deutschen Übersetzung durch den trivialeren »Picassos geheimnisvolle Muse« ersetzt wurde. Das ist aber das einzige, was zu beanstanden ist. Sonst ist der Roman, fußend auf allem, was bis in jüngste Zeit durch Biografien, Berichte und Nachlässe bekannt wurde, eine spannende und zugleich sensible Annäherung an die Persönlichkeit Dora Maars und an die gemeinsame Zeit mit Picasso. Die reiche Pariser Kunstszene mit all ihren Brüchen und Umbrüchen, das gravierende Kriegsgeschehen von der Bombardierung Guernicas bis zur Besetzung der Stadt Paris durch die Deutschen - und damit verbunden, Picassos ungeheure Ängste vor der Zerstörung seines Werkes - werden deutlich in Episoden der Begegnung, der Auseinandersetzung und befruchtenden Zusammenarbeit. Dora Maar begleitet als Fotografin den »Entrückten« beim Malen des Monumentalgemäldes »Guernica«, sie durchlebt Höhen und Tiefen seines doppelten Liebeslebens mit ihr und Marie-Térèse, der Mutter von Picassos Tochter Maya, und sie erleidet einen schrecklichen Zusammenbruch, als Picasso sich als neue Geliebte die 20 Jahre jüngere Francoise Gilot nimmt. Übrigens hat Dora Maar nie ihr Verhältnis mit Picasso wie ihre Nachfolgerin in die Öffentlichkeit getragen, sie hat sich, schwer verletzt, zurückgezogen und nie wieder von der Trennung erholt. Nach der letzten Begegnung lässt Nicole Avril sie sagen: »Ich werde ihn nicht wiedersehen. Die Leere währt von jetzt an für immer.« Die französische Autorin hat eine sehr geschickte Form der Darstellung gefunden. Sie schreibt rückblickend aus der Sicht Dora Maars bei der Nachricht vom Tode Picassos im April 1973. »Du hast mir alles gegeben. Du hast mir alles genommen«, heißt es da. Sie erinnert sich der ersten Begegnungen, der ersten beiden unbeschwerten Sommer im südlichen Mougin, wo die Liebe »wie ein Echo zwischen uns hin- und herging«. Sie erinnert sich auch des (historisch verbürgten) letzten Zusammentreffens im Schloss von Castille im Frühjahr 1953, wo Picasso sie noch einmal sehr verletzte. Nicole Avril hat alles Bekannte in einen dichten, kleinen Roman zusammengefügt. Mit der Rolle Dora Maars als Frau, Geliebter und Künstlerin erfasst sie weit mehr, nämlich die Konflikte von Frauen generell zwischen Tradition und Eigenständigkeit in einer Zeit furchtbarer Leiden. Es ist eine Verlierer-Rolle. Das gelingt der Autorin dadurch, dass sie sich ganz in ihre Protagonistin hineinversetzt. Eine Freundin hat über Dora Maar gesagt: »Sie erinnerte ungemein an die Porträts, die Picasso von ihr gemacht hat. Sie ist es, die den Porträts ähnelt. Nicht die Porträts ihr... man kann nicht umhin, dass sie Dora Maar war... Nie sprach Picasso schlecht von ihr.« Auch Dora Maar war diskret. Im hohen Alter hat sie einmal geäußert: »Alles, was man über mich schreibt, ist falsch.« Nicole Avrils Roman ist ein Versuch, das falsche oder unbekannte Bild Dora Maars zu korrigieren. Zusammen mit Tania Försters Biografie »Dora Maar. Picassos Weinende«, aus dem hier einige Äußerungen zitiert wurden, und Unda Hörners Band, der sie im Kontext der damaligen Pariser Kunstszene zeigt, e...

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