Wehe, wenn Klöden losgelassen wird...

Heute Einzelzeitfahren über 55 Kilometer

  • Tom Mustroph, Lons-le-Saunier
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.
Es ist Olympiajahr, und wieder einmal ist Andreas Klöden in Top-Verfassung. Im Olympiajahr 2000 räumte der in Berlin ausgebildete Rennfahrer bei Paris - Nizza und der Baskenland-Rundfahrt ab, gewann auch eine Etappe bei der Friedensfahrt und fuhr bei Olympia schließlich in einer Art Telekom-Mannschaftrennen hinter Jan Ullrich und Alexander Winokurow auf Platz 3. Als Ullrich-Adjutant galt der junge Mann da bereits, mit Hoffnung auf die Nachfolgerschaft auf dem Thron der Frankreich-Rundfahrt. Vom großen Talent Jan Ullrich hatte man ja immer erwartet, dass er sich - einmal ordentlich vorbereitet - das Gelbe Trikot der Tour de France nur abzuholen braucht. Für Klöden häuften sich anstelle der Trophäen im besten Rennfahreralter jedoch die Enttäuschungen. Drei Jahre lang konnte er nicht ordentlich trainieren, Verletzungen und Krankheiten warfen ihn zurück. Klöden galt schnell als einer der vielen Fehleinkäufe beim Bonner Rennstall. Doch in diesem Jahr konnte er fast verletzungsfrei (ein Fingerbruch zählt bei ihm als Bagatelle) seine Form aufbauen. Das Ergebnis ist eine Wachablösung. Zumindest auf Frankreichs Straßen. Erst rollte er noch vor Erik Zabel über den Zielstrich. »Ich wollte Armstrong Zeitgutschriften wegnehmen und hatte in der Hitze des Gefechts Erik nicht hinter mir bemerkt«, räumte Klöden hinterher ein. Im Gesamtklassement der Tour de France rangiert er zwei Etappen vor Schluss vor seinem eigentlichen Kapitän und hat nach Ansicht des Sportlichen Leiters bei Team T-Mobile, Mario Kummer, »gute Aussichten auf Platz 2, denn Andreas ist ein besserer Zeitfahrer als Ivan Basso«. Der Italiener liegt derzeit auf dem zweiten Rang. »Klöden ist gefährlicher als Ullrich«, betont seit Tagen Bassos Coach Bjarne Riis. Und auch Thomas Schediwie ist von Klöden überzeugt. Schediwie, früher jüngster DDR-Klub-Trainer (von 1976 bis 1992 in Frankfurt/ Oder), ist seit Herbst 2002 Klödens Heimtrainer. Er hat bereits Steffen Wesemann zu Tempohärte bei den Frühjahrsklassikern verholfen und trainiert außerdem den bei der Sachsen-Tour erfolgreichen Stefan Schreck sowie die Mountainbike-Olympioniken Lado und Manuel Fumic. Klöden schätzt er als kompletten, wenn auch eigenwilligen, manchmal eigensinnigen Rennfahrer. »Er hat seinen eigenen Kopf. Man muss ihm erklären, warum man was machen will. Doch einmal überzeugt, engagiert er sich.« Im Frühjahr hatte Schediwie Wert auf Ausdauer-Grundlagen gelegt. »Wir wollten nicht den schnellen Erfolg, sondern eine gute Basis für die beiden Saisonhöhepunkte Tour de France und Olympia.« Bewährt habe sich, vor der Frankreich-Rundfahrt statt der schweren Tour de Suisse die weniger anspruchsvolle Route du Sud ins Programm zu nehmen. »Doch das ist alles in Absprache mit Mario Kummer geschehen«, fügt Schediwie schnell hinzu, sichtlich bemüht, das momentane Leistungshoch von Klöden nicht nur sich selbst zuzuschreiben. Schediwie kommt extra aus Deutschland, um seinen Schützling am heutigen Sonnabend im 55-km-Zeitfahren in Besancon zu betreuen. Er ist T-Mobiles Geheimwaffe gegen den »magischen Bjarne Riis«, der in nur einem Jahr aus dem Mitfahrer Ivan Basso (Italien) einen Siegfahrer gemacht hat. Klöden selbst sieht seine Chancen, den Rückstand gegenüber Basso aufzuholen. »Ich werde nach vorne gegen Basso und nach hinten gegen Jan fahren. Welcher Platz auf dem Podium es dann sein wird, ist mir egal. Hauptsache, ich stehe drauf.« Obwohl im Rennen angriffslustig, zeigt sich Klöden abseits der Straße bescheiden und weiter in der Helferrolle: »Jan ist der stärkste deutsche Rennfahrer. Ich fahre gern noch zwei weitere Jahre Tour de France, damit er sie gewinnt.« Eigene Ambitionen versteckt er dezent und orakelt: »Als Helfer am letzten Berg wird man im Gesamtklassement automatisch nach oben gespült.« Vielleicht tut Klöden gut daran, bescheiden zu sein. Der Podiumsplatz bei der Tour ist noch nicht nach Hause gebracht. Doch danach so...

Wenn Sie ein Abo haben, loggen Sie sich ein:

Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.