Seh-Erlebnisse auf den Dächern

Besucherplattform auf der Karl-Marx-Allee/Blick auf das längste Flächendenkmal Europas

Das längste Flächendenkmal Europas - die 2,3 Kilometer lange Karl-Marx-Allee - hat eine Aussichtsplattform. Artur Schneider vom Förderverein des Boulevards führt Besucher auf das Dach des Blocks C und erklärt aus einer ganz neuen Perspektive die Geschichte der Häuser. Die meisten wollen das Seh-Erlebnis mit der Kamera festhalten: Den sprudelnden Brunnen am Strausberger Platz, die Sonnenterrassen der gegenüberliegenden Häuser, den Mont Klamott im Volkspark Friedrichshain, die markanten Türme am Frankfurter Tor und die Silhouette vom Potsdamer Platz. »Ein wirklich interessanter Rundblick«, findet Norbert Pech, Hobbyhistoriker aus Prenzlauer Berg. So eine Panoramaaufnahme fehlte dem Rentner gerade noch in seiner Sammlung. »Bei schönem Wetter reicht der Blick bis zu den Müggelbergen, dem Kraftwerk Klingenberg oder dem Rathaus Neukölln«, schwärmt auch Artur Schneider. Gemeinsam mit dem Vermieter verwirklichte er das neueste Projekt des Fördervereins Karl-Marx-Allee. Wie viele Interessierte er schon die 35 Meter hohe Aussicht präsentierte, hat er nicht gezählt. Aber ihm fiel auf, dass es nicht die typischen Berlin-Touristen sind, die sich für die einstige DDR-Vorzeigestraße interessieren. »Es kommen Leute aus der Schweiz, aus Holland aus der Bundesrepublik«, berichtet Schneider. Sie wollen wissen, wie die Allee entstand und begeben sich deshalb auf eine Zeitreise in luftiger Höhe. Schon der Weg zur Plattform wird zum Geschichtstrip. Schneider zeigt, dass schon vor 50 Jahren die Bauten mit Aufzügen ausgerüstet wurden. Sie sind hinter einer dunklen Holzeinhausung versteckt, die nach der Sanierung wie gerade frisch gebeizt wirkt. Er erzählt von den ersten Hausmeistern, die in gläsernen Stübchen in den hohen Hausfluren ihre Arbeitsplätze hatten und Pförtnerdienste anboten. »Schauen Sie auf den Eingang, wie großzügig, breit, verglast und verziert er angelegt ist«, ruft der Stadtführer, dem das im Erdgeschoss gelegene Café Sibylle gehört, den Gästen zu. Es sollten eben »Paläste für Arbeiter« entstehen. Auf dem Dach, erklärt Artur Schneider wie wichtig die Karl-Marx-Allee für die DDR-Führung war und weshalb der Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 gerade hier begann. Auch, dass früher dort oben Hausgemeinschaften Feste feierten und Wäsche getrocknet wurde. Seit der Sanierung dürfen die Dächer aber nicht mehr betreten werden: Bis auf einige Dachgärten und die neue Plattform. Schneider hat Gehwegplatten auf die Kieselsteine legen lassen und eine Brüstung anbringen müssen. Der Block C wurde ausgewählt, weil dieser Gebäudeteil um zwei Etagen höher ist, als die daneben befindlichen. Hilmar Graszt aus Treptow genießt den Ausblick. Auch die unterschiedlichen Farbtöne der Fassaden in Grün, ins Rot gehend bis Gelb beeindrucken ihn. »Ich finde die Straße faszinierend und möchte gern hierher ziehen«, gesteht der 59-Jährige. Etwa 45 Minuten dauert die Führung. Artur Schneider will den Rundgang künftig noch durch kurze Musikeinspielungen ergänzen. Er hofft, dass durch die neue Attraktion mehr Besucher in die Straße kommen und die Gaststätten und Geschäfte beleben. Seit Jahren betreibt Schneider im Café Sibylle eine Tourismus- und Infozentrale. Er hält Vorträge und präsentiert dort eine Ausstellung zur Geschichte der Allee. Eines der nächsten Projekte soll eine Museumswohnung sein: Räume, die im Stil der 50er Jahre hergerichtet werden - mit Möbeln, Tapeten und dem Komfort von einst. Café Sibylle, Karl-Marx-Allee 72, Friedrichshain; Anmeldungen für die Aussichtsplattform unter Tel.: 29352203; Gruppen bis fünf Personen zahlen 12,50 Euro. Im Café Sibylle lesen am 12.8., 19.30 Uhr, Hermann Kant und ...

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