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Punkt 12: Ist zu exekutieren...

Vor 60 Jahren wurde Ernst Thälmann ermordet

  • Horst Helas
  • Lesedauer: 5 Min.
Er saß tief, der Schock für die damals in Deutschland Herrschenden, als das Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 beinahe geglückt war. Die Rache der noch einmal Davongekommenen war fürchterlich und zugleich wohlüberlegt. Die zumeist adligen Verschwörer mussten sich vor dem so genannten Volksgerichtshof die Brüllerei eines Roland Freisler gefallen lassen, und viele von ihnen wurden in Berlin-Plötzensee an Fleischerhaken erhängt - eine zusätzliche Demütigung. Heinrich Himmler, der die Verfolgung der Attentäter, ihrer Familien und aller Mitwisser organisierte, sprach am 14. August 1944 bei einer Besprechung mit Hitler nicht nur das Vorgehen gegen führende Verschwörer an. Unter Punkt 12 seines Spickzettels findet sich der Name Ernst Thälmann und im Ergebnis des Treffens der Vermerk: Ist zu exekutieren. Ernst Thälmann wurde am 17. August 1944 vom Zuchthaus Bautzen in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht - höchstwahrscheinlich von einem eigens aus Berlin angereisten Spezialkommando der SS. Noch in der Nacht zum 18. August 1944 wurde er in Buchenwald erschossen. Ebenfalls am 17. August 1944 ordnete der Leiter der politischen Polizei im Reichssicherheitshauptamt, SS-Gruppenführer Heinrich Müller, an, dass im ganzen deutschen Reich in den Morgenstunden des 22. August 1944 alle früheren Reichstags- und Landtagsabgeordneten sowie Stadtverordnete von KPD und SPD, aber auch ehemalige Zentrumspolitiker, Funktionäre anderer in der Weimarer Republik etablierter Parteien und Gewerkschaftsfunktionäre zu verhaften seien. Auf Nachfrage wurde bestätigt, dass dies auch für Frauen gelten und die obere Altersgrenze der zu Arretierenden 70 Jahre betragen sollte. Die SS nannte diese Verhaftungswelle »Aktion Gewitter«. Schätzungen gehen davon aus, dass 5000 bis 6000 Frauen und Männer, aber auch Kinder und andere Angehörige der Verschwörer des 20 Juli (»Sippenhaft«) davon betroffen waren. Nicht wenige dieser Inhaftierten wurden direkt ermordet, andere erlagen den Strapazen dieser erneuten, jähen Wende im persönlichen Leben, die sie so unverhofft traf. Diejenigen, die die Aktion »Gewitter« in den letzten Wochen der Existenz des Hitlerregimes überleb- ten, übernahmen nach der Befreiung Deutschlands führende Funktionen in der Selbstverwaltung der Kommunen und Länder oder standen in den neugegründeten politischen Organisationen und Parteien in vorderster Reihe. Ernst Thälmann war am 3. März 1933 in Berlin festgenommen worden. Über elf Jahre widerstand er physischer Folter und allen psychischen Demütigungen seiner Peiniger. Mitgefangenen des Hitler-Regimes - ob sie aus politischen oder anderen Gründen verurteilt worden waren - und auch manchem seiner Bewacher nötigte Thälmanns Haltung Respekt ab. Auch im Ausland wurde schnell bekannt, dass Ernst Thälmann seiner politischen Überzeugung nicht abgeschworen hatte. Dies verdient heute und in Zukunft alle Achtung. Noch dazu, wo Ernst Thälmann in den langen Jahren seiner Haft manche Enttäuschung zu verarbeiten hatte. Im Unterschied zu dem bulgarischen Kommunisten Georgi Dimitroff kam er nicht frei, wie er insbesondere nach der Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Paktes im August 1939 erhofft hatte. Auch blieb es ihm verwehrt, in einem öffentlichen Prozess vor einem deutschen Gericht gleich Dimitroff die Grundsätze und Ziele der kommunistischen Weltbewegung erläutern zu können. In Hamburg am 16. April 1886 geboren und aufgewachsen, begann die politische Karriere Ernst Thälmanns als Gewerkschaftsfunktionär. Besonders prägend wurde für ihn das Erleben des Ersten Weltkrieges im Dreck der Schützengräben. Sinnlose Befehle und sinnloses Sterben auf beiden Seiten der Front ließen Thälmann zu einem entschiedenen Kriegsgegner werden. Leidenschaftlich trat er in den 20er Jahren in Deutschland und im Ausland gegen Militarismus und die Gefahr eines neuen Weltkrieges auf. Eher zweitrangig ist es, dass Thälmann die Fehleinschätzung vieler anderer Menschen teilte, dass schon Anfang der 20er Jahre der Sowjetunion von den einflussreichsten kapitalistischen Ländern, Gewinnern wie Verlierern des Ersten Weltkrieges, in trauter Gemeinsamkeit ein vernichtender militärischer Angriff drohte. Als langjähriger Vorsitzender der KPD steht Ernst Thälmann aber auch für die verhängnisvolle Politik, die zur Stalinisierung der KPD als stärkster westeuropäischer Sektion der Kommunistischen Internationale wie auch der Komintern insgesamt geführt hat. In der Geschichtsschreibung der DDR wurde dies verschwiegen, Legenden um Thälmann und die KPD standen stattdessen im Vordergrund. Einzelheiten dazu sind inzwischen gut bekannt. Auch die Entwicklungsetappen des Heldenkultes um Thälmann haben viele Generationen von DDR-Bürgern erlebt oder in anderen Ländern von außen beobachten können. Wenigstens drei der zahlreichen Thälmann-Legenden seien erwähnt: Thälmanns angeblich führende Rolle bei der Leitung des Hamburger Aufstandes 1923, die mit der Berufung zum KPD-Vorsitzenden 1925 entstandene angeblich verschworene Gemeinschaft, genannt Thälmannsches Zentralkomitee, und seine Rolle im »Schaltjahr 1928«, das mit einer Parteisäuberung endete, durch die so genannte Rechte oder Versöhnler aus der Partei gedrängt bzw. zum Abschwören ihrer politischen Ansichten gezwungen wurden. Ernst Thälmann konnte aus seiner Zelle heraus nur sehr begrenzt an den mehrjährigen Bemühungen seiner Partei um eine generelle Kurskorrektur nach der fürchterlichen Niederlage vom Januar 1933 teilhaben. Die KPD brauchte dazu bis zu ihrer Brüsseler Parteikonferenz 1935 (die bei Moskau stattfand) länger, als es führende Funktionäre der Komintern und namhafte Vertreter anderer kommunistischer Parteien eigentlich erwartet hatten. Gleichwohl: Kommunisten wie Ernst Thälmann gehörten zu den ersten Gefangenen des nationalsozialistischen Regimes und bis zum Schluss zu seinen erbittertsten Gegnern. Sie zahlten einen hohen Blutzoll in diesem Widerstandskampf. Ernst Thälmann gehörte und gehört in Europa zu denjenigen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, an die sich zu erinnern lohnend und geboten ist. Unser Autor ist Historiker, Verfasser zahlreicher Bücher, Mitglied des Sprecherrats der Arbeitsgemeinschaft Rechtsextremismus/Antifaschismus bei Parteivorstand der PDS

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