Chancengleichheit wird ausgehöhlt
Studenten der Humboldt-Universität: Bildung muß ein öffentliches Gut bleiben
Konstruktiver Widerstand ist nötig. Protest und Auseinandersetzung über die Bildungspolitik und deren soziale Komponente müssen über die Humboldt-Uni hinausgehen. Die Studierenden schlugen in einer Resolution, die gestern auf einer Vollversammlung im Foyer des Hauptgebäudes verlesen wurde, scharfe Töne an.
Es erging der Aufruf zur breiten Mitarbeit in Arbeitsgemeinschaften, um Forderungen und Alternativen zu den Plänen der Politik zu formulieren und auch der Öffentlichkeit zu unterbreiten. Es dürfe keine Gesellschaftsteilung in Eliten zugelassen werden. Die Probleme der Studenten seien Teil der Probleme der Gesellschaft, wurde mit dem Verweis auf die soziale Lage vieler Menschen - Arbeitslosigkeit, Sozialhilfe,
Obdachlosigkeit, Pflegeversicherung - deutlich gemacht.
Mit dieser Vollversammlung endete eine viertägige Aktion gegen Sozialabbau und für Chancengleichheit. Beides betrifft auch die Hochschulen und damit die Studenten. In der Tatsache, daß die Hochschulrektoren auf ihrer Konferenz am vergangenen Montag eine Entscheidung über die Einführung von Studiengebühren (die Rede ist von 1000 DM pro Semester) auf den Februar (Semesterferien) kommenden Jahres vertagten, sehen die Studenten eine Hinterlist. „Die Wahrscheinlichkeit ist groß, daß ab Februar der Weg zu Studiengebühren und BAföG-Verzinsung frei wird“, monierten sie in ihrer Resolution.
Sybille Volkholz, bildungspolitische Fraktionssprecherin von Bündnis 90/Grüne, wehrte
Kritik an einem BAföG-Modell ihrer Partei dahingehend ab, daß künftige Akademiker als dann finanziell Bessergestellte durchaus im nachhinein für ihre Ausbildung einen Beitrag leisten sollten. Gegenargumente aus dem Auditorium machten auf die Gefahr aufmerksam, daß sich der Staat aus seiner Verantwortung für die Bildung zurückzieht. Bundesbildungsminister Rüttgers halte an seinen Plänen fest, die Studenten sollten 50% ihrer Unterstützung als verzinsliche Kredite (Zinssatz 8,5%) aufnehmen.
Andreas vom Studierendenparlament (Stupa) rechnete eine Rückzahlsumme von rund 70 000 Mark pro Kopf vor. Nicht nur, daß durch Studiengebühren der Zugang zu Hochschulen erschwert und für manchen unmöglich gemacht würde, weniger gutsituierte
Studenten seien auf diese Förderung angewiesen und würden durch die Rückzahlpflicht zusätzlich belastet. Studierende mit reichen Eltern brauchten keine Förderung.
Warum erhebt man keine Bildungssteuer von den Unternehmen? Diese Frage ging an die Adresse der Politik. Die Versammlung stellte sich hinter folgende Forderungen: Bildung muß ein öffentliches Gut bleiben. Tatsächliche Umsetzung sozialer Chancengleichheit. Ernsthafte Demokratisierung der Universität statt neuer Hierarchien. Gesellschaftskritische Wissenschaft statt verschultes Karrierestudium. Statt milliardenverschlingender, gesellschaftlich unsinniger Großprojekte muß Bildung in ausreichendem Maße finanziert werden.
PETER KOLLEWE
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