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Die Wiederentdeckung der Freude
Im Sommer 89 brach in Westberlin das Partyfieber aus
Mit unserer Serie gehen wir bis zum Jahresende auf Zeitreise in den Alltag von 1989. Kleine wie große Ereignisse in der damals noch geteilten Stadt spielen eine Rolle. An die Atmosphäre im Wendejahr wollen wir erinnern und an Courage. Verschwundene Orte tauchen wieder auf. Von anderen wird erzählt, die erst 1989 entstanden. Auch Zeitzeugen kommen zu Wort. So soll sich übers Jahr ein Porträt unserer Stadt über die spannende Zeit vor 15 Jahren fügen.
Im Sommer 1989 war Berlin (West) im Partyfieber. »Acid House«, die langsamere, sanftere, aber auch dunkle Form des harten Techno war über die Stadt hereingebrochen. In London und auf Ibiza hatte die englische Jugendszene bereits 1988 den »Summer of Love« ausgerufen. Nächtelang hatten sich die Kids mit dieser extrem elektronisch hergestellten Musik in Trance versetzen lassen. Ein Szene-Fan beschreibt rückblickend die Atmosphäre: »Die Jugend tanzte stundenlang, egal wo. Sie kam völlig ohne Stars und Text aus. Von überall her lachte einem der Smiley, die lachende Vignette, an. Partys waren absolut friedlich und von Liebe erfüllt. Man trank kein Bier, sondern Gatorade, und überhaupt wollte man nie wieder eine andere Musik hören, denn diese Musik war der Schlüssel zu einer besserer Welt. Starke Persönlichkeitsveränderung war eines der wesentlichen Elemente der Bewegung. Introvertierte wurden zu Extrovertierten, Arrogante zu Toleranten und Aggressive zu friedliebenden Menschen.« Eine Hetz-Kampagne der englischen Skandalpresse - die »Sun« titelte etwa »Ban This Killer Music!« - trieb Acid House in England zwar in den Untergrund, doch verbreitete sich die Musik schnell auf dem Kontinent. In Westberlin eröffnete der US-Amerikaner Bob Young das kurzlebige »Bee Hive« als ersten House-Club. Dimitri Hegemann folgte wenig später mit dem legendären »UFO«. Dr. Motte stellte sich in seiner »Turbine Rosenheim« von Funk auf Acid House um. Die Tanzstelle, eine lockere Vereinigung von Party-Machern u.a. mit Bob Young, Britt Kanja und Hille Saul, lud das feierlustige Volk auf Ausflugsdampfer, in ehemalige Wäschereien, Schuhläden und Kfz-Werkstätten. Ein Umschwung hatte stattgefunden, erinnert sich Britt Kanja, ehemalige »Miss Berlin« (»eine Jugendsünde«, sagt sie) und spätere Tänzerin. »Die Leute hatten das coole Rumstehen satt, das lange die 80er Jahre bestimmt hatte.« Zwar beherrschte jeder diese Kulturtechnik, doch wurde sie zunehmend als Falle begriffen, in der man zwar kollektiv, aber doch sehr allein gelassen war. Britt Kanja war geschockt, als sie 1987 nach einigen Jahren im sonnigen Kalifornien nach Berlin zurückgekehrt war. »Es gab kein Lächeln auf den Gesichtern. Die Leute waren ernst, in sich gekehrt.« So konnte es nicht weitergehen, muss sie sich gedacht haben. Bereits 1987 charterten die »3 von der Tanzstelle«, wie sie in zeitgenössischen Artikeln beschrieben wurden, die im Tegeler Hafen liegende »Sete Deern« und schipperten des Nachts mit Bar und DJ über den Wannsee. »Wir haben das Schiff selbst ausgestaltet. Tische und Stühle kamen vom Café Richter in Charlottenburg. Selbst die erste Ladung Wechselgeld mussten wir uns vom Café Richter borgen«, beschreibt Kanja die Anfänge. Die Party war ein Erfolg. Die kreative Szene der Mauerstadt zeigte sich elektrisiert und beteiligte sich in der Folgezeit an den Aktivitäten der Tanzstelle. Modemacher stellten ihre schrillen Kreationen vor. Haarkünstler zeigten, was man mit Haaren machen kann. Erste Go Go-Dancer etablierten sich. Bildende Künstler gestalteten die Räume aus. »Am Hermannplatz sind wir 1988/89 in einen ehemaligen Schuhladen gezogen. Der war halbrund gebaut und hatte viele Fenster. Jedes Fenster wurde einem Künstler anvertraut.« »Hermanns Fenster« war bald stadtbekannt. Die Partyszene profitierte immens von der Gay Community der Stadt. Die Schwulen hatten, Aids hin, Aids her, schon länger mit die Geschlechtergrenzen übertretender Kleidung und neuen Lebensweisen herumexperimentiert und das Feiern zur besseren Daseinsform erhoben. Sie trafen auf jenen Teil der heterosexuellen Bevölkerung, der endlich auch die Freude wiederentdeckt hatte. Die musste sich nicht ausschließlich in Acid House niederschlagen. Das »Fischbüro« in der Köpenicker Straße in Kreuzberg, wie das »Ufo« vom späteren »Tresor«-Gründer Dimitri Hegemann geführt, verschmolz die Musik- mit der Nonsens-Szene der Stadt. Vereinigungen wie L.A.S.S.I.E. (Libertäre Agentur Sämtlicher Sexueller Ideen und Erfahrungen), F.U.R.Y. (Futuristisches Rückwärts-Yoga) oder F.L.I.P.P.E.R. -Research (Föderation Leicht Integrierbarer Produktionsprozesse Egaler Richtungen) etablierten sich dort. »Underdogs trauten sich, die besten Verkehrsunfälle, die sie je gesehen hatten, spontan vom Rednerpult zu schleudern«, notierte eine Chronistin in der taz. »Nicht jeder hatte Geld, aber keinem ging es wirklich schlecht«, beschreibt Britt Kanja die soziale Lage. »Die Künstler waren expressiv«, schwärmt sie. Die, die ganz Neues ausprobieren wollten, gingen zur sonntäglichen Talentshow. Zu selektieren brauchte man da weder beim Publikum noch bei den Machern. »Es gab noch kein Wir-da-oben-ihr-da-unten«, meint Kanja. Und zu den Partys kam nur, wer an der Aufbruchstimmung teilhaben wollte. Die Kommunikation spielte sich ohnehin in engen Kreisen ab. Die Partys wurden über Flyer angekündigt, nicht über die Medien. »Wir haben die Flyer überhaupt erst in die Stadt gebracht«, weist Kanja auf ihre Pioniertätigkeit hin. Die farbigen, liebevoll gestalteten Handzettel wurden Multiplikatoren in die Hand gedrückt, die sie dann Leuten ihrer Wahl weitergaben. Wer nicht dazugehörte, konnte kaum wissen, wo etwas los war. Den Ravern der ersten Stunde ging es durchaus um eine Veränderung der Gesellschaft. Zwar wurde das private Glück, die Freude am Leben, in den Mittelpunkt geschoben, aber nur auf Entertainment aus war man auch nicht. Selbst feiern konnte politisch sein. Als Dr. Motte am 1. Juli 1989 seinen Geburtstag feierte und damit die Love-Parade aus der Taufe hob, hieß das Motto zwar »Friede, Freude, Eierkuchen«, doch stand hier »Friede« für Abrüstung, »Freude« für die bessere Völkerverständigung durch Musik und »Eierkuchen« für die gerechte Verteilung von Nahrungsmitteln. 150 Teilnehmer und drei Trucks waren unter diesem Slogan - von Passanten wie Presse reichlich belächelt - den Kurfürstendamm entlang gezogen. Dr. Motte sollte wenige Wochen später als DJ im »90 Grad« stehen, einer ehemaligen Autowerkstatt, die die Tanzstellen-Macher zu ihrem ständigen Domizil auserkoren hatten. »Auf Dauer steht man es nicht durch, immer eine neue Infrastruktur aufzubauen«, meint Kanja. Der eigene Club musste her. Das »90 Grad« wurde schnell zur »Mutter aller Clubs«. Türsteher wurden engagiert, um den Andrang zu bewältigen (und erste Schutzgelderpressungen abzuwehren). Der Club galt als Nobeladresse, in der neben Hollywoodstars und Musikergrößen auch der Regierende Bürgermeister und der Kanzler zum Feiern kamen. Die Gründer hatte es da schon woandershin verschlagen. Bob Young hatte 1991 das Café Moskau als neuen Ort entdeckt. Dort betreibt er noch heute das »GMF«. Hille Saul eröffnete 1993 das »E-Werk«, hat inzwischen jedoch den Bässen abgeschworen und im Volkspark Friedrichshain das elegante Café Schönbrunn installiert. Britt Kanja ist als Partymacherin wieder zum »90 Grad« zurückgekehrt. In den heutigen Zeiten der Rezession hält sie weiter an ihrem Talent, Menschen zusammenzuführen, fest. Das Motto heißt jetzt »Könner brauchen Gönner«. Sie will die, die über außergewöhnliche Fähigkeiten verfügen, mit denen zusammenbringen, die Geld haben. Auf dass die einen den anderen von dem ang...Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
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