Streit ums Erbe des »bekanntesten Polizisten der Welt«

Schwarzenberg will seine »Freie Republik« erforschen und vermarkten - allerdings mit gemischten Gefühlen

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: ca. 6.0 Min.

Vor 100 Jahren wurde der Antifaschist Paul Korb geboren. Später wurde er Polizeichef im unbesetzten Schwarzenberg. 60 Jahre danach bekennt sich die Stadt als Erbe der »Freien Republik« - wenn auch mit gemischten Gefühlen.

»Irrland-Platz, Freie Republik Schwarzenberg«, steht auf dem Straßenschild. Die Stufen daneben führen in die Galeriekneipe, die der Holzbildhauer Jörg Beier an der Bummelmeile der erzgebirgischen Kreisstadt betreibt. Sie liegt hinter efeubewachsenen Mauern, an denen alte Emailleschilder prangen, auf halbem Weg zwischen dem Markt und dem alten Schloss, das frisch getüncht und trutzig über dem Schwarzwasser-Tal steht. Die Kneipe mit ihren bunt ausstaffierten und verschachtelten Räumen hebt sich ab von Cafés, Billigmärkten und Volkskunstläden. Für viele Auswärtige ist Beiers Lokal die erste Adresse in Schwarzenberg - allerdings nicht wegen des irischen Biers, sondern wegen der Freien Republik, deren Insignien bereits die Kneipenfenster schmücken. Auch Paul Korb hat bis kurz vor seinem Tod Anfang 2002 oft an einem Ecktisch bei Beier gesessen. Der schmale alte Mann hat geplaudert, geraucht, Bier getrunken. Manchmal hat er ein Fernsehinterview gegeben. Einmal erhielt er Besuch von Fritz Pleitgen. Der ARD-Chef reiste auf den Spuren einer früheren Reportage durch das Erzgebirge. Er war dabei auch auf die unbesetzte Zeit in Schwarzenberg und deren letzten Protagonisten Paul Korb aufmerksam geworden. Befragt hat er ihn über die Gegenwart. Er habe schon viel erlebt, hat Korb erwidert: Kaiserreich, Weimarer Republik, die Nazis, die DDR. Was er jetzt erlebe, fügte er hinzu, sei das Schlimmste von allem. Der Satz hat Korb viele Anfeindungen eingetragen. Der am 30. August vor 100 Jahren geborene Erzgebirgler, den Freunde als bodenständig und bescheiden, aber immer auch ein wenig eigensinnig beschreiben, wird die Aversionen mit Gleichmut ausgehalten haben. Korb war stets ein politisch denkender Mensch, der mit seinen Ansichten nicht hinterm Berg hielt. Nicht mit »15,5 Jahren«, wie er in einem auf der Schreibmaschine getippten Lebenslauf akribisch vermerkte - damals war er Streikleiter beim Kapp-Putsch. Nicht in den 20er und 30er Jahren, über die der Kommunist mit sprödem Stolz schreibt, er sei »aktiv an allen Kämpfen beteiligt« gewesen. Auch nicht nach 1949, als er wegen »linker Abweichungen« aus seiner Partei ausgeschlossen wurde. Er hat beharrlich weiter Beiträge gezahlt - in eine Dose im Buffet. Sieben Jahre lang, bis der Beschluss revidiert wurde. Dass Korb zu einer Person der Zeitgeschichte wurde, ist indes weniger seinen politischen Ansichten oder seinem Charakter geschuldet, sondern einem historischen Zufall. Im Mai 1945 rückten die Befreier in Deutschland ein - außer in den Kreis Schwarzenberg. Sechs Wochen lag die Region mit den zwei Kleinstädten Aue und Schwarzenberg sowie sechs Dörfern zwischen sowjetischer und US-Besatzungszone. Das Leben wollte und musste trotzdem organisiert werden angesichts Tausender Flüchtlinge, marodierender Werwölfe und grassierendem Hunger. Ein »Antifaschistischer Aktionsausschuss« nahm die Geschicke in die Hand. »Wir sagten uns«, schrieb Paul Korb später, »jetzt müssen wir selber etwas tun.« Der 41-jährige Klempner, einziges Mitglied mit Militärerfahrung, wurde Polizeichef. Zum »bekanntesten Polizisten der Welt«, wie es scherzhaft in Beiers Kneipe heißt, wurde Korb erst durch ein Buch. Stefan Heym entwirft in dem Anfang der 80er Jahre entstandenen Roman »Schwarzenberg«, in den lange Gespräche des Autors mit Paul Korb einflossen, ein utopisches Gedankenspiel: Eine »Republik Schwarzenberg« als Chance, »auf befreitem Boden, aber ohne Druck von Seiten fremder Mächte« ein Muster zu entwerfen, wie es in dem Buch heißt - ein Muster dafür, wie »Demokratie und Sozialismus miteinander zu verknüpfen« seien. Korb blieb dem Buch gegenüber reserviert - auch, weil er »die Wahrheit des Buches an der historische Wahrheit maß«, glaubt Ralf Alex Fichtner. Der unter dem Kürzel RAF bekannte Karikaturist dagegen hat, gemeinsam mit Beier und anderen Mitstreitern, das Erbe aufgegriffen und die Idee Heyms weitergetrieben. Das Künstlerkollektiv »Freie Zone« begründete Mitte der 90er Jahre die »Freie Republik Schwarzenberg« - als »Anstoß zum Nachdenken« kurz nach der Zäsur 1989. »Uns interessiert weniger der historische, sondern eher der utopische Aspekt«, sagt Beier. Dazu gehört auch die Überlegung, was gewesen wäre, wenn Anfang der 90er Jahre erneut »die "Siegermächte" nicht gekommen wären«. Während das Kunstkollektiv ausgelassen-spektakuläre Feste organisierte, Bürokraten in Land, Bund und EU mit nicht ganz ernst gemeinten Entwürfen für eine eigene Fahne der Freien Republik irritierte und Touristen auf einem Erlebnispfad führte, blieb die Kommunalpolitik abwartend. Das lag nicht nur an einer spektakulären Aktion während der ersten »Freien Republik« im Jahr 1995, als getreu dem historischen Vorbild der »Bürgermeister« von Mitgliedern des Aktionsausschusses verhaftet wurde. Befürchtet wurde von manchem Lokalpolitiker auch »Legendenbildung«, wie der Landrat formulierte. Zudem wurde die Anerkennung für die Aktivisten der unbesetzten Zone durch Vorwürfe überlagert, in den Nachkriegswirren seien auch Unschuldige zu Tode gekommen. Es wurde »viel angestauter Hass entladen«, sagt Fichtner - nicht zuletzt auf Korb, Schwarzenberger Ehrenbürger und einziges zuletzt noch lebendes Ausschussmitglied. Auch kurz vor dem im kommenden Frühjahr anstehenden 60. Jahrestag spricht Schwarzenbergs seit drei Jahren amtierende Oberbürgermeisterin Heidrun Hiemer (CDU) von einer »Gratwanderung«, wenn es um die Erinnerung an das geht, was Volker Braun im Titel seines jüngsten Buches »Unbesetztes Gebiet« nennt. Zwar gibt es am Schloss inzwischen einen Gedenkstein für Opfer der Nachkriegszeit, während der unbesetzten Zone und ihrer Protagonisten im Stadtbild praktisch nicht offiziell gedacht wird. Immerhin: Einen Kranz werde sie zum 100. Geburtstag an Korbs Grab niederlegen. Die Hoffnung aber, ein würdiges Erinnern an Schattenseiten jener sechs Wochen werde den Weg für eine ausgewogene Würdigung ermöglichen, erfüllt sich bisher nur teilweise. Wie gering der Wille zu unbelasteter Auseinandersetzung mit den historischen Tatsachen und Leistungen mancherorts ist, belegt eine jetzt aufgeflammte Kontroverse um gemeinsame Projekte von Stadt und Künstlerverein zum 60. Jahrestag der Ereignisse. Hiemer möchte das Jubiläum im Mai und Juni 2005 würdig begangen sehen. Geplant seien »ernsthafte« Symposien und Fachvorträge zu bislang ungeklärten Fragen. Es solle auch anerkannt werden, dass »Menschen damals ihr Schicksal selbst in die Hand genommen haben«. Für das erste Juniwochenende ist aber auch ein kulturelles Spektakel geplant: »Wir wollen Freie Republik spielen.« Ohne eine möglicherweise anrüchige Verhaftung des Bürgermeisters, aber immerhin mit eigenen Pässen. Dieses Ansinnen stößt in der Region teilweise auf scharfe Kritik. Die unbesetzte Zone sei »der Beginn der kommunistischen Diktatur in Ostdeutschland« gewesen, schrieb Werner Lobeck, bündnisgrüner Umweltchef im Landratsamt, in einem Leserbrief an die Regionalzeitung. Feiern zum Jahrestag, die »ausgerechnet« von einer CDU-geführten Verwaltung durchgeführt werden, »grenzen an Perversität«. Der Aktionsausschuss habe sich in seinen Methoden schließlich »nicht von den Nazis unterschieden«. Solche Äußerungen werden nicht nur von Beier kategorisch abgelehnt. Der Künstler, der in der DDR politisch immer wieder aneckte und einer Verharmlosung einer »kommunistischen Diktatur« unverdächtig ist, spricht von unsäglichen Vergleichen und weist Lobeck zurecht, er dürfe bei der Beurteilung der Handlungen von Korb und Kameraden nicht »Ursache und Wirkung verwechseln oder gleichsetzen«. Bezogen auf die Wiederbelebung einer »Freien Republik«, erinnert Beier zudem an die Aufgabe von Kunst, zu provozieren und Denkanstöße zu geben: »Nur Phantasien bringen die Welt voran, nicht Erbsenzähler.« Hiemer hält auch an den Jubiläumsfeiern fest - nicht zuletzt aus nüchternem Kalkül. Schon jetzt tauchen in der erzgebirgischen Kleinstadt gelegentlich Reisebusse auf, deren Insassen die »Freie Republik« besuchen wollen, aber bislang nur einen von Beier und Kollegen eingerichteten Erlebnispfad vorfinden. Die Schwarzenberger Nachkriegsgeschichte, hat die Bürgermeisterin festgestellt, stößt überregional auf Interesse. »Warum sollen wir das nicht vermarkten?«, fragt sie und spricht von einem »touristischen Alleinstellungsmerkmal«. Im geschichtlichen Streit sei die Stadt bestrebt, die Waage zu halten. Wichtig sei aber auch, »dass unsere Betten gefüllt werden«. Die Veranstaltungen im Frühjahr 2005 könnten helfen, »einigen Dingen endlich einmal auf den Grund zu gehen«, hofft auch Jörg Beier. Der Holzbildhauer sieht dafür Bedarf - auch, was die Person Paul Korb anbelangt. Dass Ansichten über den »Innenminister« der Freien Republik nicht immer zutreffen, belegt selbst das eingangs zitierte Fernsehinterview. Die jetzige Zeit sei die schlimmste, hatte Korb in die Kamera gesagt - und erklärend hinzugefügt: »Wegen der Bürokratie.« Der Nachsa...

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