Gruß an die Stadt: „Guten Tag, Riesin!
Der Schweizer Schriftsteller Robert Walser aß und trank bei Aschinger
er als Vorzug -, ist „jeder Bettler, Gauner, Unhold hier Mitmensch, muß als zugehörig in der Menschenmasse geduldet werden.“ Und abends begann hier ein „Geldauswerfen“, wie es sich selbst eine dichterische Phantasie nur mühselig vorstellen konnte. Scharf fühlte er die „gewisse Kälte“ in Berlin W., das er in drei Teile gliederte: den alten, den mittleren um die Gedächtniskirche, den er „den nettesten“ fand und den neuen Westen.
Er benannte den Grund der Kälte: Die dort herrschende Geschäftswelt. Wer Geld verdienen muß, hat keine oder wenig Zeit, „sich auffallend schön zu benehmen“, deshalb herrscht eine „rauhe, abfertigende Tonart“ Die Armut
scheint in andere Viertel hinausgeschoben. Dort verkehrte Walser in Kneipen und kleinen Cafes, besonders gern bei Aschinger, jenen aus Süddeutschland importierten Restaurants neuen Stils. „Ein Hel-
les bitte“, bestellt ganz sachgemäß der Schweizer, man kennt ihn hier, mit dem Glas geht er zum Tisch, wo „Gabeln, Messer, Brötchen (frei zu nehmen), Essig und Öl“ sind. Der so geweckte „Eßgedanke“ treibt vorwärts. Walser läuft zu dem „blau-weiß gestreiften Schnittwaren Fräulein“, sucht aus, trinkt wieder ein Helles
und ißt genußvoll. Der Autor hat genau bemerkt, „bei Aschinger gewöhnt man sich rasch einen Eß- und Trink-Vertraulichkeitston an.“ Man guckt ungeniert den anderen zu, die ebenso hingegeben essen, trinken, schwatzen. Amüsiert sieht er, „wie nach Wurstbrötchen und italienischen Salaten geangelt wird“ Doch auch dieses: Eine feine Dame „spießt ihr Kaviarbrötchen an zwei Fingern auf Der Autor trinkt ein weiteres Helles und läßt sich ein „neues Eßzauberstück“ geben. Diesmal ist es „ein Brotbett mit einer schlafenden Sardine drauf, die auf „Butterlaken“ liegt.
Bei Aschinger wird man eben angeregt, seine Phantasie zu beflügeln. Was für Walser
nicht nur als Schreiber, sondern überhaupt wichtig war, denn er lebte immer in äußerster Armut und Anspruchslosigkeit, erhielt schäbige Honorare, Ablehnungen und Demütigungen genug. Und noch ein Seltenes und Gutes fand er bei Aschinger: Man kann stundenlang am Fleck stehen, und keiner findet das auffällig.
Für Robert Walser war die Prosa “Alltagsvertiefungsstück“, und er nannte seine Feuilletons „im Stil kleiner Teigwaren“ geschrieben. Mehrere in Berlin verfaßte Romane und Stücke hat er zerrissen. Er schlug sich durch, indem er kleine Sachen, jene „Mikrogramme“, für Zeitungen und Zeitschriften fabrizierte, so für Jakobsohns „Schaubühne“,
Hardens „Zukunft“, die „Neue Rundschau“
1913 verließ er ohne Hoffnung auf Anerkennung und Lebensmöglichkeit als Schriftsteller Berlin. Ein berühmter Theatermann, der später in Hollywood Erfolg hatte, fertigte ihn so ab: „Walser, Sie haben als Commis begonnen und werden immer Commis bleiben!“
1929 begab sich Walser in der Schweiz in eine Nervenheilanstalt und blieb interniert bis zu seinem Tode 1956. Von seinen 1000 Prosastücken bieten zwei Bände, die 1978 im Aufbauverlag erschienen, eine Auswahl, darunter manches Berlinische. Herausgegeben und kommentiert hat Anne Gabrisch die Walserschen Texte.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.