Gutscheine sind für ALDI zu teuer

Die meisten Billiganbieter verabschieden sich aus dem Gutscheinsystem - Leidtragende sind die Flüchtlinge

Die Supermarktkette ALDI nimmt keine Wertgutscheine von Flüchtlingen mehr an. Das Unternehmen hat alle entsprechenden Verträge gekündigt.

Dass Flüchtlinge in Deutschland möglichst schäbig behandelt werden sollen, damit sie hier nicht länger Schutz suchen, ist kein Geheimnis. Eine Variante der Abschreckung ist das Asylbewerberleistungsgesetz. Im Vergleich zu deutschen Sozialhilfeempfängern erhalten Flüchtlinge eine um rund 25 Prozent reduzierte Unterstützung - und diese, abgesehen von einem geringen Taschengeld, überdies in Form so genannter Sachleistungen oder Wertgutscheine. Offiziell wird die Regelung meist damit begründet, dass Asylbewerber mit Bargeld »Schlepperorganisationen« bezahlten.
Bezüglich der Gutscheine lässt das Asylbewerberleistungsgesetz den Bundesländern allerdings Ermessensspielräume. In Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz, Bremen und Hamburg, aber auch in vielen Kommunen Hessens erhalten die Flüchtlinge weiter Bargeld. Am rigidesten ist die Praxis in Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen, wo den Asylbewerbern fertige Hygiene- und Lebensmittelpakete mit teilweise unbekannten Gerichten und Pulvern ausgehändigt werden. In einigen Flüchtlingslagern gibt es spezielle Shops mit einem ebenso speziellen Angebot und speziellen Preisen, in dem der Einkaufsbetrag vom virtuellen Budget der Flüchtlinge abgebucht wird.
Auch das SPD-regierte Niedersachen tut sich mit einer besonders strengen Auslegung des Asylbewerberleistungsgesetzes hervor. Alle Kommunen und Landkreise wurden teilweise gegen ihren heftigen Widerstand angewiesen, den Flüchtlingen nur noch Gutscheine statt Bargeld auszuhändigen. Zugunsten des erhofften Diskriminierungseffektes - Beschränkung auf bestimmte Geschäfte und Artikel, lange Einkaufswege, demütigende Erlebnisse an den zum Teil abgesonderten Kassen der Kaufhäuser - nahm das Innenministerium nach eigenen Angaben »bewusst einen höheren Verwaltungsaufwand und damit Mehrkosten in Kauf«.
Die niedersächsischen Sozialämter und Ausländerbehörden beauftragten externe Firmen wie den französischen Konzern Accor, die Gutscheine zu drucken, mit Geschäften vor Ort über eine Annahme der Wertbons zu verhandeln und mit ihnen abzurechnen. Viele Billigketten wie Lidl, Netto, HIT verweigerten allerdings von Beginn an eine Annahme von Gutscheinen. Die Supermärkte des Unternehmens PLUS stiegen im Januar aus dem Gutscheinsystem aus, jetzt folgte ALDI. Nach Angaben des Niedersächsischen Flüchtlingsrates hat Accor ausdrücklich bestätigt, dass in den ALDI-Filialen nicht mehr mit Gutscheinen bezahlt werden kann.
Die Supermarktketten hätten ihre Entscheidung mit den hohen Kosten begründet, die ihnen durch die Abrechnung der Wertgutscheine entstünden, sagte Seyit Gül vom Flüchtlingsrat. Den Geschäften werde bei der Einlösung der Gutscheine bis zu fünf Prozent des Gutscheinwertes abgezogen. Hinzu komme ein »enormer« bürokratischer Aufwand.
Durch den Rückzug der Supermärkte wird Flüchtlingen preisgünstiges Einkaufen weiter erschwert. In vielen Orten müssen die Betroffenen noch längere Wege in Kauf nehmen, um überhaupt noch einen Laden zu finden, der Gutscheine akzeptiert. Wege zu Fuß oder bestenfalls mit dem Fahrrad, denn Bus- oder Bahnfahrkarten können mit den Wertgutscheinen ebenso wenig bezahlt werden wie etwa Anwaltskosten oder Schulmaterial. Welche absurden Blüten das Asylbewerberleistungsgesetz treiben kann, verdeutlichte ein Bericht von Pro Asyl. Danach schickt der Main-Tauber-Kreis zwei Mal wöchentlich einen Verkaufs-Lastwagen zu den Flüchtlingswohnheimen im Kreisgebiet. Nach einem dubiosen Punktesystem werden Waren an die Asylbewerber abgegeben. Wie viel Geld ein Punkt wert ist, wissen noch nicht einmal die Behörden genau. »Mehr als 10 Pfennige und weniger als 15«, lautete die Auskunft des Landratsamtes. Ein 9-Kilo-Paket Waschpulver kostet im mobilen Shop 220 Punkte, das entspräche demnach einem Preis zwischen 22 und 33 Mark. Der Wochenetat wäre damit zur Hälfte aufgebraucht. Wer den Einkaufstermin verpasst, hat seine Punkte verschenkt. Für diese bahnbrechende Erfindung muss der Landkreis einen Lkw samt Fahrer sowie wöchentlich 600 Liter Diesel finanzieren.

Asylbewerberleistungsgesetz (ASylbLG)
Das Gesetz gilt für Flüchtlinge ohne gesicherten Aufenthaltsstatus seit November 1993. Die Grundleistungen nach §§ 3-7 ASylbLG liegen um rund 25 Prozent unterhalb der Regelsätze und sonstigen Leistungen des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG), die als Grundlage für ein menschenwürdiges Leben definiert sind.

Sachleistungsprinzip
In der Regel erhalten die Betroffenen statt Bargeld gebrauchte Kleidung und gebrauchte Möbel im Mehrbettzimmer des Sammelagers sowie Essenspakete bzw. Gutscheine. Bei der Gesundheitsversorgung ist explizit Zahnersatz ausgeschlossen. Die Versorgung mit Hilfsmitteln wie Brillen oder Prothesen wird häufig verweigert.

»Unabweisbar Gebotenes«
Das AsylbLG wurde zum 1.6.97 und zum 1.9.98 weiter verschärft. Die zweite Novelle führte den § 1a ein, nach dem die Leistungen bis auf das »unabweisbar Gebotene« gestrichen werden können. Viele Sozialämter streichen seither das verbliebene Taschengeld. Manchmal wird »nur« die Bekleidungspauschale gestrichen, manchmal ...

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