Mit Charme und Diskretion

Erich Kästner: Porträt des Schriftstellers in ausgewählten Briefen

Anfang April 1933 ist Erich Kästner in Meran. Er spielt Tennis »wie ein Daviscup-Ersatzmann«. Und er ist froh, dass sich Hermann Kesten in Paris wohl fühlt. Einen Monat später ist er zurück in Berlin. Die Arbeit ruht. Er spielt Tennis. Er würde den Freund gern wiedersehen, aber ob er in absehbarer Zeit nach Paris kommen könne, weiß er nicht. Auch Kesten, hört er von Fritz H. Landshoff, spielt Tennis. »Gegen wen denn? Haben Sie auch dort ein literarisches Herreneinzel zustande gebracht? Hoffentlich spielen wir bald wieder einmal gegeneinander.« Das ist am 26. Mai 1933. Kesten ist vor den Nazis nach Frankreich geflohen, Kästner ist in Deutschland geblieben. Inzwischen hat es den Reichstagsbrand gegeben und die Bücherverbrennung, die er mit eigenen Augen gesehen hat. Man hat auch Bände von ihm ins Feuer geworfen. Den Briefen und Karten, die man sich schickt, merkt man nichts an. Erst Anfang 1936, wenn Kästner sich an die Reichsschrifttumskammer wendet, um zu fragen, warum sein Roman »Emil und die Detektive« verboten worden sei, ist es mit der guten Laune vorbei. Nun ist er in der deutschen Wirklichkeit angekommen. Das Bild, lange von einem Buch seiner Lebensgefährtin Luiselotte Enderle bestimmt, auf das Erich Kästner noch selber Einfluss genommen hat, wird klarer. Seit den Biografien von Sven Hanuschek sowie Franz Josef Görtz und Hans Sarkowicz, beide 1999 erschienen, kennt man auch die Halbheiten, Krisen und Widersprüche, die es in diesem Leben gab. Jetzt, nach den »Briefen aus dem Tessin« und den Schreiben an die Mutter, kommt die erste größere Briefauswahl hinzu, ein mit Kommentaren versehener Band von gut 500 Seiten, in dem Sven Hanuschek etwa ein Zwanzigstel der Korrespondenz vorstellt, die sich im Nachlass befindet, ergänzt von einigen Antwortbriefen Heinrich Manns, Brechts, Stefan Zweigs oder Max Frischs. Mehr als ein bescheidener Anfang kann diese Sammlung nicht sein, aber noch im bescheidenen Ausschnitt, der von 1909 bis 1972 reicht, bietet sie eine Kästner-Ansicht, wie man sie so anschaulich und authentisch noch nicht hatte. Dabei sind die Jahre bis 1945 noch am knappsten dokumentiert. Ein paar Briefe an Friedrich Michael, den Studienfreund und späteren Mitarbeiter des Insel-Verlags, an Tucholsky, Stefan Zweig und Elfriede Mechnig, Kästners Sekretärin, die meisten an Kesten, und schon ist das Ende der Naziherrschaft erreicht. Er habe, meldet er 1946 einer einstigen Geliebten, die ins Exil gegangen ist und in der Résistance gekämpft hat, »zwölf Jahre lang ein ironisches Gesicht gemacht und den Stammtisch im Leon "gehalten"«. Natürlich ist ihm die Ironie damals schnell gefroren. Er ist zwei Mal verhaftet und mit Schreibverbot bedacht worden. Er hat sich alle Mühe gegeben, so unauffällig wie möglich zu leben, nicht Kopf und Kragen zu riskieren. Er hat Kompromisse gemacht. Seinen verbotenen »Emil« offeriert er als »ein deutsches Buch«, und er zögert am Ende auch nicht, als er unter Pseudonym für die UFA schreiben darf, den Nazis die Misere mit netten Filmchen zu versüßen. Aber kaum ist der Krieg vorbei, erwacht Kästner zu neuem Leben. Er wird Feuilletonchef der amerikanischen »Neuen Zeitung«, arbeitet fürs Kabarett, stellt einen Tucholsky-Band zusammen, schreibt »Das doppelte Lottchen« und »Die Konferenz der Tiere«, wird 1951 Präsident des westdeutschen PEN. Er setzt sich dafür ein, dass Autoren der DDR nicht isoliert werden, und beklagt die mangelnde Kenntnis der Exilliteratur. Nach einer Diskussion mit Münchner Studenten schlägt er den Büchergilden vor, in preiswerten Ausgaben Leonhard Frank, Alfred Neumann, Bruno Frank, Hermann Kesten, Polgar und Döblin zu drucken. Zwar ärgert er sich 1950, wenn er dem in den USA lebenden Journalisten Manfred George schreibt, »daß Ihr draußen häufig viel besser über das Verhalten der in Deutschland verbliebenen Kollegen Bescheid wisst als wir selber«, aber dass er immer wieder Kontakt zu den einst Verjagten sucht, ist auffällig. Wenn er hört, dass es einem seiner Kollegen sehr schlecht geht, ist er sofort zur Stelle, um zu helfen. Peter Suhrkamp fragt er, ob er bereit wäre, einen Band mit Arbeiten des in Deutschland noch immer unbekannten Walter Mehring herauszubringen. 1956 liest er, dass Otto Flakes »wirtschaftliche Lage sehr zu wünschen übrig lässt«. Er beschließt daraufhin, ihm die 1500 Mark, die er gerade für den Literaturpreis der Stadt München erhalten hat, zu überlassen. Flake, der zwar kaum gedruckt wird, freut sich über das Hilfsangebot, lehnt es aber ab, weil es ihm so übel, wie angenommen wird, nicht geht. Etwas später, 1957, setzt sich Kästner im PEN für Martin Kessel ein und lässt 500 Mark vom eigenen Konto überweisen. Das Buch zeigt den charmanten und liebenswürdigen, den diskreten und den großzügigen, am Schluss, wenn ihn die privaten Probleme würgen, auch den trotzigen und schroffen Kästner. Der weiß natürlich, was er kann, und er hat ja noch immer großen Erfolg, aber er hütet sich, bescheiden und immer auf dem Boden der Realität, vor Größenwahn. Er arbeitet nach wie vor gern im Café, trinkt seinen Whisky, macht sich seinen Reim auf die Welt, attackiert die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik und bleibt der Pazifist, der er immer war. Er ist und bleibt auch ein Liebhaber der Frauen. Seine Neigung »zu Euch, dem schöneren Geschlechte«, schreibt er 1947 an Pony Bouché, sei nach wie vor heftig. Er übertreibt nicht. Eine Weile unterhält er Beziehungen gleich zu vier Frauen, und dann gerät er gar in eine Misere, die ihn regelrecht zerreißt. Er lebt mit Luiselotte Enderle und verschweigt ihr, dass es noch eine andere und sogar einen Sohn gibt. Er versucht, als die Doppelexistenz nicht mehr verheimlicht werden kann, den Zustand zu erhalten. Mal wohnt er nun in München, mal in Berlin, bis sich Friedel Siebert, die Mutter seines Sohnes, von ihm trennt. Da ist sein Alltag längst vergiftet von dramatischen Eifersuchtsszenen und allzu viel Alkohol. Am Ende des Bandes, 1972, hellt sich sein Gesicht noch einmal auf. Er gratuliert Astrid Lindgren, der schwedischen Kollegin, zum Geburtstag und schreibt: »Sie haben mich einmal daran erinnert, daß wir seinerzeit in Zürich miteinander Walzer getanzt haben. Vielleicht und hoffentlich ergibt sich in den nächsten Jahren wieder einmal Gelegenheit dazu.« Sie erwidert: »Und wie gerne ich noch einmal mit Ihnen Walzer tanzen möchte!« Aber dazu kommt es nicht mehr. Anderthalb Jahre späte...

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