"Sin Papeles" in der Offensive

Migranten in Barcelona fordern offiziellen Status

  • Jens Herrmann, Barcelona
  • Lesedauer: ca. 4.0 Min.

Papierlose, Sans Papiers, Sin Papeles: Migranten ohne Papiere gibt es überall in der EU. In Barcelona gehen sie in die Offensive.

Von Mitte August bis Anfang September machte in Deutschland die »Anti-Lager-Action Tour« Schlagzeilen. Migrantenorganisationen und antirassistische Gruppen brachten ihren Protest gegen die Einwanderungspolitik der Bundesregierung lautstark auf die Straße. Dabei kontrollierte die Polizei immer wieder die Personalien von Migranten. Für Hunderttausende Flüchtlinge ohne Papiere ist das Leben in Deutschland ein ständiges Versteckspiel. Wer von der Polizei aufgegriffen wird, muss in der Regel mit sofortiger Inhaftierung in einem Abschiebegefängnis und anschließender Abschiebung in sein Herkunftsland rechnen. Ein offener Protest der Betroffenen ist daher in Deutschland kaum möglich. In vielen europäischen Nachbarländern ist die Situation ganz anders. Die französische Bewegung der Sans Papiers geht seit Jahren im ganzen Land auf die Straße um für ihre Legalisierung einzutreten. Auch in Spanien sind die »Sin Papeles«, wie sie dort genannt werden, seit Jahren zum politischen Faktor geworden. Im katalanischen Barcelona treten die Migranten ohne Papiere entsprechend offensiv auf. Bei Stadtteilfesten informiert das Netzwerk ARSC (Asamblea por la Regularización Sin Condiciones), dem 40 Migrantengruppen angehören, über die Situation der Illegalen in Spanien. In den vergangenen Jahren der konservativen Regierung von José Maria Aznar habe sich auch in Spanien die Situation der über eine Million Flüchtlinge ohne Papiere verschlechtert, erklärt der ARSC-Aktivist Ibrar al Syed. »Papiere für alle« lautet die griffige Forderung auf den Informationsblättern des Netzwerkes. Angst vor der Polizei bräuchte er hier auf dem Fest jedoch nicht zu haben, meint der Exil-Pakistani. Hinter seinem Stand hat er Bilder von der größten Aktionen der letzten Monate aufgehängt: Der Besetzung der Kathedrale von Barcelona. Auch die wöchentliche Versammlung der ARSC findet nicht in einem geheimen Keller statt, sondern im Schulungsraum einer Gewerkschaft im Stadtzentrum. Zu dem »sit-in« in der Kathedrale sei es gekommen, als die Illegalisierten nach der Machtübernahme der Sozialdemokraten im Mai 2004 mit der neuen Regierung über die im Wahlkampf versprochene Verbesserung der Situation der »Sin Papeles« reden wollten, erzählt Ibrar. Die zuständige Ministerin Adela Ros schickte ihnen nur einen Sekretär. Enrique Mosquera von der Gruppe »Papiere für alle« meint dazu: »Das hat uns damals sehr wütend gemacht, und wir haben gesagt, wenn die Ministerin uns hier nicht empfangen will, dann muss sie wohl beim nächsten Mal zu uns kommen.« Auf einer spontanen Versammlung, zu der rund 3000 Illegalisierte gekommen seien, hätten sie dann den Entschluss gefasst, sich in der Kathedrale einzuschließen, um Druck auf die Politik zu machen, ihre Versprechen einzuhalten. Diese migrantische Selbstorganisation hat in Spanien bereits Tradition. In mehreren Protestwellen konnten so Papiere für tausende Illegalisierte erkämpft werden. Die letzten großen Kirchenbesetzungen im Jahre 2001 dauerten 46 Tage an, bevor die Regierung nachgab und Papiere für 14000 Menschen garantierte. Am 5.Juli kamen so rund 7000 Menschen zur Demonstration zusammen. Die Kirche hatte ihr Ansuchen zuvor abgelehnt, so dass die Polizei versuchte, das Eindringen in die Kathedrale zu verhindern. Die Demonstranten agierten geschickt: Sie gingen zunächst in eine andere Kirche im Stadtzentrum, um dann doch noch mit über 1500 Menschen die Kathedrale zu besetzen. Doch diesmal trafen sie auf eine unnachgiebige und entschlossene Regierung. »Die Politik, die Medien und viele Nicht-Regierungsorganisationen waren gegen uns«, erzählt Ibrar. Die Migranten waren jedoch entschlossen und verlangten Verhandlungen mit der Ministerin. Als die Regierung schließlich die Polizei anwies, die Kathedrale gewaltsam zu räumen, kam es doch zu einem langsamen Umschwung der Stimmung. Die Bilder von Polizeigewalt in der Kirche trafen auf Ablehnung, und so kam es, dass die Besetzer bei einer spontanen Demonstration nach der Räumung viel Zuspruch erhielten. »Also machten wir weiter, bis sich die Regierung mit uns traf, um über unsere Forderungen zu reden«, sagt Ibrar. So seien weitere Kirchen besetzt und am 3./4. Juli dann einen 32-stündigen Hungerstreik vor der Kathedrale abgehalten worden. »Die Zahl der Unterstützer hat sich dann bald auf 150 Nichtregierungsorganisationen vergrößert«, erklärt der Aktivist den Erfolg. Nachdem auch der Bischof von Barcelona seine Unterstützung für die Illegalen anbot, hätte dies für ihn Konsequenzen gehabt. »Jetzt gibt es zwei Bischöfe in Barcelona - der aus Tarragona wurde hierher versetzt.« Doch der Kampf hat sich nach Meinung der ARSC-Aktivisten letztlich gelohnt, denn Ende Juli kam die Nachricht, dass die katalanische Regierung fünf Vorschläge zur Migrationspolitik an die Regierung nach Madrid gesendet hat. Darin werde vorgeschlagen, dass Migranten, die mindestens zwei Jahre Aufenthalt in Spanien belegen können, über den Nachweis eines Jobangebots oder eines »Integrationszertifikats« Papiere bekommen sollen. Auch Lebensgemeinschaften sollen in dem Vorschlag nunmehr anerkannt werden. Das entspricht zwar bei weitem nicht den Forderungen des ARSC, meint Ibrar, aber es sei ein Teilerfolg und der Kampf gehe ja weiter. Anfang September demonstrierten so erneut mehrere hundert »Sin Papeles« lautstark vor dem Kultur- und Konferenzzentrum »Forum« in Barcelona. Dort fand eine Konferenz mit dem Thema »Menschliche Bewegung und Immigration« statt - ohne Einladung der »Sin Papeles«. Nun denkt Ibrar über einen Besuch von Aktivisten in Deutschland nach. Schließlich werde Migrationspolitik heute zunehmend auf europäischer Ebene gemacht. Deshalb seien eine stärkere europaweite Vernetzung und ein gemeinsamer Kampf der Illegalisierte...

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