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Sanierungswut kennt keinen Baustopp

PRENZLAUER BERG: Wie man mit kleinen Schikanen ans große Miet-Geld kommt

  • Lesedauer: 3 Min.

Im Schatten der Gethsemanekirche regt sich Protest. „Wir werden erniedrigt und für dumm verkauft“, machten sich Mieter am Donnerstag abend in der Mieterberatung Prenzlauer Berg Luft. Seit ihre drei Häuser Gethsemanestraße 1 und 3 sowie Stargarder Straße 76 in Verwaltung und Eigentum der aus dem Schleswig-Holsteinischen eingewanderten NAEHRIG-Grundstücksentwicklung übergegangen ist, sehen sie sich ständigen Schikanen ausgesetzt.

Ihre Vorwürfe: Die Betriebskostenabrechnungen, wenn sie überhaupt eintrudelten, seien fehlerhaft und verlangten von den Mietern meist horrende Nachzahlungen. Keller- und Haustüren würden bewußt offen gehalten, einem Mieter sei das Gas für seine Außenwandheizer abgedreht worden, um ihn von den Vorteilen einer Zentralheizung zu überzeugen. Weil dieser sich außerdem

standhaft weigert, überhöhte Betriebskosten und eine 15statt zehnprozentige Mietsteigerung zu akzeptieren, sei ihm die fristlose Kündigung ins Haus geflattert.

Sollte sie durchgehen, müßte auch einer der letzten noch in der Gethsemanestraße 1 ausharrenden Altmieter seine Wohnung räumen. Die Strategie sei klar: „Die Bewohner sollen so lange genervt werden, bis sie ausziehen“, so Katrin Belal-Steisinger von der Berliner MieterGemeinschaft. Denn ohne die lästigen Altmietverträge aus DDR-Zeiten sind nach einer schmucken Modernisierung die Wohnungen viel besser zu vermarkten. In der Nr. 1 wird allein nach Einbau von Heizung und Wechselsprechanlage schon eine Grundmiete von 15 Mark verlangt.

Auch in der Gethsemanestraße 3 ist die Rechnung des neuen Eigentümers bisher auf-

gegangen. Hier sind nur noch zwölf Wohnungen bewohnt, 18 stehen nach Erkenntnissen der Mieterberatung leer, der Seitenflügel komplett. Daß die Firma von Kuno Naehrig hier noch nicht richtig losmodernisieren konnte, liegt daran, daß das Gebiet um den Helmholtzplatz zwischenzeitlich Sanierungsgebiet wurde. Da gelten bestimmte Regeln, die die Erneuerungswut der Eigentümer in sozialverträgliche Bahnen lenken sollen. Zum Beispiel existieren Obergrenzen für die Grundmiete, die nach einer Sanierung nicht überschritten werden dürfen. Weil Naehrig diese bisher partout nicht anerkennen wollte, wurde vom Bezirksamt im September 1995 ein Baustopp ausgesprochen.

Woran sich Naehrig offenbar nicht gehalten hat. Mieter berichteten von heimlichen Bauarbeiten besonders spätabends in den leerstehenden

Wohnungen, was den Vertreter des Sanierungsträgers S.T.E.R.N. hellhörig machte. Er versprach die Alarmierung der Bauaufsicht. Und er gab bekannt, daß Naehrig jetzt, offenbar unter Druck gesetzt durch eine kurzzeitige Hausbesetzung, die Mietobergrenzen akzeptiert: 9 DM/m 2 für Wohnungen unter 40 m 2 ; 8,89 DM/m 2 (40 bis 60m 2 ); 7,59 DM/ m 2 (60 bis 90 m 2 ) und 6,33 DM/m 2 (über 90 m 2 ). Erstaunt rieben sich da manche Bewohner die Augen: Sie zahlen schon jetzt mehr. Nun sind sie ganz gespannt, ob die Firma Naehrig ihre Miete nach der Sanierung wieder reduziert.

Inzwischen ermittelt das Bezirksamt gegen den Vermieter wegen der leerstehenden Wohnungen. Hat er gegen das Leerstandsverbot verstoßen, drohen ihm Bußgelder ab 10 000 Mark pro Wohnung.

BERND KAMMER

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