„Die Rechnung ist nicht aufgegangen“
In der Ehrenloge im Admiralspalast bei der Gründung der SED dabei: Vertreter der SMAD. Im Bild vorn: Oberbürgermeister Dr. Arthur Werner Fotos: ND-Archiv
Am 29 November 1948 begründete der ehemalige Sozialdemokrat Ernst Thape seinen Austritt aus der SED:
„Weil es mir unter allen Umständen im Interesse Deutschlands nötig erschien, eine Vertrauensbasis zur Besatzungsmacht zu finden, habe ich vom ersten Tage an mir zum Grundsatz gemacht, ohne Vorbehalt mit den Vertretern der SMA und mit den Vertretern der Kommunistischen Partei zu verkehren. Und als die Vereinigung der beiden Parteien organisiert wurde, habe ich mitgemacht, weil-ich glaubte, daß auf der Grundlage dieser Einheitspartei das Mißtrauen der Besatzungsmacht gegen die Sozialdemokraten leichter zu überwinden sei. Es war mir klar.daß die Besatzungsmacht ihren ganzen Einfluß ausüben würde, um die Führung in der neuen Partei den Kommunisten zu verschaffen. Aber als Politiker und Marxist wußte ich, daß man Volksbewegungen und Parteiströmungen auch mit der absoluten Autorität einer Besatzungsmacht nicht willkürlich erzeugen kann, sondern sie nur als politische Gegebenheit zu verwerten imstande ist. Da die Sozialdemokraten in der neuen Partei weit mehr als die Hälfte ausmachten und die weitaus größere Zahl der geschulten Funktionäre mitbrachten, konnte es nur eine Frage der Zeit sein, wann sich die Sozialdemokraten in der neuen Partei durchgesetzt haben würden. Diese Rechnung ist nicht aufgegangen...“
Ganz unterschiedlich waren die Vorstellungen jener, die an der Vereinigung von KPD und SPD mitgewirkt haben. Hofften die einen, daß sich in der neuen Partei sozialdemokratische Traditionen durchsetzen würden, wollten die anderen an kommunistisches Parteiverständnis anknüpfen. Wieder andere, ehemalige Sozialdemokraten wie auch Kommunisten, bauten darauf, daß die neue Partei weder mit der alten SPD noch mit der alten KPD identisch sein werde. Unmittelbar nach der Gründung der SED gab es eine Phase, in deroffen diskutiert und Probleme benannt wurden, die die neue
Partei belasteten - an der Basis wie im Parteivorstand. Auch Spannungen mit der sowjetischen Besatzugsmacht kamen zur Sprache. So beklagte man u.a. das Verweigern von Auskünften sowjetischerseits über den Verbleib von verhafteten und verschleppten Personen. Unverständnis wurde über Drangsalierungen, Verdächtigungen und Observierungen bekundet.
So schrieb Cäsar Thierfelder, 1945 Mitglied des Thüringer SPD-Landesvorstandes, in einem Brief an Otto Grotewohl am 14. Mai 1947 über ein „Gespräch“ mit einem sowjetischen Offizier: „Ich habe mir erlaubt, Gegenfragen zu stellen, wobei ich sehr deutlich vernahm, daß ich mindestens seit der Verschmelzung über jeden Schritt und Tritt beobachtet worden bin und daß besonderer Auftrag vorgelegen hat, über meine Reden und sonstigen Äußerungen und meinen Umgang Berichte einzuliefern.“ Auf seine Frage, warum dies geschehe, habe der Offizier geantwortet: „Wir sind aber nicht nur dazu da, alle Personen der Partei, sondern auch unsere eigenen Offiziere genau so zu beobachten und sie unschädlich zu machen, wenn sie sich gegen die Interessen des Staates bzw. gegen die Einheit wenden.“
Ehemaligen Sozialdemokraten und Kommunisten wurde recht bald deutlich gemacht, daß es nicht ungefährlich ist, grundsätzliche Kritik an der Sowjetunion und ihrer Besatzungspraxis zu äußern. Die Phase offener Diskussionen in der SED endete bereits im Herbst 1946, als in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) die Gemeinde- und Landtagswahlen anstanden. Nunmehr - nicht erst, wie häufig in der Literatur zu finden, mit dem Jahr 1948 - begann eine schleichende Stalinisierung der SED. Sie wurde forciert, als unter sowjetischer Ägide im September 1947 eine Konfe-
renz von Vertretern kommunistischer und Arbeiterparteien ein „engeres Zusammenwirken“ der kommunistischen Parteien angesichts der „friedensgefährdende Politik der imperialistischen Länder“ forderte und die Bildung eines Informationsbüros beschloß.
Der vom 20. bis 24. September 1947 in Berlin stattfindende II. Parteitag der SED stand bereits im Zeichen der Ausrichtung der SED nach dem sowjetischen Parteivobild. Zur innerparteilichen Festigung sollte die marxistisch-leninistische Schulung verbessert und verstärkt aus den „sowjetischen Erfahrungen“ gelernt werden. Nach dem Parteitag und mit dem sich zuspitzenden Ost-West-Konflikt, dem sich
entfaltenden Kalten Krieg schritt die Einengung einer offenen Aussprache auch in den Sitzungen des Parteivorstandes und der Landesvorstände der SED nicht mehr allmählich, sondern mit rasantem Tempo voran. Kritik an zentralen Beschlüssen wurden nunmehr grundsätzlich mit dem Etikett „parteischädigend“ versehen. Die sowjetische Militäradministration schaltete sich direkt ein. Im Mai 1948 übergab Tjulpanow der SED-Führung eine Direktive, in der offen die Umwandlung der SED in eine „Partei neuen Typs“ gefordert, wurde. Mit den Beschlüssen des Parteivorstandes der SED vom Sommer/Herbst 1948 kam es sodann zu gravierenden Einschnitten in Struktur,
personeller Leitung und Selbstverständnis der SED Im Ergebnis dieses Transformationsprozesses waren die Landesverbände der SED „gleichgeschaltet“ Es setzten sich in den Landes- und Kreisvorständen Ende 1949/Anfang 1950 die an kommunistische Traditionen anknüpfenden Protagonisten der Partei neuen Typs durch bzw verblieben nur noch jene SED-Funktionäre sozialdemokratischer Herkunft, die sich der neuen Linie anpaßten bzw von der Notwendigkeit der Umwandlung der SED in eine „Partei neuen Typs“ überzeugt waren.
Mit der Ausrichtung der SED nach dem sowjetischen Parteimodell verbunden waren erneut Parteisäuberungen. Es
galt, die stalinistische Auffassung von Parteidisziplin durchzusetzen. Bald konnte man aus dem Munde ehemaliger KPDwie auch SPD-Mitglieder Worte wie „aufräumen“ und „ausmerzen“ hören.
Den Parteisäuberungen fielen als erste ehemalige SPD-Mitglieder zum Opfer, die mit ihrem Festhalten am sozialdemokratischen Parteiverständnis und der traditionellen Organisationsstruktur der Umstrukturierung der Partei im Wege standen. Schon 1947 wurden aber auch Kommunisten diffammiert und aus der SED getrieben. Die Zahl der wegen „parteischädigenden Verhaltens“ ausgeschlossenen Kommunisten lag 1947 in Mecklenburg sogar doppelt so hoch wie die Zahl der aus diesem Grund ausgeschlossenen Sozialdemokraten.
Viele ehemalige Sozialdemokraten wie auch Kommune sten erklärten von sich aus ihren Austritt. In einem internen Organisationsbericht von 1949 heißt es: „Die Unterlagen zur Kontrolle zeigen, daß nach den Beschlüssen der 11., 12. und 13. Plenarsitzung des Zentralvorstandes der SED im Jahre
1948 ein gewisser Teil der Parteimitglieder aus der Partei ausgetreten ist, weil sie nicht mit der Parteilinie auf die Entwicklung der Partei neuen Typus einverstanden waren.“ Im zweiten Quartal 1948 waren es 11 924, im dritten Quartal 18 148 und im vierten Quartal 20 804 ehemalige Sozialdemokraten bzw Kommunisten, die aus der SED austraten.
Mit dem Frühjahr 1949 weitete sich der Repressionsmechanismus aus. Die seit Mai
1949 in den Ländern Ost- und Südosteuropas von Stalin inszenierten Schauprozesse gegen prominente Parteiführer (Rajk, Slänsky, Kostow, Patrascanu, Gomulka) trieben auch die stalinistische Säuberungswelle in der SED vorwärts. Stalin sah den Feind in die wichtigsten Partei- und
Staatsämter der osteuropäischen Länder eindringen. Betroffen von der neuen Hysterie waren vor allem Kommunisten, die mit Noel H. Field, Leiter einer Hilfsorganisation während des Krieges, Kontakt hatten, sowie ehemalige Angehörige von vor 1933 existierenden kommunistischen Gruppen wie die Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD), die Kommunistische Partei Deutschlands/ Opposition (KPD/O) und der Leninbund. In der Endphase der Weimarer Republik hatten sie die Ausschaltung des Meinungspluralismus in der KPD kritisiert. Die seit 1948 nicht mehr zu übersehende „Gleichschaltung“ innerhalb der SED mußte gerade bei ihnen unangenehme Erinnerungen wekken. Ihre Kritik an den fatalen Vorstandsbeschlüssen vom Sommer 1948 wurde von der Parteiführung als „Sektierertum“, „Trotzkismus“ und „Titoismus“ diffamiert.
Die Parteisäuberungen erreichten Anfang 1951 im Rahmen einer Mitgliederüberprüfung einen Höhepunkt. Sie sollte, wie es offiziell hieß, „parteifremde und feindliche oder moralisch verkommene Elemente und Karrieristen“ aus der Partei entfernen. Nach jüngsten Berechnungen verlor die SED zwischen dem 15. Januar und dem 30. September 1951 ungefähr 320 000 Mitglieder und Kandidaten. Der Abschlußbericht der Zentralen Kommission zur Überprüfung der Parteimitglieder und Kandidaten vom April 1952 nannte folgende Zahlen: 18 180 Mitglieder wurden in den Kandidatenstand zurückversetzt, bei 4 150 Kandidaten erfolgte eine Verlängerung der Kandidatenzeit und 150 696 Mitglieder wurden ausgeschlossen bzw gestrichen.
Mit Abschluß der Parteiüberprüfungen verlor die SED nun auch im Hinblick auf die politische Zusammensetzung der Mitgliedschaft ihren Charakter als Einheitspartei. Ende 1951 gehörten der SED nur noch 195 000 (15,9 Prozent) Mitglieder an, die schon vor 1933 politisch organisiert waren.
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