Musterklagen gegen Rentenkürzungen
Sozialverband Deutschland sieht durch Gutachten Verfassungswidrigkeit bestätigt
Der Sozialverband Deutschland (SoVD) unterstützt Musterklagen gegen faktische Rentenkürzungen. Gestützt auf ein Gutachten bezweifelt er, dass die Zahlung eines vollen Pflegeversicherungsbeitrags sowie der Wegfall der Rentenanpassung 2004 und der rentensteigernden Anrechnung von Schul- und Hochschulausbildung verfassungsgemäß sind.
»Das Gutachten bestärkt uns in der Auffassung, dass alle drei Punkte verfassungswidrig sind«, erklärte SoVD-Präsident Adolf Bauer gestern in Berlin. Der Verband werde deshalb Musterklagen gegen diese Regelungen führen und bis vors Bundesverfassungsgericht ziehen. Dessen Entscheidung erwartet Bauer im Jahre 2006, »wenn alles gut geht«. Er rechnet damit, dass die angerufenen Sozialgerichte eine Sprungrevision zum Bundessozialgericht zulassen und hofft, dass sie selbst verfassungsrechtliche Fragen per Vorlagebeschluss in Karlsruhe zur Entscheidung unterbreiten. Auch Prof. Dr. Friedhelm Hase, der für den SoVD das Gutachten erstellt hat, rechnet mit relativ schnellen Entscheidungen, vor allem zur Belastung der Rentner mit dem vollen Pflegeversicherungsbeitrag ab 1. April 2004. Der Sozialrechtler von der Universität Siegen sieht dadurch sowohl das verfassungsrechtliche Eigentumsrecht als auch den vom Grundgesetz garantierten Vertrauensschutz (siehe Kasten) verletzt. SoVD-Präsident Bauer spricht von einem »Sonderbeitrag«. In seinem Gutachten verweist Hase darauf, dass die Neuregelung im Gesetzgebungsverfahren mit dem Ziel einer kurz- und mittelfristigen finanziellen Entlastung der Rentenversicherung gerechtfertigt wurde. Bis dahin hatte sie - wie bei Erwerbstätigen der Arbeitgeber - den halben Pflegeversicherungsbetrag entrichtet. Dies sei jedoch keine sozialrechtliche Begünstigung gewesen, die der Gesetzgeber jederzeit wieder rückgängig machen kann, sondern ein Rechtsvorteil, den die Rentner in der Zeit ihrer Erwerbstätigkeit zusammen mit den Arbeitgebern durch Vorleistungen - die Beiträge zur Renten- und ab 1995 zur Pflegeversicherung - erworben haben. Die Verletzung der Vertrauensschutzgrundsätze begründet der Jurist so: 1994 hat der Gesetzgeber entschieden, dass in der Gesetzlichen Krankenversicherung versicherte Rentner auch in der Pflegeversicherung versichert sind und die Rentenversicherung auch dafür den halben Beitrag übernimmt. »Darauf müssen sie sich nun auch verlassen können.« Rechtsansprüche, so betont Hase, werden »ganz grundsätzlich nicht dadurch relativiert, dass der zur Leistung Verpflichtete finanziellen Schwierigkeiten gegenübersteht«. SoVD-Präsident Bauer fasst zusammen: »Es ist nicht zulässig, den Rentnern willkürlich in die Tasche zu greifen, um die Rentenversicherung kurzfristig zu stabilisieren.« Speziell mit dem Ziel, den Beitragssatz von 19,5 Prozent beizubehalten, wurde auch die »Aussetzung« der Rentenanpassung an die Lohn- und Gehaltsentwicklung zum 1. Juli 2004 begründet. Gerade auf alljährlich anzupassende Leistungen seien aber die Anrechte der Versicherten gerichtet, betont Hase. Die Verlässlichkeit der Vorschriften über die Rentenanpassung habe für die Versicherten »überragende Bedeutung«. Ansprüche und Anwartschaften auf Renten der gesetzlichen Versicherung sind als Eigentum im Sinne von Artikel 14, Absatz 1 Grundgesetz garantiert. Dieses Eigentum werde durch Wegfall der Anpassung beeinträchtigt. Zu diesen beiden Regelungen, so informierte SoVD-Präsident Bauer, sind bereits fünf Musterklagen bei verschiedenen Sozialgerichten anhängig, sieben weitere Klagen würden demnächst eingereicht. Allen übrigen Betroffenen rät er deshalb, ihre eingelegten Widersprüche bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung ruhen zu lassen. Der dritte Punkt des Gutachtens betrifft den Wegfall der rentensteigernden Anrechnung von Zeiten des Schul- und Hochschulbesuchs, der für Neurentner ab 2005 schrittweise und ab 2009 vollständig wirksam werden soll. Laut Bauer bedeutet das eine Rentenkürzung von bis zu 5 Prozent, für Durchschnittsverdiener im Westen 59 und im Osten 52 Euro monatlich. Prof. Hase sieht auch dadurch Artikel 14, Absatz 1 Grundgesetz verletzt. Die als Eigentum geschützten rentenversicherungsrechtlichen Positionen dürften den Berechtigten nicht entzogen, aber auch nicht dadurch entwertet werden, dass für die Einlösung der erworbenen Ansprüche unverzichtbare Elemente des Leistungsrechts aufgehoben werden. Die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist offensichtlich: Zeiten des Fachschulbesuchs und berufsvorbereitender Bildung werden nämlich weiter rentensteigernd berücksichtigt, »ohne ...Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
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