»Nur weg von hier!«

In der Sächsischen Schweiz gehört der Rassismus zur Alltagskultur

  • Stefan Tesch, Pirna
  • Lesedauer: ca. 7.5 Min.

Deutsche Kinder mit dunklerer Hautfarbe erleben in Pirna, der Kreisstadt der Sächsischen Schweiz, schon seit Jahren einen tagtäglichen Horror. Sie werden beschimpft, bedroht, ausgegrenzt. Ihre Eltern und einige ihrer Freunde gründeten dagegen eine Bürgerinitiative. Doch selbst bei Politikern stößt diese auf taube Ohren. Mit den jüngsten Wahlerfolgen der ausländerfeindlichen NPD in der Region wird ihre Lage langsam unerträglich

Es war vor drei Jahren in Sebnitz. In dem Städtchen, das zuvor böse in die Schlagzeilen geraten war, weil die Welt glaubte, eine Horde Neonazis habe einen kleinen Deutsch-Iraker ertränkt, wollte man ein Zeichen setzen. So eröffnete hier ein »Afrikahaus«. Auch aus dem nahen Pirna kamen gut gelaunte Gäste, doch ihre Stimmung war schnell hin. Mitten auf der Straße wurden einige von ihnen, zumeist Kinder, wegen ihrer dunkleren Hautfarbe als »Scheiß Nigger« beschimpft. Dabei waren sie Deutsche, hier geboren, nie woanders zu Hause als hier in der Sächsischen Schweiz.

Sehnlichster Wunsch: Eine weiße Kinderhaut
Ein Jahr zuvor in Liebstadt bei Pirna. Familie Pilima hat eben Einzug im neuen Eigenheim gefeiert. Mit viel Eigenleistung und einer nicht geringen Hypothek bei einer deutschen Bank haben der aus Mocambique stammende Energieelektroniker Paulino und seine deutsche Frau Iris sich und den beiden Kindern einen Lebenstraum erfüllt. Da läuft plötzlich im Schutz der Dunkelheit vor ihrem Häuschen ein Albtraum ab, den US-Filmregisseure im dumpf-rassistischen Südstaatenmilieu der 50er Jahre kaum authentischer hätten inszenieren können. Scheiben gehen zu Bruch, Kinderfahrräder werden zertrümmert, und eine rüde Meute, die widerrechtlich auf das Grundstück gedrungen ist, grölt »Neger raus!« Als endlich die Polizei kommt, nimmt sie nicht einmal die Personalien auf.
Der 43-jährige Paulino Pilima übt sich in Sarkasmus, spricht man ihn auf die Schreckensnacht an. »Vielleicht haben sich die Leute im Ort nun an mein Gesicht gewöhnt. Ich habe nun mal kein anderes«, spöttelt er in fehlerfreiem Deutsch. Seine Frau trägt schwerer daran: »So etwas vergisst man nie!« Die Wunde schmerzt noch sehr.
Wunden, wie sie sie tagtäglich zugefügt bekommen, führten rund zehn Familien aus der Sächsischen Schweiz schließlich auch zusammen. Sie gründeten in Pirna die Bürgerinitiative »Afroeuropäische Familien und Interessierte«, kurz AfrEu. Allen gemeinsam ist es, dass ein Familienmitglied aus Afrika stammt, womit auch die Kinder eine farbige Haut haben. Regelmäßig treffen sie sich, um wandern zu gehen, Sport zu treiben oder zusammen zu kochen, mal sächsisch-deftig, mal afrikanisch-würzig. Doch es sei kein Verein für Freizeitinteressen, »keiner im besten Sinne«, wie Paulino es nennt. Gemeinsame Not, die zunehmend in Verzweiflung umschlägt, ließ sie zusammenfinden.
Für eine deutsch-afrikanische Familie in Pirna, wo die erklärt multikulti-feindliche NPD seit Juni in Fraktionsstärke im Kreistag sitzt, sei das Leben »nur ein einziger Stress«, erzählt Inge Bittermann-Mutouo. Was wie eine Floskel klingt, erschüttert schnell, wenn die Heilpädagogin konkreter wird. Mit ihrem mocambiquanischen Mann hat sie zwei bildhübsche Töchter. Doch gehen diese morgens aus dem Haus, zur Schule, zum Taekwondo-Training oder nur drei Straßen weiter zu einer Freundin, beginnt der alltägliche Horror. Hass und Verleumdungen begleiten sie unentwegt. An der Bushaltestelle ruft man sie »Arbeitstier«, vorm Supermarkt »Negerschlampen« und in der barocken Pirnaer Altstadt - eben erst nach der verheerenden Flut mit Millionenhilfe aus allen Teilen Deutschlands wiedererstanden - pöbeln ihnen Halbwüchsige »schwarzes Vieh« nach.
Selbst vor einer Schule, die den Namen Goethes trägt, sei eine ihrer Töchter von Jungs angespuckt worden, erzählt die Mutter verbittert. Und in der christlichen (!!) Grundschule Pirnas beschimpften 13-jährige zwei farbige Erstklässler während der Hofpausen häufig als Affenkinder oder Nigger. »Wir erleben, dass Nazis und Rechtsgesinnte unsere Kinder als Gefahr sehen«, so die Mittvierzigerin wütend. Mithin seien die 6- bis 16-Jährigen in einer Lebensphase, in der sich ihre Selbstständigkeit entwickeln sollte, einem wahnsinnigen Druck ausgesetzt, zumal ohne Chance auf Normalität. Danach befragt, was sie sich zu Weihnachten wünsche, antwortete eines der Mädchen den Eltern: »Nichts, nur eine weiße Haut!« Vor allem für die Jüngeren sei diese grausame Stigmatisierung kaum zu verkraften.

NPD bestimmt das öffentliche Klima
»Ich bin jeden Abend froh, wenn mein Junge wieder heil zu Haus ist«, gesteht Silvia Butter. Ihr 16-jähriger, Erinnerung an schöne Jahre mit einem noch vor der Wende nach Afrika heimgekehrten Vertragsarbeiter, ist nicht von Pappe. Er wüsste sich zu wehren. Vor allem sei er aber pfiffig, erzählt die Mutter. Seit er zehn ist, wisse er genau, welche Plätze er zu welcher Tageszeit lieber meidet, welche Parks er umgeht, welche Straßenseite notfalls die sichere ist. »Er sieht als dunkelhäutiger Deutscher die Welt zwangsläufig mit ganz anderen Augen«, spürt seine Mutter immer wieder. Regelrechte Sensoren habe er dafür ausgebildet: Dinge, auf die kein weißer Deutscher käme. Denn so lange er sich durch seine Geburtsstadt bewegt, müsse er auf der Hut sein. Sich unbedarft in eine vorher nicht einschätzbare Situation zu begeben, könnte böse enden. Manchmal sei es fast schon ein Wunder, dass es noch keinen Toten gegeben habe, flucht die gelernte Erzieherin.
Allerdings verkneifen sich die afroeuropäischen Familien in dem Maße, wie die NPD in der Sächsischen Schweiz Oberwasser gewinnt, längst bestimmte Alltagsfreuden. Das Freibad ist tabu, ebenso Stadtfeste, Rodelberge, Fußballplätze, überhaupt große Menschenansammlungen. Auch die abendliche Fahrt in der S-Bahn nach Dresden kann leicht zum Hasardspiel werden. Einmal habe zum Glück eine Schaffnerin einem der Mädchen geraten, auf der Rückfahrt aus Dresden nur ganz vorn einzusteigen: Die hinteren Waggons hatten Skinheads im Griff, so eine Mutter.
Manche Eltern, die in Dresden arbeiten, meldeten selbst die Kinder hier zur Schule an, auch wenn sich damit deren Schultag leicht auf zehn, elf Stunden streckt. »Auch zum Wandern in der Sächsischen Schweiz lassen wir sie keinesfalls allein«, berichtet Paulino Pilima, der das R so schön rollt, wie es in Ostsachsen üblich ist. Er lebt ein Vierteljahrhundert in Deutschland, arbeitet hier, zahlt seither Steuern und Kassenbeiträge, lag noch nie jemandem auf der Tasche.
Vorurteilen sachlich-aufklärend gegenzusteuern, ist deshalb eines der wichtigsten Anliegen der afroeuropäischen Bürgerinitiative. Sie sucht die Öffentlichkeit, das Gespräch mit Politikern, Paulino spricht auch in Schulen. »Aber natürlich nur, wenn man mich anhören will und einlädt«, schränkt er ein. Offensichtlich ist das immer weniger der Fall. »Im Gegenteil, das Klima wird rauer«, beobachtet man in der Gruppe und schreibt das den wachsenden Erfolgen der NPD zu. 2002 kam diese mit Sprüchen wie »Grenze dicht!« in den Stadtrat, im Juni in den Kreistag und nun sogar in den Landtag. Teils über 20 Prozent hatten sie allein in der Sächsischen Schweiz gewählt. Und so hören die Eltern denn auch von anderen Politikern achselzuckende Ausflüchte: »Ja, ich verstehe Sie, aber verstehen Sie mich auch: Wenn ich wiedergewählt werden will « Selbst beim christlich-demokratischen Landrat der Sächsischen Schweiz fühlten sie sich »erkennbar nicht ernst genommen«.
So hätten sie bisher kaum etwas erreicht, gesteht Silvia Butter. Stattdessen bekämen sie Tag für Tag härter zu spüren: »Der Rassismus hat hier die Alltagskultur erreicht.« Selbst sie als Eltern gerieten immer mehr ins Visier. »Bei manchen Themen unter Kollegen verstummt plötzlich das Gespräch, wenn ich dazu stoße«, gesteht Inge Bittermann-Mutouo. Dann weiß sie, es ging wieder mal »gegen die Ausländer«. Auch gebe es Leute in der Stadt, die sprächen kein Wort mehr mit ihr, wenn ihre Mädchen dabei sind.

Scheißangst vor den Rechten
Natürlich würden nicht alle so denken, vier Fünftel in der Sächsischen Schweiz wählten nicht NPD. Doch die Zivilcourage liege offenbar am Boden. Außer einer kleinen Gruppe um Vertreter linker Parteien, die sich denn auch »Aktion Zivilcourage« nennt, beziehe keiner Partei für sie. Die Mütter beobachten längst eine »Scheißangst« vor den Rechten. Außerdem trage wohl »mittlerweile gut die Hälfte der Pirnaer direkt oder indirekt« jene rassistische Aggressivität mit. Andernfalls könnten sich die »14- bis 16-jährigen Krakeeler, die die Hoheit auf den Straßen ausüben, nicht so viel trauen«. Selbst bei Erwachsenen versage der natürliche Einschreitreflex, mit dem man sich sonst schützend selbst vor fremde Kinder stellt, wenn diesen Gefahr droht. »Man greift nicht ein, schaut weg, rechtfertigt es am Ende sogar noch für sich: Es seien ja nur ausländisch aussehende Kinder «, so die verzweifelten Frauen.
Einmal, als Inge Bittermann-Mutouo gut gelaunt mit den Töchtern eine Pirnaer Straße entlang lief, brüllte sogar ein Bauarbeiter den Mädels von seinem Bagger herunter »Negerschlampen« nach. »Im Beisein ihrer Mutter! Wo sind wir gelandet?!« Bis heute ringt sie um Fassung. Sie zeigte den Mann wegen Volksverhetzung an - und erlebte bereits die nächsten Kapitel ganz alltäglicher Intoleranz. Erst wollte die Polizei die Anzeige nicht annehmen, dann schloss ein Staatsanwalt kurzerhand die Akte.
Für alle farbigen Deutschen der Region steht fest: »Nur weg von hier nach der Schule!« Paulinos großer Sohn verbringt die Wochenenden bereits meist in Weimar, wo sich tolerantes multikulturelles Leben entwickelt hat. Und als einige Familien im Sommer drei Wochen im badischen Freiburg Urlaub machten, erkannten die Eltern ihre Kinder nicht wieder: »Sie waren ausgelassen und befreit, wie ich sie ewig nicht erlebt habe. Lauthals singend zogen sie die Straße entlang«, erinnert sich eine der Mütter, noch immer gerührt.
Ob sie weggehen wollen aus Sachsen? Man merkt, sie scheuen die Antwort, heimatliche Wurzeln kappt man dennoch nicht leicht. »Und Arbeit muss man auch erst finden«, so Silvia Butter. Dennoch wissen sie, es wäre nicht feige, sondern nur logisch. »Noch sind wir hier, schränken uns ein und stellen uns der Situation«, meint sie unentschieden. Doch nach der Wahl vom Sonnta...

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