Nackt sein oder nicht sein

KERSTIN STEINBACH: Andere Zeiten

Längst sind die Zeiten Geschichte, in denen sich am Ostseestrand der DDR die Nackten mit den Angezogenen und den Halbbekleideten unbekümmert vermischten. Die Grenzen sind schärfer geworden. Es gibt den »normalen« Strand, den Hundestrand, den FKK-Strand. Argwöhnisch wird am Textilstrand die junge Frau visiert, die oben »ohne« sein möchte. Auch im Nacktbadebereich sieht man es nicht gern, wenn eine Teilverhüllung stattfindet. Strenge Ordnung, in die sich alle scheinbar ohne Murren einfügen, ersetzt die Freiheit.
Freikörperkultur? Aber ja, doch bitte auf dem eingezäunten Zeltplatz. Nackte in der Öffentlichkeit? Aber ja, dafür gibt es Museen. Brüste auf den Titelblättern der Illustrierten? Aber nein, das ist ja Pornografie. Und haben nicht die Feministinnen dafür gekämpft, dass diese frauenfeindlichen Darstellungen aus den Medien verschwinden? Wahrscheinlich wäre heute in der ARD oder dem ZDF undenkbar, was zur besten Sendezeit am 23. Dezember 1976 über die Bildschirme des DDR-Fernsehens flimmerte: Ein bekannter Reporter, Hans-Joachim Wolle, spaziert splitternackt am FKK-Strand und interviewt andere Nackte. Ebenso wenig kann man sich heute noch die schöne Unbekleidete auf dem »Stern«-Titelblatt vorstellen - Illustration zum Thema »Allein in den Urlaub«.
Alles Geschichte. Nahezu unbemerkt wurde die Nacktheit aus dem öffentlichen Leben verdrängt. Die Medizinerin und Biologin Kerstin Steinbach erinnert nun an die Jahre von 1965 bis 1975, in denen diese Nacktheit - anknüpfend an die besten Traditionen der Weimarer Republik - ihre Schmuddelecke verlassen hatte. Die Bilder schöner, junger, selbstbewusster, nackter Menschen, die da auf einmal die Öffentlichkeit erreichten, führt sie auf eine massive gesellschaftliche Kraft von freiheitsliebenden Bürgern zurück.
Anhand interessanter und polemischer Untersuchungen über die Rolle der Bekleidung und deren politische Bezüge verfolgt Steinbach, wie »Zerlügung« und »Vermuffung« die Oberhand über diese Volksbewegung gewannen und ein Zustand der Verkniffenheit und Verlogenheit wiederhergestellt wurde. Und schließlich offenbart sie, dass sie ihren Bericht über eine Ausstellung nackt geschrieben und sodann mit Freunden diniert habe. Nackt?

Kerstin Steinbach: Es gab einmal eine bessere Zeit... Die verhaßten Bilder und ihre verdrängte Botschaft. Ahriman V...

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