Der aus Algerien stammende Raï ist seit den 80er Jahren eine der wichtigsten Formen moderner arabischer Musik. »Aicha« und andere Welthits des Sängers Khaled bescherten dem Raï seit den 90er Jahren auch in Europa große Popularität. Mehrfach angekündigt und dann doch immer wieder verschoben, ist in diesen Tagen Khaleds neuestes Album »Ya Rayi« erschienen. Carsten Beyer hat sich mit dem Sänger unterhalten.
Vier Jahre lang mussten ihre Fans auf die neue CD warten. Warum hat es so lange gedauert?
Ich wollte mal eine Pause von dem ständigen Tournee-Stress. Raï- Musik ist mittlerweile auf der ganzen Welt populär. Ich könnte ständig unterwegs sein, wenn ich wollte, aber ich will es nicht. Meine Familie ist mir wichtiger. Außerdem habe ich mir ein neues Haus gebaut. In Luxemburg. Das ist immer noch nahe an Frankreich, aber man muss nicht so viel Steuern bezahlen. Außerdem wollte ich auch Zeit haben für meine Tochter, mein drittes Kind. Mittlerweile ist sie 2 Jahre alt, da braucht sie einen Vater, der auch mal zu Hause ist.
Auf der neuen Platte »Ya-Rayi« haben Sie gleich mit vier verschiedenen Produzenten gearbeitet. Wie kam das zu Stande?
Ich wollte eine möglichst große Vielfalt unterschiedlicher Stile auf dem Album, deswegen habe ich mit ganz verschiedenen Leuten kooperiert. Zwei der Produzenten sind Musiker, mit denen ich immer schon mal arbeiten wollte, nämlich Jacob Desvarieux von der Band Kassav und Farid Aouameur, ein junger Gitarrist aus meiner Heimat Algerien. Daneben war mein alter Freund Philip Eidel beteiligt, mit dem ich schon viele meiner größten Hits zusammen aufgenommen habe und Don Was, der ebenfalls schon öfter für mich gearbeitet hat. Mit Don war es diesmal allerdings etwas schwierig, weil er zeitgleich zu der Produktion von »Ya-Rayi« in den USA am neuen Album der Rolling Stones arbeiten musste. Also haben wir etwas gemacht, was glaube ich vorher noch kein Musiker gemacht hat. Wir haben einen Track, das Titelstück nämlich, im Cyberspace aufgenommen, er in Los Angeles, ich in Paris. Kommuniziert haben wir dabei mit Hilfe einer Webcam, hat etwas gedauert, das Ganze, aber es hat Spaß gemacht.
Das Album klingt wie eine Rückkehr zu Ihren arabischen Wurzeln.
Nun, es sind einige Songs im Chaabi-Stil auf dem Album, Musik, wie man sie in den 60er Jahren in Algier gerne gemacht hat. Für diese Stücke habe ich einige der alten Musiker aus dieser Epoche gefragt, ob sie für mich ins Studio gehen würden. Aber gleichzeitig gibt es auch Stücke wie »El H'Mam«, ein klassischer Raï, den ich von meinem Kollegen IMOTEP habe remixen lassen. Also, es sollte für meine arabischen und für meine europäischen Fans etwas dabei sein.
Sie haben angefangen als »Cheb«, so heißen die jungen Männer im Raï, später nannten Sie sich schlicht »Khaled« und spätestens nach ihrem zweiten Album »Sahra« hat man Sie nur noch als »König des Raï« bezeichnet. Wo stehen sie heute?
»König des Raï«, das klingt ein bisschen vermessen, aber diese Krone habe ich mir nicht selbst aufgesetzt, das waren die jungen Leute im Maghreb, die mich immer so genannt haben und das wurde dann von der Presse aufgegriffen. Das ist sicher ehrenhaft und ich freue mich auch darüber, aber eigentlich verstehe ich mich eher als einen Botschafter des Raï, einen Botschafter der Musik im Allgemeinen, der guten Laune und der Liebe.«
Gibt es da auch eine spezielle Botschaft für den Westen? Immerhin waren sie der erste, der die Raï-Musik außerhalb der arabischen Welt populär gemacht hat
Meine Botschaft an den Westen ist die gleiche wie die an meine eigenen Landsleute in Algerien. In den meisten meiner Texte geht es um ein friedliches Zusammenleben der Menschen, der Geschlechter und der Kulturen. Mir wird manchmal vorgeworfen, dass ich mich immer nur mit der Liebe beschäftige, aber es gibt im Französischen ein Sprichwort: »Wer Liebe macht, führt keine Kriege«. Der Titel meines neuen Albums lautet »Ya-Rayi«, was so viel bedeutet wie: »Ich sage meine Meinung«. Der Raï ist immer Ausdruck einer starken, unabhängigen Meinung gewesen, auch und gerade, wenn es um die Liebe geht. Beispielsweise singe ich darüber, dass man seinen Gefühlen folgen sollte, egal, ob man nun verheiratet ist oder nicht. Die jungen Leute in den Städten mögen so etwas, aber bei den Fundamentalisten kommt diese Botschaft gar nicht gut an. Vor zehn Jahren hatten wir ein großes Problem mit Fanatikern und religiösen Eiferern in Algerien. Damals musste ich das Land verlassen, genauso wie viele meiner Kollegen. Aber ich habe nie aufgehört, meine Heimat zu lieben, und deswegen ist es mir nach wie vor wichtig, was dort passiert.
Können Sie denn mittlerweile dorthin zurückgehen oder ist das noch immer zu gefährlich?
Nachdem ich 1986 nach Frankreich übersiedelte, konnte ich mehr als zehn Jahre in meiner Heimat nicht auftreten. Es wäre einfach zu gefährlich gewesen, einige meiner besten Freunde sind in dieser Zeit von Terroristen umgebracht worden. Auch die Regierung konnte uns damals nicht schützen, die Fundamentalisten machten Jagd auf jeden, der sich für ein großzügigeren Umgang mit Themen wie Alkohol oder Sexualität einsetzte. 1999 bin ich dann wieder in Algerien aufgetreten und danach noch zwei oder drei Mal, aber es ist nach wie vor gefährlich. Die Fundamentalisten sind dort nach wie vor sehr mächtig, auch wenn der Terror nachgelassen hat.
Sie und andere Raï-Sänger wie Faudel, Cheb Mami und Rachid Taha sind zur Zielscheibe geworden, weil Sie einen sehr westlichen Lebensstil pflegen: Sie trinken Alkohol, Sie singen gerne über schöne Frauen...
Egal, was manche Leute sagen, ich bin ein guter und wahrer Muslim. Ich habe den Koran gelesen, seitdem ich ein kleiner Junge war und ich weiß, dass unser Schöpfer die Musik liebt, genauso wie er andere Dinge liebt, den Sex zum Beispiel. Da kann ich mich doch nicht hinstellen und das Gegenteil behaupten. Tabus und Verbote darf es in der Musik nicht geben! Im Übrigen ist es nicht nur mein Lebensstil, der mich zur Zielscheibe macht. Viele Konservative haben es mir auch übel genommen, dass ich vor ein paar Jahren gemeinsam mit der israelischen Sängerin Noa aufgetreten bin.
Wie hat sich die Situation nach dem 11. September 2001 für Sie verändert? Ist es nicht mittlerweile noch schwerer, die Rolle als Mittler zwischen den Kulturen einzunehmen?
Ja, das ist richtig. Und trotzdem gebe ich die Hoffnung niemals auf. Ich glaube, ich hoffe, wenn man die Friedensbotschaft laut genug herausschreit, dann kommt sie auch bei den Leuten an. Ich will ihnen mal ein Beispiel geben: Vor einiger Zeit bin ich in Marokko aufgetreten, auf Wunsch des Königs, der ein großer Fan meiner Musik ist. Dieses Konzert war ein besonderes Ereignis, denn eigentlich sind Marokko und Algerien seit langem verfeindet. Der marokkanische König und unser Präsident verstehen sich nicht sehr gut, daher hat man für alle Bewohner der beiden Länder die Grenzen geschlossen und die Visa-Pflicht eingeführt. Das muss man sich mal vorstellen! Dabei sind unsere Völker Brüder! Mit so etwas werde ich mich nie abfinden! Ich bin mittlerweile Vater von drei Kindern, da kann ich doch nicht aufhören, mich für den Frieden in der Welt einzusetzen.
Und was sagen Sie Leuten, die wie der amerikanische Politologe Samuel Huntington einen Kampf der Kulturen zwischen dem Islam und dem Christentum heraufziehen sehen?
Ich respektiere alle Religionen. Ich kenne die Thora und die Bibel genauso wie den Koran und ich akzeptiere sie als die Worte eines Gottes. Vor einiger Zeit hatte ich sogar eine Audienz beim Papst und er hat mich in diesem Glauben bestärkt. Ich bin weder gegen Juden noch gegen Muslime, ich bin gegen Menschen, die Böses tun. Glauben Sie mir, ich kenne den Koran von A bis Z und da steht nichts darüber, dass man die Juden hassen soll. Juden und Moslems sind beide Abkömmlinge Abrahams, wir sind also gewissermaßen Cousins. Gerade deshalb ist das, was derzeit im Nahen Osten passiert, so schlimm. Ich wünschte, die Menschen im Westen würden das endlich begreifen. Die Verantwortlichen in Washington und auch in einigen europäischen Ländern, die eine solche Politik unterstützen, das sind die wahren Verdächtigen, die wahren Mörder. Solange sich das nicht ändert, wird die Welt niemals in Frieden leben, wird es immer einen Saddam Hussein geben oder einen Bin Laden, der sich hinstellt und sagt: Was ich tue, geschieht im Namen der Palästinenser. Und sie hätten recht. Das kann die Welt so nicht hinnehmen, jeder Mensch kann das täglich im Fernsehen sehen. Die Amerikaner helfen den Israelis, eine Mauer zu bauen, eine Mauer genau wie die Berliner Mauer im Kalten Krieg. Das geht nicht, ich bitte Sie!
Bei den Aufnahmen zu ihrrer neuen Platte hatten Sie auch zwei sehr alte Musiker eingeladen, die in ihrer Heimat in den 60er Jahren sehr populär waren: Den Pianisten Maurice El Medioni, einen Juden, der mittlerweile in Marseilles lebt, und den Algerier Blaoui.
Das war ein seh schönes Erlebnis. Die beiden hatten sich seit 40 Jahren nicht mehr gesehen, da spielten sich sehr emotionale Szenen ab im Studio. So etwas Schönes zu erleben, das ist für mich das Paradies auf Erden. Ich verstehe nicht, wie man ernsthaft glauben kann, man komme ins Paradies, wenn man sich in die Luft sprengt und andere Menschen tötet. Gott will nicht, dass der Mensch tötet. Wenn ein so genannter Religionsgelehrter mir etwas anderes sagt, dann antworte ich: Spreng du dich zuerst in die Luft und wenn du dann aus dem Paradies wieder zurückkommst, sag mir, ob du Recht hattest.
Khaled auf Tour: 15.11. München, 18.11. Hamburg, 19.11. Hannover, 20.11. Berlin (Columbiahalle), 22.11. Stuttgart, 26.11. Frankfurt (Main), 27.11. Köln