Von »U9« zu »U47«

Mythos 1914 und 1939

Knapp drei Monate nach dem Beginn des Ersten Weltkriegs, am 24. Oktober 1914, erhielt der bis dahin unbekannte U-Boot-Kommandant Otto Weddingen von Kaiser Wilhelm II. den höchsten preußischen Kriegsorden für Offiziere, den Pour le mérite. Weil er und seine Besatzung mit dem Unterseeboot »U9« am östlichen Ausgang des Ärmelkanals in einem spektakulären Unterwasserangriff drei britische Panzerkreuzer in etwas mehr als einer Stunde versenkt hatten. Einer der ersten Aufsehen erregenden militärischen Erfolge einer Schiffsklasse, deren Einsatzmöglichkeiten und Kampfwert die Flottenleitungen der Krieg führenden Staaten bislang unterschätzt hatten. Für die deutsche Admiralität eröffneten sich neue strategische Perspektiven: U-Boote als schlagkräftige Angriffswaffe, wirksam gegen die Kriegsschiffe der überlegenen britischen Home Fleet sowie gegen Handelsschiffe, um das »perfide Albion« rasch in die »Knie zu zwingen«, wie die chauvinistische deutsche Kriegspropaganda verkündete. Die Versenkung der veralteten drei englischen Panzerkreuzer im Herbst 1914 löste in Deutschland eine Welle nationalistischer Begeisterung aus. Weddingen und die Besatzung von »U9« waren in aller Munde, wurden mit Ehrungen überhäuft, als Helden gefeiert. Ein Mythos war geboren, der über den Ersten Weltkrieg hinaus in der Weimarer Republik genährt und erst recht in Hitlerdeutschland gepflegt wurde. Weddingen, zu einem Idol der deutschen Jugend zwischen den beiden Weltkriegen gemacht, starb 1915 mit seiner Besatzung durch den Rammstoß eines englischen Schlachtschiffes. Zwei Jahrzehnte danach wurde im Rahmen der maritimen Aufrüstung Hitlerdeutschland am 27. September 1935 die erste U-Boot-Flottille der Kriegsmarine in Dienst gestellt. Sie erhielt den Namen »Weddingen«, und auch ein »U9« gab es unter diesen ersten sechs Booten. Flottillenchef wurde Karl Dönitz, dem bald darauf die von ihm entwickelte neue deutsche U-Boot-Waffe unterstand und der als Großadmiral ab 1943 Oberbefehlshaber der Kriegsmarine war. Unter den von ihm geschulten U-Boot-Kommandanten befand sich auch der spätere Kapitänleutnant Günther Prien. Dieser sympathisierte seit 1932 mit den Nazis und erwarb »Fronterfahrung« als U-Boot-Wachoffizier bei der Blockade der spanischen Republik. Er galt als einer der fähigsten und zuverlässigsten Kommandanten, so dass Dönitz ihn zu Beginn des Zweiten Weltkrieges für eine der spektakulärsten U-Boot-Unternehmungen erkor. Schon im ersten Kriegsmonat hatte Dönitz einen Plan entwickelt, wie der Home Fleet ein schwerer Schlag nur von einem einzigen U-Boot versetzt werden könne, wenn es diesem gelingen würde, in den stark gesicherten britischen Flottenstützpunkt Scapa Flow einzudringen. In der Nacht zum 14. Oktober 1939 vollbrachten Prien und seine Mannschaft mit »U47« das seither legendär verklärte militärische und seemännische Bravourstück, dem aber allein das fast 25 Jahre alte Schlachtschiff »Royal Oake« zum Opfer fiel. Die Bucht von Scapa Flow war fast leer. Doch in Deutschland wiederholte sich nun im Oktober 1939 in exzessiver Weise, was Weddingen und seiner Mannschaft 25 Jahre zuvor widerfahren war. Von Goebbels gelenkt, verkündeten Presse und Rundfunk Siegesmeldungen. Hitler ließ die Crew von »U47« nach Berlin fliegen und verlieh Prien als erstem Marineoffizier das Ritterkreuz. Fortan schenkte die NS-Führung dem U-Boot-Krieg stärkere Beachtung. Priens »U47« wurde am 8. März 1941 mit Mann und Maus von einem englischen Zerstörer vernichtet. Hitler untersagte die Verbreitung der Nachricht über den Tod des U-Boot-Helden. Erst nach zweieinhalb Monaten gab das OKW verklausuliert bekannt, dass Priens Unterseeboot »nicht zurückgekehrt ist«. Das führte bald zu wilden und anhaltenden Gerüchten, beispielsweise: Prien und seine Besatzung ...

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