Folter bei Lebensgefahr erlaubt?

Im Fall Daschner wird auch über den Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland verhandelt / Wichtiger als Bestrafung der Täter ist klare Verurteilung ihres rechtswidrigen Vorgehens

Im Entführungsfall Jacob von Metzler hatte der Vize-Polizeichef von Frankfurt (Main) dem später als Mörder verurteilten Tatverdächtigen die Zufügung schwerer Schmerzen androhen lassen, falls er nicht sagt, wo er den Elfjährigen versteckt hat. War das Androhung von Folter, Aussageerpressung oder »nur« Nötigung? Liegt gar ein rechtfertigender Notstand vor? Heute beginnt der Strafprozess.

Um 9.30 Uhr wird der Vorsitzende der 27. Strafkammer des Landgerichts das Strafverfahren gegen einen 50-jährigen, bisher offiziell nicht namentlich genannten Kriminalhauptkommissar sowie den derzeit von seinem Amt suspendierten Vizepräsidenten der Polizei der Mainmetropole, Wolfgang Daschner (61) eröffnen. Die Staatsanwaltschaft legt dem Kriminalhauptkommissar nach Angaben des Gerichts »Nötigung unter Missbrauch seiner Amtsbefugnisse und seiner Stellung als Amtsträger« (§240, Absätze 1 und 4 Strafgesetzbuch - StGB) zur Last. Ihm wird vorgeworfen, Magnus Gäfgen, dem - damals nur mutmaßlichen - Entführer des elfjährigen Jakob von Metzler, »mit der Zufügung schwerer Schmerzen für den Fall gedroht zu haben, dass er nicht bereit sei, den Aufenthaltsort des entführten Kindes zu nennen«. Dabei »soll« er, so das Gericht vage, »auf Anweisung« Daschners gehandelt haben, weshalb der »wegen Verleitung zu der Tat seines Untergebenen angeklagt ist (§240, Absätze 1 und 4, sowie §357, Absatz 1 StGB; siehe Spalte rechts).

Offenbar kein »klarer Fall«
Die Strafkammer hat vorerst acht Verhandlungstage bis zum 20. Dezember anberaumt. Mit einem »klaren Fall« rechnen die Richter also offenbar nicht, obwohl der Sachverhalt anscheinend klar zu Tage liegt - sogar für die Öffentlichkeit schon seit 21 Monaten. Aber zuerst hatte sich die zuständige Staatsanwaltschaft mit ihren Ermittlungen und der Erhebung der Anklage sehr schwer getan, dann wurde sie von der Strafkammer vier Monate lang geprüft, bevor sie sie - unverändert - zuließ. Weitere fünf Monate gingen seither ins Hessenland. Waren die Richter mit Haftsachen überlastet, bewerteten sie den »Fall Daschner« als nicht sonderlich dringlich oder wollten sie sich nur Zeit nehmen, die Strafsache wirklich gründlich zu verhandeln?
Das täte nicht nur im Interesse der Angeklagten Not, denen man - unbeschadet, wie man ihr Vorgehen moralisch und strafrechtlich bewertet - glauben sollte, dass es ihnen darum ging, das Leben des Frankfurter Bankierssohns zu retten, falls er am 1. Oktober noch nicht tot gewesen wäre, was die Ermittler hofften. Ob sie wirklich alle legalen Möglichkeiten, Gäfgen zum Reden zu bringen, genutzt haben, muss die Beweisaufnahme ebenso erbringen, wie die zumindest gerichtsnotorische »Wahrheit«, wer wann was Gäfgen wirklich angedroht hat. Erst am Wochenende schossen in dieser Hinsicht die Spekulationen wieder kräftig ins Kraut. Was da ein Nachrichtenmagazin druckte, hat es aber von jemandem erfahren. Und die Vermutung liegt nahe, dass auch solche Indiskretionen zumeist interessengeleitet sind. Was jemand, gar unter Eid, vor Gericht aussagt, steht womöglich dann auf einem ganz anderen Blatt.
Wichtiger als der »Einzelfall« Daschner und die Bewertung des Vorgehens der Angeklagten im Lichte von unwiderlegbaren Fakten und Zeugenaussagen ist freilich die Bewertung der unbestrittenen Drohung, einen damals zwar womöglich dringend tatverdächtigen, aber nicht der Entführung überführten Beschuldigten de facto zu foltern, bis er redet. Wobei Daschner keinen Hehl daraus machte, dass es nicht bei der bloßen Drohung bleiben sollte, wenn Gäfgen weiter geschwiegen hätte. Ein Arzt sollte angeblich sogar die »Gewaltanwendung« überwachen.

OK vom Innenministerium?
Dass dies alles gesetzwidrig ist, mussten Daschner wie sein Mittäter wissen, zumal nach Angaben des »Spiegel« ein Beamter der Ermittlergruppe diesem Vorgehen nicht ausdrücklich widersprach, sondern auch eine Aktennotiz darüber verlangte. Indiz, dass den Angeklagten bewusst war, dass sie Recht brechen, ist auch die erst jetzt bekannt gewordene Behauptung Daschners, er habe sich für die verbotene Androhung und Anwendung von Gewalt Rückendeckung im hessischen Innenministerium geholt. Vom wem, sagt er - jedenfalls bislang - nicht. Sein Anwalt bestätigte nur, dass die Ermunterung »Machen Sie das! Instrumente zeigen!«, an die sich Daschner genau erinnern will, weder vom Innenminister noch seinem Staatssekretär stammt.
Dass die Anwälte dennoch zumindest einen »Verbotsirrtum« reklamieren werden, ist zu erwarten. Schließlich können sie auf bei Bekanntwerden des Skandals vielfach geäußertes »Verständnis« nicht nur von Politikern wie Hessens Ministerpräsident Roland Koch verweisen. »Es sind Fälle denkbar, in denen auch Folter oder ihre Androhung erlaubt sein können«, erklärte Geert Mackenroth, damals Vorsitzender des Deutschen Richterbundes, seit kurzem Justizminister Sachsens, in Ignoranz von Völkerrecht, Grundgesetz und Strafrecht. Und selbst ein namhafter Staats- und Völkerrechtler wie Prof. Karl Doehring äußerte öffentlich, wenn Terroristen mit einer Atombombe drohen, eine Millionenstadt zu vernichten, »muss es eine Grenze geben, wo die Rettung von Menschenleben durch Folter zulässig ist«.
Diese Vorstöße in Richtung Guantanamo und Abu Ghoreib, also Willkür made in USA, sind jetzt neu aufgeflammt. Aber auch das laute konsequente Nein zu Folter unter allen Umständen. Kein leichter Job für die Frankfurter Richter, in diesem Kontext Recht zu sprechen.

Recht und Gesetz

Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
Artikel 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
Artikel 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland

Strafgesetzbuch
§ 240 Nötigung
(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter... seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger mißbraucht.

§ 357 Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat
(1) Ein Vorgesetzter, welcher seine Untergebenen zu einer rechtswidrigen Tat im Amt verleitet oder zu verleiten unternimmt oder eine solche rechtswidrige Tat seiner Untergebenen geschehen läßt, hat die für diese rechtswidrige Tat angedrohte Strafe verwirkt...

§ 34 Rechtfertigender Notstand
Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat e...

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