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  • Politik
  • Joachim Wohlgemuth ist 64jährig gestorben

Der geistige Vater von »Egon«

  • Christel Berger
  • Lesedauer: 2 Min.

Joachim Wohlgemuth

Foto: dpa

Die Lebensstationen von Joachim Wohlgemuth gleichen denen vieler seiner Generation: Geboren 1932, als Zehnjähriger verliert er den Vater im Krieg, wächst bei Mutter und Großmutter auf, wird nach der Grundschule Laufbursche und Bürohilfskraft. Von 1950-1953 absolviert er die Arbeiter- und Bauern-Fakultät in Potsdam, anschließend studiert er in Leipzig Philosophie und veröffentlicht Anfang der sechziger Jahre seine ersten literarischen Texte.

Möglicherweise hat seine bekannteste literarische Figur zu bestimmten Zeiten in der DDR die Popularität des Kästnerschen Namensvetters übertroffen. »Egon« war eine Kultfigur, durchaus verwandt dem später folgenden, freilich pro-

blematischeren Edgar Wibeau von Ulrich Plenzdorf. »Egon und das achte Weltwunder« ist ein Kind der »Praxis-Erfahrung« des damals jungen Autors, der sich nach dem Studium am Jugendobjekt »Friedländer Große Wiese« beteiligte.

Wohlgemuths Schöpfung ist ein Neugieriger, nicht gerade Braver, dessen

»Ankunft im (sozialistischen) Alltag« (oder auch: dessen Zähmung?) kraft der Hilfe eines Kollektivs und natürlich mittels der Liebe erfolgte. Das klingt heute konstruiert und wirkt vielleicht lächerlich, aber das Buch hat den Charme wirklicher Naivität, ist humorvoll und kam ungeheuer an. 1995 erlebte es seine drei-ßigste Auflage.

Der Autor blieb zeit seines Lebens seinem jugendlichen Publikum treu. In seinen Büchern ging es zumeist um junge Leute. Unbekümmertheit in der Sicht auf durchaus handfeste Probleme und Konflikte verlieh den Büchern Frische und Flair. »Das Puppenhaus in Pinnow« (1983) wurde ein weiterer Bestseller

Nach 1989 mußte sich der Autor neu orientieren, denn Verlag oder Fernsehen kamen ihm nicht mehr auf gewohnte Weise entgegen. Sein Roman »Jesewitzer Affäre« erschien 1995 im neuen kleinen Sassen-Verlag Neustrelitz und erzählt von Wendeereignissen im vertrauten Milieu - Jugendliche auf dem Lande. Au-ßerdem versuchte sich Wohlgemuth in einem neuen Genre, so erschien kürzlich im Verlag Das Neue Berlin der Krimi »Brandzone«. Joachim Wohlgemuth arbeitete bis wenige Tage vor seinem Tod am 9 Oktober an einem neuen Roman.

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