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Ein Feuilletonist fühlt heraufziehende Gefahr

»Berliner Nebeneinander« von Siegfried Kracauer Von Almut Schröter

  • Lesedauer: 2 Min.

»Unter Palmen. - Die Palme ist ein Hauptbestandteil jener Fata Morgana, die heute immer wieder am Horizont der Berliner Alltagswüste aufsteigt. Auch in den kleineren Lokalen aller Stadtteile sind diese südlichen Gewächse jetzt Mode geworden. Es gibt zahllose Menschen, die mit einem harten Leben gestraft sind und darum wenigstens ungestraft unter Palmen wandeln wollen...« Siegfried Kracauer nähert sich 1930 über Palmengrün deutschen Zuständen. Da das Schlechte so nahe liegt, sieht er die Menschen das Gute in exotischen Gegenden suchen, dort, »wo die Menschenfresser friedlich beisammen wohnen und niemand etwas von Arbeitslosigkeit weiß oder von Na-

tionalsozialisten.« So setzt er das Wachstum der Palmen dem des Elends proportional.

Kracauer kommt im Dezember 1929 für die »Frankfurter Zeitung« nach Berlin, um Reportagen und Filmkritiken zu schreiben. Arbeiten aus dieser Zeit sind bei der Edition Epoca, Zürich, unter dem Titel »Berliner Nebeneinander, Ausgewählte Feuilletons 1930-33« erschienen. Herausgeber Andreas Volk wählte feinfühlig aus. Es sind Feuilletons, politische Erzählungen, in denen Kracauer meisterhaft zwischen den Zeilen verpackt, was es zu sehen und zu sagen gibt. Kracauer hat unter anderem Soziologie studiert. Er weiß um die gesellschaftlichen Mechanismen, ist ein guter Beobachter und besitzt Gespür für das scheinbar Nebensächliche an Hauptschauplätzen. Und

so wählt sich der Journalist keine Dasweiß-nur-ich-Themen, sondern nimmt den für jedermann nachprüfbaren Alltagsweg. Er sieht in Schaufenster und Zeitungen, besucht Banken, Bahnhöfe, Varietes, Ausstellungen, Vorträge und Gerichtsverhandlungen, geht durch die Straßen und wittert heraufziehende Gefahr So beschreibt er eine körperlich fühlbare Gereiztheit als Aufgeregtheit im Alltag und setzt darüber den Titel »Unter der Oberfläche«. Die Berliner sind darin im Juli 1931 von Unruhe verzehrt und erwecken den Eindruck von Reibungsflächen, die sich im nächsten Moment entzünden könnten. Wenige Zeilen zuvor ist wie nebenbei von leerstehenden Großwohnungen die Rede. Kracauer erwähnt es als Merkmal der Not. Die Botschaft sagt mehr Kracauer ist Jude.

1933 kehrt er von einer Reise nach Paris nicht zurück. Deutschland sieht ihn nicht wieder Aber seine Bücher Er schreibt zunächst in den Pariser Jahren für einen Amsterdamer Verlag. Später siedelt er nach New York über. 1966 stirbt er dort im Alter von 77 Jahren.

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