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Gegen den Frost hilft kein Zittern

Unternehmer Werner Markert wollte nie Kapitalist werden - seit gut sechs Jahren besitzt er einen Garten- und Landschaftsbaubetrieb in Berlin

  • Lesedauer: 5 Min.

Von Rosi Blaschke

Frost betoniert den Boden, und Schnee deckt Bauplätze und Grünanlagen zu. Eine kritische Zeit für einen »jungen« Unternehmer, der einen Garten- und Landschaftsbaubetrieb, unter Fachleuten Galabau, in Berlin aufgebaut hat und Wärme lebensnotwendig braucht. »Doch gegen den Frost hilft kein Zittern,« sagt Firmenchef Werner Markert lakonisch. »Wir haben noch viel Arbeit, für fünf Wochen mindestens.«

Für Werner Markert (51) und seine Frau Monika (49) war wie für so viele andere Ostdeutsche die Selbständigkeit die einzige Alternative nach der 89er Wende. Wobei der studierte Agraringenieur und Rehabilitationspädagoge schon in den letzten DDR-Monaten arbeitslos war, weil er wegen »linkskritischen Engagements - auch in Bürgerinitiativen« die Berufshilfsschule, an der er lehrte, verlassen mußte. »Kapitalist wollte ich nicht werden, nie. Ich bin überzeugter Sozialist.« Untertan wollte er auch niemandem mehr sein. Was also blieb ihm übrig? Die Besinnung auf die eigenen Kräfte. Er fing in Westberlin auf dem Messegelände als Laufbursche und Reinigungskraft an, ließ sich Dreckkuli schimpfen, aber verdiente Geld. Die Arbeit war, sagt er heute, »das vorbereitende Seminar für die Selbständigkeit: Damit mußt Du leben, so darfst Du's nicht machen.« In Gedanken pendelte er zwischen Gastronomie und Galabau. Zum 1. Mai 1990 meldete er seinen Betrieb an.

64 Prozent aller Erwerbstätigen arbeiten in Mittelstandsbetrieben < ?

Er war sein einziger Mitarbeiter, mit dem alten Skoda der Familie, einem Hänger, einer Sense und dem von der Hausgemeinschaftsleitung geliehenen Rasenmäher, seine Arbeit war die Pflege von Grünanlagen. Markert hat geschuftet wie ein Wilder, Verwandte halfen. Monika Markert machte neben ihrer Arbeit als Berufsschullehrerin die Buchhaltung und ging am Wochenende mit »ins Grüne«. Die ersten wichtigen Aufträge kamen vom Gartenamt Weißensee.

Am Anfang, sagt Markert, stand eine Null auf dem Konto. Vor der Währungs-

union wurde der Westlohn umgerubelt. Ein kleiner Handel, ein kleiner Kredit halfen über die ersten Runden. Das Grundstück der Eltern bot gewisse Sicherheit. Bis das eigene Haus auf dem ererbten Grundstück fertig ist, wohnt die ganze Familie - Markerts, Tochter und Sohn und zwei Enkelkinder - in einer Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung.

Der Firmenchef will nicht »unternehmerisch klagen«. Er sucht zuallererst bei sich selber, wenn was nicht läuft - so eine Art zukunftsorientierter Zweckoptimismus. »Man muß sich selber rühren, alle Töpfe anzapfen, die es gibt«, ist Markerts Erfahrung. Er kennt die Probleme so vieler ostdeutscher Jungunternehmer - die mangelnde Zahlungsmoral der Auftraggeber Hatte er Glück? Er hat immer sein Geld bekommen. Es sei denn, es stimmte nicht mit der Lieferfrist, der Qualität, der Abrechnung.

Das Ehepaar hat es geschafft, rote Zah-

len zu umgehen. Weil es »vernünftig angefangen hat.« Monika Markert baute die Betriebswirtschaft aus. Die kühle Rechnerin - das ist ihr Markenzeichen bei den Kollegen. Das ansehnliche Büro mit den Sozialräumen besteht erst seit vorigem Jahr Vorher war's ein Zimmer in der Wohnung, dann waren's zehn Quadratmeter und eine Garage auf dem Werkshof in Berlin-Heinersdorf, gebrauchte Technik - Multicar, LKW W 50. Heute beträgt der Marktwert der Technik rund anderthalb Millionen Mark. Investiert wurde und wird Schritt für Schritt, entsprechend den Möglichkeiten. Die Kreditbelastung bereitet Markert keine schlaflosen Nächte. Die drei Hausbanken kommen ins Haus, um weitere Geschäfte zu machen. Ein gutes Zeichen.

Die Herausforderungen haben sich mit den Jahren verändert. Am Anfang war es die schwere körperliche Arbeit. Jetzt ist es die Koordinierung vieler Aufga-

benbereiche, die Verteilung der Arbeit auf die richtigen Schultern. Für die Markerts sind trotzdem auch heute Achtstundentag und Urlaub zumeist ein Traum. Und vieles ist nachzuholen an Zuwendung für den nun 18jährigen Sohn, der lange Zeit zu kurz kam.

Inzwischen beschäftigt der Galabau-Betrieb 98 Frauen und Männer. Zum Stammbetrieb sind andere hinzugekommen: eine Galabau-Firma in Bernau, eine weitere in Berlin, die, vom Konkurs bedroht, mit Mitarbeitern und Aufträgen übernommen wurde, ein Handelsteil. Zwei Arbeitsförderbetriebe gehören dazu. Pflege- und Baustellen verteilen sich von Nord nach Süd auf Weißensee, Friedrichshain, Mitte, Lichtenberg, Falkensee, Neuenhagen ... Die Auftraggeber kommen heute zu über 80 Prozent von Ämtern, Wohnungsgesellschaften und -genossenschaften. Monika Markert betreibt einen Verwaltungs- und Büroservice, der als GmbH ausgegliedert werden soll.

arbeiter die Betriebsteile in voller Verantwortung und mit materieller Beteiligung übernehmen. Das Engagement eines jeden, das fordert Markert ein, darauf baut er. Seine Philosophie der »sozialistischen Marktwirtschaft«.

Der Firmenchef hat seinen Betrieb mit kompetenten Mitarbeitern, Bauleitern und Vorarbeiter(inne)n verstärkt. Christel Steuer, 48jährige Gärtnermeisterin, die ihre Arbeit in der Baumschule Biesenthal verloren hatte, im Markertschen Betrieb in Bernau Arbeit fand und nun in Berlin-Pankow für Pflege der Vorgärten und Höfe verantwortlich zeichnet, möchte öfter mit ihm vor Ort sprechen. Man könnte manches schneller klären. Im Oktober sah sie ihn zum letzten Male. »Mit ihm ist doch zu reden«, urteilt sie. Sie hat den kritischen Blick auf den Betrieb, aus dem neue Erkenntnisse geboren werden, was eben der Chef fordert.

Markerts sind optimistisch für die Zukunft. Doch gerade dies Gewerbe unter freiem Himmel kann nicht länger als acht Wochen vordenken. Auch über die Eismonate sollen alle Beschäftigte gehalten werden. »Gnade uns Gott, daß wieder so ein harter Winter wie der vorige kommt. Da mußten wir zürn erstenmal einige für kurze Zeit in die Arbeitslosigkeit entlassen«, sagt Markert. In Zukunft werden sich die verschiedenen Geschäftsbereiche ausgleichen. Die Firma vergütet Überstunden nicht, sie werden auf Zeitkonten angehäuft und zur harten Winterszeit durch Freizeit abgegolten. Wie jetzt.

In Markerts Betrieb besteht kein Betriebsrat. Ihn zu bilden, wäre ja Sache der Beschäftigten. Markert hätte nichts dagegen, aber er verspricht sich nicht viel davon. Oberste Maxime ist für ihn die Zusammenarbeit. »Gegenseitiges Geben und Nehmen ist das Wichtigste«, begründet er seine Haltung. Mitdenken, Handeln aller im Sinne des Unternehmens, nicht des Unternehmers. Das muß seiner Meinung nach nicht institutionalisiert werden. Noch funktioniert das, weil viel Gleichgesinnte zusammenarbeiten. Da gehört schon dazu, daß Markert wissentlich einen Alkoholiker beschäftigt, weil der sonst keine Chancen hätte. Wo ist die Grenze, da die Frage auftaucht: menschliches Miteinander kostet zuviel? »Die wollen wir nicht erreichen«, sagt Markert entschieden. »Ich stehe als Garant dafür, daß wir uns immer an einen , Tisch .setzen .und n^feinander reden.,« „,,

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